DRAMA: USA, 2007
Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Paul Dano
Lange sechs Jahre hat sich Paul Thomas Anderson Zeit gelassen, uns einen neuen Film vorzustellen. Doch seine Rückkehr auf die Leinwand ist - soviel kann man vorab verraten - phänomenal. Seine Abstinenz über einen derart großen Zeitraum ist aber nicht nur einer Kreativpause geschuldet - 'There Will Be Blood' fand, so abstrus das aus heutiger Sicht erscheinen mag, keine Geldgeber. Positiver Nebeneffekt: Daniel Day-Lewis - ebenso eine rare Erscheinung in den Kinosälen - hatte zwei Jahre Zeit, sich für seine Hauptrolle als kaltschnäuziger Öl-Tycoon Daniel Plainview vorzubereiten. Das Resultat dürfte ihn mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit Ende Februar seinen zweiten Oscar einbringen.
'There Will Be Blood' handelt also vom schwarzen Gold - doch noch viel mehr von der Person, die mit verbissenem Eifer versucht, Ende des 19. Jahrhunderts der Natur diesen wertvollen Rohstoff zu entreißen: Daniel Plainview. Kurzum: eine 2 ½ Stunden dauernde, kompromisslose Charakterstudie, die - trotz vieler anderslautender Kritiken - unpolitischer und geradliniger nicht sein könnte.
Bereits nach nur wenigen Sekunden ist klar, dass 'There Will Be Blood' kein Film wie jeder andere ist. Nach dem geradezu nach B-Movie anmutenden, nur kurz eingeblendeten Titel (in weißen, gotischen Lettern) ohne jegliche weitere Opening Credits, befinden wir uns mitten im Nirgendwo - ein Weitwinkelpanorama von zwei spärlich bewachsenen Hügeln. Zugleich beginnt sich eine bedrohliche Soundkulisse aufzubauen - verstimmte, schreiende Geigen stimmen zu einem immer lauter werdenden Konzert der Qual an. Die Musik als Vorbote der Dinge, die geschehen werden.
Danach ein Hard Cut direkt in eine Großaufnahme unter Tage: ein verdreckter Mann mit Spitzhacke bearbeitet die felsigen Wände auf der Suche nach Edelmetall. Verbissen arbeitet er sich vor, vollkommen auf sich allein gestellt. Als er schließlich fündig wird, passiert ein Unfall - er stürzt, bricht sich ein Bein. Die höllischen Schmerzen lassen ihn jammern und wimmern, doch Planview hat nur noch Augen für seinen Schatz: er nimmt eine Gesteinsprobe an sich und schleppt sich aus dem Schacht nach oben und zurück in die Zivilisation - nicht etwa in ein Krankenhaus, nein: zuerst muss der Wert des Fundes geschätzt werden.
Anderson lässt hier die Bilder und die plärrenden Geigen sprechen - die ersten 15 Minuten kommen ohne Dialog aus. Anderson zeigt in dieser Zeit den Weg von Plainview vom Silberminenbesitzer bis zu seiner ersten Ölquelle - die sogleich auch ein erstes Todesopfer fordern soll. Zurück bleibt ein Baby des getöteten Arbeiters, dessen sich Plainview in der Folge annimmt. Er nennt das Kind H.W. und stellt ihn fortan als seinen eigenen Sohn vor.
Als vor einigen Jahren die ersten Informationen zu 'There Will Be Blood' auftauchten, war schnell klar, dass Anderson grundlegend andere Ansätze verfolgen wird, als in seinen bisherigen großen Produktionen wie 'Magnolia' oder 'Boogie Nights'.
Das Augenscheinlichste war, dass die Idee zum Film diesmal nicht von ihm selbst kam, sondern Anderson sein Drehbuch erstmals auf Basis einer Geschichte eines anderen Autors geschrieben hat. Konkret handelt es sich um den Roman "Oil!" von Upton Sinclair - was 'There Will Be Blood' sogleich zahlreiche Kritiken eingebracht hat, die große politische Aussagen hineindeuten und Parabeln auf unsere heutige Zeit sehen wollen.
Selbstredend ist das sehr weit hergeholt: Paul Thomas Anderson war noch nie ein explizit politischer Filmemacher und hat sich auch in seinen bisherigen Filmen vordergründig um die Menschen gekümmert, um die sich seine Filme drehen. Nicht anders auch hier.
