OT: L'Enfer d'Henri-Georges Clouzot
DOKUMENTATION: FRANKREICH, 2008
Regie: Serge Bromberg, Ruxandra Medrea
Darsteller: Romy Schneider bzw. Bénérice Bejo, Serge Reggiani bzw. Jacques Gamblin
Der Versuch einer Annäherung an das filmische Fragment "L'Enfer" von Henri-Georges Clouzot als Mischung aus Kommentar, Dokumentation, Rekonstruktion und Making Of ...
KRITIK:Steven Soderbergh hat einmal gesagt, bevor er sich an ein neues Projekt heranwage, sehe er sich jedes Mal ein paar Jean-Luc Godard Filme an, denn dann wisse er was möglich ist. Vielleicht kann man diese Aussage ein wenig abstrahieren und gleich auf das gesamte Kino der Sechziger Jahre ausbreiten und Namen nennen wie Fellini, Welles, Resnais, Antonioni usw., deren Experimentierfreude jedem Cineasten großes Vergnügen bereitet.
Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass deren Kino jetzt besser ist als unseres, denn auch heute gibt es Namen, von denen man in fünfzig Jahren ehrfurchtsvoll sprechen wird, sofern es da das herkömmliche Kino noch gibt und nicht Avatar Teil 6 das Kino in Richtung Inside-Brain-4D-Stream oder so revolutioniert hat. Ich denke da an Anderson, Kim Ki-Duk, Park Chan-Wook, Tarantino, Haneke, Lars van Trier und wahrscheinlich noch einigen weiteren, die uns noch gar nicht bewusst sind.
Jedoch haben unsere heutigen Regisseure den Nachteil, dass sie gegen das gesamte gegenwärtige kommerzielle Kino kämpfen müssen und daher etwas im Hintertreffen sind, während die guten alten Regisseure einfach als Sieger aus der Schlacht übrig geblieben sind und kein Mensch auf die Idee kommen würde, sich Sechziger Jahre Filme anzusehen, die auf dem äquivalenten Niveau von, was weiß ich, "The Spy Next Door", "Pluto Nash" oder "2012", weil man sich da nur noch denken würde: Meine Güte, was für ein Schrott und dann noch diese rückständigen Spezialeffekte.
Aber wie gesagt: Es hat immer Filmkünstler gegeben, die in der Lage waren zeitlos gute Werke zu schaffen, die auch Jahrzehnte später nichts von ihrer Wirkung und Faszination eingebüßt haben.
Ein Vertreter dieser Gattung war eben auch der auf Thriller spezialisierte Regisseur Henri-Georges Clouzot, der u.a. mit "Lohn der Angst" und "Die Diabolischen" Filmgeschichte geschrieben hat und der damals so erfolgreich war, dass sogar der öffentlichkeitswirksame und Breitenwirkung suchende Herbert von Karajan ihn nach Österreich holte um ihn ein klassisches Konzert filmen zu lassen.
Am Höhepunkt seines Erfolges dachte sich der gute Clouzot dann, was der Fellini (dessen Meisterwerk 8 1/2 ihn wie viele andere zutiefst aufrüttelte) und der Antonioni können, das kann ich schon lange und ersann innerhalb einer Woche die Geschichte eines Ehepaares, das ein Ferienhotel betrieb, dessen beschauliches Dasein durch die pathologische Eifersucht des Mannes zerstört werden und in einer Tragödie enden würde.
Zunächst als kleiner, feiner Kunstfilm gedacht, kamen plötzlich ein paar Anzugträger von der amerikanischen Columbia vorbei, sahen sich das Treatment ihres Regiestars an und hauchten den heute unvorstellbaren und ins Reich der Fantasie verbannten Satz: "Unbegrenztes Budget".
Mehr brauchte Clouzot nicht: Der kleine Film blieb weiterhin ein kleiner Film, aber von nun an mit riesigem Produktionsaufwand, vier Kamerateams, mit der versammelten damaligen Crème de la Crème des französischen Filmhandwerks. Es gab keinen überwachenden oder unterstützenden Produzenten, es gab einfach einen Regisseur, der alle Fäden zog, alles in der Hand hatte, alles bestimmte und alle nach seiner Pfeife tanzen ließ, also gottgleich Herr über eine Schöpfung war, die ihm aber mehr und mehr entglitt und die er am Ende nur scheitern sehen konnte.
Clouzots verfing sich wohl in der radikalen Freiheit - keine Geldsorgen, keine Gleichgestellten, grenzenlose Fantasie und Kreativität, die sich nicht mehr bändigen ließen - und so verlor er sich wohl in der Unendlichkeit seines Geistes, ausgelöst durch den Zwang etwas niemals dagewesenes zu kreieren.
