DRAMA: UK, 2008
Regie: Steve McQueen
Darsteller: Michael Fassbender, Stuart Graham, Liam Cunningham, Liam McMahon
Nordirland Anfang der 80er Jahre: Im berüchtigten Maze Prison steht Gewalt an der Tagesordnung. Die Gefangen, vornehmlich IRA-Mitglieder, sehen sich selbst als Freiheitskämpfer und bringen den Vollzugsbeamten nur Hass und Verachtung entgegen. Die Wärter hingegen sehen in den Gefangenen lediglich Terroristen und revanchieren sich, indem sie den Gefangenen die ganze Härte des Gesetzes spüren lassen. Durch verschiedene Aktionen versuchen die Gefangenen die Regierung dazu zu bewegen, den Status als politische Gefangene anerkannt zu bekommen. Da die Regierung jedoch auf die Forderungen nicht eingeht, beschließt eine Gruppe um Bobby Sands auf das letzte noch verbleibende Mittel zurückzugreifen: Hungerstreik. Die Männer wissen, dass sie damit auch ihren eigenen Tod in Kauf nehmen...
KRITIK:Es hat schon etwas Eigenartiges, wenn ein Film wie "Hunger", mit leisen, um nicht zu sagen, beinahe schon poetischen Tönen beginnt. "Hunger", das klingt schließlich nach brutalem, körperlichen Schauspielkino. Nach Gewalt. Andere Regisseure hätten wohl als Einstieg einen Anschlag gewählt. Nicht so Steve McQueen.
Er zeigt uns zum Einstieg einen Mann. Nicht mehr ganz jung, das Gesicht schon ein wenig verhärmt. Die Kamera hält drauf während der Mann wortlos seine Kleidung anzieht, ein gebügeltes Hemd, die Schuhe. Man sieht eine bieder eingerichtete Wohnung, der Esstisch wirkt gutbürgerlich. Selbst das Frühstück hat etwas spießbürgerliches. Der Mann verlässt das Haus, geht zu seinem Auto. Nüchtern, ganz ohne Worte wird dies alles gezeigt. Die Kamera fährt über die Straße, zeigt die roten Backsteinhäuser, die sich aneinanderreihen. Eine gewöhnliche Mittelklasse-Gegend. Und eine Szene wie sie sich wohl allzu häufig abspielt. Ein Mann, der das biedere Auftreten und Aussehen eines Angestellten hat, macht sich auf den Weg in die Arbeit. Doch dann: ein kurzer Moment der Irritation. Bevor er in seinen Wagen steigt, beugt sich der Mann hinunter und blickt unter das Auto.
Der Mann wird sich später als Gefangenwärter herausstellen. Der erste Eindruck kann oft täuschen. Aber so ist das nun mal bei Hunger. Der Film spielt mit der Erwartungshaltung der Zuseher und Dinge entpuppen sich oftmals anders als man es als Zuseher vielleicht vermutet hätte. Man merkt recht schnell, dass Regisseur Steve McQueen viel daran liegt, den Zuseher zum Nachdenken, wenn nicht gar zum Mitdenken anzuregen.
Formal setzt McQueen vornehmlich auf Stilmittel aus dem Arthouse-Bereich. Er lässt sich Zeit, setzt auf ruhige Einstellungen und kommt ohne viele Worte aus. Vieles wird nur angedeutet, bleibt im Dunkel. Und es wird auffallend wenig gesprochen in "Hunger", vor allem zu Anfang. "Hunger" ist ein ausgesprochen stiller Film. Die Stille und die Kühle die der Film manchmal ausstrahlt, verleihen dem Ganzen einen ganz eigenen Ton. Obwohl auf Rührseligkeiten und auf altbekannte filmische Mittel (Musik, drücken auf die Tränendrüse) nahezu vollkommen verzichtet wird ist der Film niemals langweilig.
Es dauert einige Zeit bis sich der Film zum ersten Mal auf seine Hauptfigur konzentriert: Bobby Sands (Michael Fassbender). Und was soll man sagen: Bei der Performance, die Michael Fassbender (Eden Lake, Inglourious Basterds) in "Hunger" hinlegt, bleibt einem echt nur mehr die Spuke weg. Seit "Der Maschinist" hab ich eine solche Körperlichkeit in einem Film nicht mehr gesehen. Es ist jedoch nicht nur das "runterhungern", das Fassbenders Performance ausmacht, es ist viel mehr die Art wie er Bobby Sands verkörpert, das Feuer, das in seinen Augen lodert, diese Entschlossenheit. Fassbender lebt seine Figur richtiggehend.
"Hunger" ist auch ein wahnsinnig intensiver Film, in dem der Zuseher auch vor Gewalt nicht verschont wird. Als Zuseher wird man immer wieder aus den "stillen", manchmal schon beinahe meditativen Momenten, in Szenen roher Gewalt, richtiggehend herausgerissen. In "Maze Prison", herrscht das Gesetz der Gewalt. Da werden auch mal Stühle und Tische an die Wände geschmissen oder Wärter prügeln mit Schlagstöcken auf halb- bis nackte Gefangene ein.
Noch weitaus schlimmer sind jedoch die Szenen in denen Bobby Sands Essensentzug gezeigt wird. Diese Szenen sind streckenweise wirklich nur schwer erträglich und von einer unglaublichen Intensität.
Wer einen politischen Film über die IRA erwartet, wird wohl oder übel enttäuscht werden. Politik findet nur am Rande statt, es geht weder um die Hintergründe noch darum, für eine der Seiten Partei zu ergreifen.
Regisseur Steve McQueen, der mit "Hunger", seinen Einstand als Filmregisseur vorlegte, setzt vor allem auf die Macht der Bilder und der Beobachtung. McQueen der vor seiner ersten Regiearbeit vor allem durch seine Fotographien und Installationen auffiel, schuf eine betörend schöne Meditation über Gewalt und über das Sterben. Es ist kaum verwunderlich, dass McQueen und sein Hauptdarsteller weltweit auf vielen Festivals abgeräumt haben.
Der Fotograph und Installationskünstler Steve McQueen schuf mit seinem Erstlingswert "Hunger", ein wuchtiges, brutales und gleichzeitig auch unglaublich schönes Werk über menschlichen Widerstand und das Sterben. Der Film wertet nicht, er stilisiert seine Hauptfigur auch nicht zum Helden, er zeigt einfach, wie sich das Leben im berüchtigten Maze Prison anfangs der 80er Jahre abgespielt haben könnte.
Ein beeindruckendes, bildgewaltiges Werk mit brillanten Schauspielern.