DRAMA: D/A, 2008
Regie: Michael Haneke
Darsteller: Christian Friedel, Leonie Benesch, Ulrich Tukur, Joseph Bierbichler
In einem protestantischen Dorf im Norden Deutschland kurz vor dem ersten Weltkrieg, wird die Geschichte vom Dorflehrer mit und um seine Schüler erzählt. Während den teils fatalen Auseinandersetzungen zwischen Eltern, Kindern, geistlichen Honoren, Bauern und Herrschenden häufen sich mysteriöse Unfälle, die in einer unglaublichen Vermutung gipfeln.
KRITIK:Was Hanekes Filme ausmachen, ist eine Reduzierung auf wenige stilistische Mittel, wodurch eine interpretationslose Distanz entsteht, zwischen den meist ungeheuerlichen Ereignissen und dem Zuschauer.
Die Konsumebene, über die sich der Ausnahmeregisseur bewusst hinweghebt, ist es dann auch, die uns filmische Geschichten im Allgemeinen unmittelbar sinnlich erfahren lassen. Das Fehlen jeglichen Impulses, der uns Zuschauer ein Mitfühlen auch nur im Ansatz erleichtert, erzeugt einen ganz eigenen Film im Kopf, der je nach Gesinnung, Bildung, emotionaler Intelligenz immer anders ausfallen dürfte.
Zugleich scheint es aber auch die Garantie, Geschichten an uns herantragen zu können die im Detail so erschreckend ehrlich und entblößend sind, dass sie, so wage ich zu behaupten, auch im gegenwärtigen Genre-Kino, wohl nur in Fragmenten die Zensurbehörde unbehelligt überstehen lassen würde.
In "Das weiße Band" geht es um eine Bestandsaufnahme in reichhaltigen Facetten - erschreckend die Banalität, wie die Formen jeglicher Gewalt im Mindesten sublimiert an der Tagesordnung sind - als wäre es ein Hinweis darauf, dass dies bereits seit Anbeginn menschlicher Existenz so in der einen oder anderen Weise praktiziert worden sein muss.
Dass die Geschehnisse kurz vor dem 1. Weltkrieg angesiedelt sind, ist dann vielleicht auch konsequent, wenn sich zum ersten Mal im brodelnden Kollektiv, in Agonie zwischen technischem Fortschritt, sozialem Gefüge der industriellen Ballungen und traditionellen, streng hierachischen Herrschaftsformen ein Ventil öffnet, mit zur damaligen Zeit unvorstellbar grausamen Folgen.
Wie gesagt, Haneke lädt nicht ein zum Interpretieren, obgleich die Gefahr sehr groß ist - schließlich wirft er uns keine Knochen hin, bietet keinerlei Halt in seinen Fragmenten von unkontrollierten Gefühlen wie Wut, Hass und Trauer.
Und doch entstehen durch diese Kunst des filmischen Erzählens so etwas wie kleine Tore, durch die hindurchgeschlüpft, letzten Endes immer auch ein gutes Ende möglich sein könnte. Sicherlich nur manchmal "Vielleicht". Aber es ist immanent.
Zwischendurch sind diese Möglichkeiten der Wende immer wieder auch sichtbar - in meisterhaft fotografierten Bildern, die einen Kontrast schaffen zwischen unendlicher Weite der sich in Jahreszeiten wandelnder Landschaft und den klaustrophobischen Engen der zwischenmenschlichen Tragödien. Eine eher seltene Begebenheit in den Filmen von Haneke.
Das "Weiße Band" ist Kunst-Kino ohne einer vordergründigen Botschaft, stattdessen eine Sichtweise der Dinge, die auf betörende Art und Weise entlarvend ist ohne eine bestimmte Absicht damit zu verfolgen - ja, so wie Kinder nun einmal sehen können und was wir leider sehr oft für immer verlieren. Haneke beschert uns für einen sehr langen Kino- oder DVD-Abend dieses Sehen.