Doch auch anderenorts hat sich einiges geändert: Anderson verzichtet auf all seine "Hofschauspieler" - keine Spur von John C. Reilly, Philip Seymour Hoffman und Co. Bekannt ist lediglich Daniel Day-Lewis - der dafür aber natürlich in jeder Hinsicht für das Fehlen eines großen, hochwertigen Ensembles entschädigt. Einigen von Begriff dürfte aber natürlich auch noch Paul Dano sein, der zuletzt im feinen 'Little Miss Sunshine' überzeugen konnte
Dano übernimmt die Rolle von Eli Sunday - ein Prediger und Prophet einer kleinen Provinzkirche. Das Land seiner Familie ist reich an Erdöl und Daniel Plainview kauft es ihnen für die Zusage ab, 5.000 Dollar an Elis Kirche zu spenden. Eli entwickelt sich im Lauf des Films mit seinem missionarischen Eifer zum direkten Gegenspieler Plainviews - und bietet somit Paul Dano eine schauspielerische Herausforderung, die ihresgleichen sucht. Doch er meistert es souverän, gegen den natürlich trotzdem unerreichbaren Day-Lewis anzutreten. Ein hoffnungsvoller Schauspieler für die Zukunft.
Damit steht nun ein Gerüst, das Paul Thomas Anderson bis zum großen Finale durchexerziert. Wir lernen die tiefen Abgründe in Plainviews Seele, die von Gier und Hass beherrscht wird, immer näher kennen ("I have a competition in me. I want no one else to succeed. I hate most people."). Er zockt die Grundbesitzer schamlos ab und stellt sich in direkten Konfrontationskurs mit Eli Sunday.
Der wiederum entpuppt sich sehr schnell als Ebenbild Plainviews. Während der eine versucht, seine Macht und seinen Reichtum über Öl auszubauen, ist für den anderen der Glaube das Mittel zum Zweck. Anderson baut hier ein höchst düsteres Szenario auf, in dem die Frage Gut oder Böse keine Rolle mehr spielt. Jeder für sich ist geblendet von der Gier, die das schwarze Gold auslöst und den Möglichkeiten, die es bietet.
Das nutzt Anderson für einige der großartigsten Szenen der Filmgeschichte überhaupt. Die Explosion eines Bohrturms ist innerhalb des Films aber das fraglose Highlight: der bedrohlich pochende Sound, der sich über die gesamte, etwa 10 Minuten lange Sequenz erstreckt, sorgt allein schon für Gänsehaut.
Zu sehen, wie Plainviews Adoptivsohn bei der Explosion sein Gehör verliert und sein Ziehvater sich schließlich trotz Flehen und Betteln von ihm abwendet, um sich um seinen in Flammen stehenden Bohrturm zu kümmern, spricht für sich allein Bände. Gleichzeitig zeigt uns aber Anderson, dass H.W. ihm doch mehr bedeutet, als man es vermuten würde - immerhin galt das erste Interesse immer noch H.W. und erst als dieser wirklich in Sicherheit war, beginnt für Plainview wieder das Öl das wichtigste in seinem Leben zu werden.
Dieser Familiensinn, von dem er sonst nur heuchlerisch spricht um die Herzen der Grundstücksbesitzer zu erweichen, wird noch in einigen weiteren Szenen für kurze Zeit aufblitzen.
Kürzer, aber dennoch nicht minder großartig eine Szene innerhalb der Sunday-Familie: Eli wird in dieser während des Abendessens seinen Vater anfallen: "Du dummer, dummer Vater eines dummen, dummen Sohnes!" Auch wenn wir zu dieser Zeit schon unsere Zweifel haben, inwieweit Elis Absichten als Priester nicht nur zu seinem eigenen Nutzen sind, ist man völlig baff ob der plötzlichen Aggressionen, die er an seinem Vater auslässt - vorrangig nur aufgrund des Geldes, und nur in zweiter Linie aufgrund einer vorangegangenen Demütigung durch Plainview (eine nicht minder großartige Szene, in der er quasi Eli in Öl "tauft").