Er verbrauchte Dutzende von Filmrollen nur für Probeaufnahmen, spielte mit den Farben, dem Ton, der Form, war besessen von der Idee die Obsession seines Hauptdarstellers visuell und auditiv auf der Leinwand begreifbar zu machen. Doch die Kontrolle über sein Werk entglitt ihm mehr und mehr und die Fertigstellung wurde endgültig unmöglich, als zunächst Hauptdarsteller Reggiani ausstieg und Clouzot schließlich selbst einen Herzinfarkt erlitt.
Wenn man sich das Bildmaterial von L'Enfer heute ansieht, des Regisseurs Fantasie und den äußeren Druck berücksichtigt, dann fühlt man geradezu die tragische Unvereinbarkeit zwischen der Vision und der Realisierbarkeit, wenn auch das Talent des Regisseurs immer wieder das Potential zur Verwirklichung dieses Traumes beweist. Es wäre hochinteressant gewesen, den fertigen Film zu sehen, um zu wissen, ob Clouzot es geschafft hätte seine Kreativität zu bändigen, oder ob es zu einer lächerliches Special-Effects-Orgie wie in "Hinter dem Horizont" oder in "The Lovely Bones" verkommen wäre, wobei aber Geschmack und Treffsicherheit des Regisseurs das Gegenteil vermuten lassen, denn der Großteil des Bildmaterials wirkt geradezu großartig.
Die großen europäischen Regisseure der sechziger Jahre beherrschten etwas, Clouzot war da keine Ausnahme, das heute irgendwie verloren gegangen zu sein scheint (Ausnahmen bestätigen die Regel: Almodovar!), was aber an dem Zeitgeist oder an der Veränderung kultureller Codes liegen könnte: Sie konnten Frauen filmen. Sie brachten es fertig etwas so Abstraktes wie Weiblichkeit auf die Leinwand zu bannen.
Vielleicht ist das damalige Frauenbild in diesen Filmen eine Widerspiegelung des Prozesses der Emanzipation, gesehen durch die Augen der Männer, die von der neu gewonnenen Freiheit der Frauen überfordert, die durch sie verängstigt und verunsichert wurden und daher der obsessive Blick der Regisseure den obsessiven Blick der Männer im Allgemeinen widerspiegelte.
Vielleicht braucht es heute diese überstilisierte Wahrnehmung der sexuellen Obsession nicht mehr, weil wir in weiten Teilen unseres Lebens längst gelernt haben mit der Freiheit der Frauen umzugehen. Wir sind vernünftiger, gesetzter, gleicher, angepasster geworden, friedlicher. Wenn also Godard in seinem Film "Notre Musique" sagt, dass manche Regisseure keine Ahnung haben, wie man eine Frau filmt, weil heute dazu die selben Bilder benutzt werden, dann stimmt das für die heutige Zeit vermutlich nicht mehr, ist aber umso richtiger, wenn man das damalige kommerzielle Kino mit dem europäischen Autorenfilm vergleicht.
Dieser psychologisierende Blick mit Schwerpunkt auf Eros und dem Unterbewussten ist ein spezielles Phänomen dieser Kinoepoche und stellt wohl einen der erfolgreichsten Versuche in der gesamten Kunstgeschichte mit den abstrakten Mitteln der Kunst echte Gefühle begreifbar zu machen.
Wir werden also niemals erfahren, ob sich Clouzot und sein Film in die illustren Kreise des europäischen Kunstkinos eingeschrieben hätte, aber vielleicht ist dieses Fragment auch viel schöner, weil wir es in unserem Kopf selber zusammensetzen müssen und es dadurch in uns zu einem Meisterwerk werden kann, und das fertige Produkt niemals unsere Erwartungen enttäuschen könnte. Vielleicht beweist dieser gescheiterte Film, dass zuviel Freiheit, zu wenig Widerstand, dann doch kontraproduktiv ist um gute Kunst zu schaffen. Die Kreativität findet einen Weg, vor allem dann wenn sie muss.
P.S. Clouzots Drehbuch von LEnfer wurde übrigens von Regisseur Claude Chabrol im Jahre 1994 mit Emanuelle Béart verfilmt.
Eine an sich recht konventionelle Dokumentation, deren brave Form aber von der ungebändigten Kreativität,
faszinierender Wirkung und Tragik ihres Sujets, der Annäherung an das Filmfragment L'Enfer von Henri-Georges Clouzot,
unterwandert wird und so zum absoluten Nasstraum für Cineasten wird, zu mindest für jene, die sich für den Entstehungsprozess von Kunst,
experimentelle Form, das Kino der 60er Jahre und eine sich weiterhin von ihrem Sissi-Image zu befreien versuchende Romy Schneider interessieren. Nicht versäumen!
Der Film läuft noch im Filmhaus am Spittelberg.