OT: La donna del lago
GIALLO: ITALIEN, 1965
Regie: Luigi Bazzoni, Franco Rossellini
Darsteller: Peter Baldwin, Philippe Leroy, Virna Lisi, Salvo Randone
Der Schriftsteller Bernard (Peter Baldwin) hat gerade mit seiner Freundin Schluss gemacht und steckt dazu auch noch in einer Schaffenskrise. Da treibt es ihn in einen kleinen Ort zurück, in dem er vor einem Jahr Urlaub gemacht hatte. Genauer gesagt treibt es ihn in das Hotel zurück, in dem er damals übernachtet und sich in das Zimmermädchen Tilda (Virna Lisi) verguckt hatte...
Doch zu Bernhards großen Bedauern fehlt von Tilda dieses Jahr jede Spur. Etwas später erfährt er, dass diese scheinbar so lebenslustige Frau Selbstmord begangen haben soll. Und noch etwas später eröffnet ihm der Dorffotograf, dass Tilda nicht nur ermordet wurde, sondern zum Zeitpunkt ihres Todes auch noch ganz offensichtlich schwanger war. Bei seinem Versuch genauer herauszufinden, was sich vor einem Jahr genau ereignet hatte, stößt Bernard jedoch auf eine Mauer des Schweigens...
KRITIK:Der Giallo! Was für ein tolles Genre! - Eine der besonderen Stärken des italienischen Schlitzerfilms liegt darin, dass es neben den allgemein bekannten Heroen des Genres, wie Bava, Argento, Martino, Lenzi und Fulci auch zahlreiche andere, weniger bekannte, aber deshalb oft ähnlich interessante Regisseure gab, die dieses Genre ganz entscheidend bereichert haben. Und einer der ganz großen dieser kleinen Meister ist der Regisseur Luigi Bazzoni!
Und mit jedem Film, den ich von Bazzoni sehe, wächst meine Überzeugung, dass er sicherlich mit zu den ganz großen Namen gehören würde, hätte er einfach mehr Filme gemacht. - In seiner Filmografie finden sich nur ganze sechs Langspielfilme. Aber von denen sind immerhin die Hälfte Gialli. Und jeder dieser drei Filme ist nicht nur eine wahre Perle, sondern ein echtes kleines Meisterwerk! Am bekanntesten ist sicherlich sein klassischer Schwarze-Handschuhe-Film THE FIFTH CORD (1971) mit Franco Nero. Aber auch sein einzigartiger Arthouse-Giallo-Hybrid FOOTPRINTS ON THE MOON (1975) dürfte vielen Fans des Genres bekannt sein.
LADY OF THE LAKE aka THE POSSESSED stammt aus dem Jahr 1965. Dieses Werk war nicht nur Luigi Bazzonis erster Giallo, sondern sein allererster abendfüllender Spielfilm überhaupt. Ko-Regie geführt hat ein gewisser Franco Rossellini, über den ich nichts weiter zu sagen habe, da dies sein allereinzigster Film war, bei dem er als Regisseur tätig war. Aber es ist fast zu vermuten, dass auch dieser Herr nicht aus Mangel an Talent keinen weiteren Film auf die Reihe bekommen hat. - Was die genauen Gründe sind, da kann man tatsächlich nur rätseln, denn LADY OF THE LAKE ist ein außergewöhnlicher Frühgiallo der besonders gediegenen Art.
Tatsächlich zeigt dieser ruhige Schwarzweißfilm von allen Frühgialli eine Nähe zum Arhouse-Film, wie ich sie bisher nur von Giulio Questis DEATH LAID AN EGG (1968) her kannte. Da passt es, dass Questi auch bei LADY OF THE LAKE mit am Drehbuch beteiligt war. Doch - ich möchte fast sagen zum Glück - ist dies kein kalter, analytischer Questi-Film, sondern ein traumähnlicher, hochatmosphärischer Mystery-Thriller der in seiner Bedächtigkeit und poetischen Art unverkennbar an Bazzonis FOOTPRINTS erinnert.
Dabei ist LADY OF THE LAKE, wie auch die anderen beiden Bazzoni-Gialli, ein völlig eigenständiger Film, der seinen ganz besonderen Charme und Zauber besitzt. - Wie Questis DEATH LAID AN EGG, ist auch dieser Film gekennzeichnet durch eine besondere Nähe zu der französischen Nouvelle Vague. Allerdings erinnert Bazzonis Film, im Gegensatz zu dem von Questi, keineswegs an den rationalen Godard, sondern vielmehr an Alain Resnais´ LETZTES JAHR IN MARIENBAD (1961).
Bereits die inhaltlichen Parallelen mit dem (Nicht-)Wiedertreffen einer Frau in einem Hotel, in dem man bereits vor einem Jahr gewesen (oder auch nicht gewesen - Resnais...) war, drängen sich hier sofort auf. Doch die Parallelen gehen noch wesentlich weiter. So ist auch Bazzonis Film gekennzeichnet durch eine bedrückende, traumähnliche Stimmung und einen Ort, an dem die Zeit fast stillzustehen scheint. Auch visuell bedienen sich beide Regisseure teilweise recht ähnlicher Mittel. So zeigt auch Bazzoni das unheimliche Gleiten durch leere Hotelkorridore und arbeitet zum Teil mit unglaublich schönen Bildern mit einem völlig übersteigerten Hell-Dunkel-Kontrast.
Aber während bei Resnais das Rätsel letztendlich niemals wirklich entschlüsselt werden kann, werden in LADY OF THE LAKE am Ende alle offenen Fragen mehr oder weniger geklärt. Denn letzten Endes ist der Film dann doch ein relativ simples Whodunit. - Doch der eigentliche Plot ist hier nur der Aufhänger für eine geheimnisvolle Reise in eine scheinbar banale und zugleich immer unheimlicher werdende Welt. Und das eigentliche Thema des Films sind die unter der Oberfläche einer scheinbar beschaulichen Gesellschaft in der Provinz liegenden verborgenen Abgründe.
In diesem Aspekt erinnert LADY OF THE LAKE ein wenig an Luis Buñuels ein Jahr zuvor erschienen Film TAGEBUCH EINER KAMMERZOFE (1964). Und damit sind beide Filme zugleich eine Art von frühem Proto-Lynch. Aber LADY OF THE LAKE hat auch noch etwas sehr mystisches, ja fast archaisches, dass filmisch bis in die Zeit des des deutschen Expressionismus zurückweist. So ist Bazzonis Film bei all seiner scheinbaren Schlichtheit zugleich äußerst vielschichtig und ruft völlig diverse (filmische) Resonanzen hervor.
Wenn man sich die wenigen Filme anschaut, die Luigi Bazzoni gedreht hat, gewinnt man den Eindruck, dass es diesem Regisseur tatsächlich weit mehr um Qualität, als um Quantität ging. Zu seinem äußerst schmalen Gesamtwerk gehören immerhin drei Gialli, und von denen ist ein jeder auf seine Art ein kleines Meisterwerk. Dabei ist der Schwarzweißfilm LADY OF THE LAKE wohl der unbekannteste, von diesen dreien. Doch dieser allererste Langspielfilm von Bazzoni ist nicht nur einer der allerbesten Gialli seiner Zeit, sondern vielleicht auch der allerbeste unter den allesamt außergewöhnlich guten Gialli, dieses relativ unbekannten Meisterregisseurs.