Andersons Film ist prall gefüllt mit derart fantastischen Szenen. Doch abseits der fein ausgearbeiteten Charakterstudie, der interessanten Geschichte und den überragenden Schauspielern gibt es noch ganz wesentliche andere Punkte, die Anderson-typisch den Film derart fein abschmecken, dass er zu dem wird, was er ist: ein Meisterwerk. Natürlich ist die Regie überragend - doch einen wesentlichen Teil dazu trägt auch der Mann hinter der Kamera, Robert Elswit, bei.
Der Film ist wunderschön fotografiert, die Kameraführung exzellent. Doch das Zünglein an der Waage zur Perfektion ist der schon an einigen Stellen angesprochene Soundtrack: Jonny Greenwood (von Radiohead, Anm. d. Red.) hat selbigen beigesteuert. Er wirkt wie aus einem Horrorfilm entsprungen und passt doch so gut in dieses epische Drama. Von Anfang an wird die dadurch aufgebaute Soundkulisse das drohende Unheil ankündigen und kommentieren, im Publikum für Gänsehaut sorgen. Gemischt mit Brahms und anderen Entlehnungen aus der klassischen Musik, entsteht wiederum ein Ausgleich, der den Film oft derart bodenständig aussehen lässt, dass man sich in einem Jahrzehnte alten Klassiker wähnt.
Hier kann man dem Film vielleicht den einzig wirklichen Vorwurf machen: er gibt falsche Bescheidenheit vor. Wie viele Kritiker schon treffend geschrieben haben, ist es ein "wuchtiger" Film, der einen auch auf allen möglichen Sinnen regelrecht anspringt. Bescheidenheit ist hier fehl am Platz, doch hat sie in gewisser Weise auch ihren Charme.
Ohne Zweifel ist es jedenfalls, dass man in der Geschichte sehr weit zurückgehen muss, um adäquate Vergleiche für diesen Film zu bekommen: 'Citizen Kane' wurde oft genannt und ist vermutlich tatsächlich das beste Beispiel. In seiner Düsterheit jedoch dürfte 'There Will Be Blood' unübertroffen sein - Kane wird am Ende noch "Rosebud" flüstern, doch Plainview ist am Ende dasselbe Monster wie zu Beginn. Auch das ist ungewöhnlich für einen Anderson-Film - das zarte Lächeln von Melora Walters, das 'Magnolia' so wunderschön beendete, gab zumindest ein wenig Hoffnung. Und auch in 'Boogie Nights' steht am Ende eine Familie, auch wenn es keine im eigentlichen Wortsinn ist. Für Daniel Plainview wird es nichts davon geben, nur Rache.
Bleibt zu sagen, dass dieser Film ein klarer Fall für die Originalversion ist. Zwar ist auch die deutsche Synchronisation mit Frank Glaubrecht (u.a. auch Al Pacino) hervorragend besetzt, doch kann dessen markante, eher aggressiv ausgerichtete Stimme nicht mit der geradezu melodischen Stimme von Day-Lewis mithalten, die er seinem Daniel Plainview gegeben hat. Die deutsche Version dürfte durch Glaubrecht aber sogar ihren ganz eigenen Reiz haben - und da man sich diesen Film ohnehin ein zweites Mal anschauen sollte
Oscars? Day-Lewis dürfte eine Bank sein. Zu mehr düfte es allerdings bei den bekanntermaßen zu kommerziell ausgerichteten Oscars nicht reichen. Dafür würde ich den einen oder anderen Euro auf einen Goldenen Bären dieses Wochenende in Berlin wetten. Vor allem, da sich die Begeisterung über den restlichen Wettbewerb heuer (wieder mal) sehr in Grenzen hält.
Ein Meisterwerk des modernen Kinos, das in der jüngeren Filmgeschichte seinesgleichen sucht. Sowohl klassisch wie auch revolutionär inszeniert, ist dieses Epos bis ins kleinste Detail perfekt durchkomponiert. Der einzigartige, regelrecht hypnotische Soundtrack sowie das übermenschliche Spiel von Daniel-Day Lewis sind hierbei die Kernelemente, derer sich Paul Thomas Anderson bedient hat. Es wird vermutlich einige Zeit dauern, bis man die Tragweite dieses Werks wirklich erkennen wird können.