OT: Emmanuelle: L'antivierge
EROTIK: FRANKREICH, 1975
Regie: Francis Giacobetti
Darsteller: Sylvia Kristel, Umberto Orsini, Frédéric Lagache, Catherine Rivet
Emmanuelle (oder Emanuela again in der deutschen Fassung) hat ihre sexuellen Lehrjahre in Bangkok beendet. Nun ist sie nicht mehr das frisch vermählte, etwas unbedarfte Nymphchen des ersten Teils, sondern eine versierte Meisterin der Lust, die nichts mehr auslässt. Gemeinsam mit ihrem gleich gepolten Gatten Jean huldigt sie nun in Hongkong der freien Liebe und nimmt sich nebenbei der unerfahrenen Teenagerin Anna-Maria an -
KRITIK:Der Teufel ist der Antichrist und Emmanuelle die Anti-Jungfrau. Nein, das ist kein billiger Einstiegswitz, sondern die verbriefte Übersetzung des herrlichen französischen Originaltitels, EMMANUELLE: LANTIVIERGE
Nachdem EMMANUELLE im Jahr 1974 die Kassen extrem hat klingeln lassen, war klar, dass Teil 2 bald folgen würde. Und tatsächlich ließ EMMANUELLE 2 nur ein Jahr auf sich warten.
Die Inszenierung wurde zunächst erneut Just Jaeckin, dem Erfolgsregisseur des ersten Teils angeboten, doch der wollte lieber DIE GESCHICHTE DER O verfilmen und lehnte ab. Für den Regieposten empfahl er dem Produzenten seinen Kumpel Francis Giacobetti, der ebenso wie Jaeckin aus dem Fotografenfach kam.
Ebenfalls nicht mehr mit von der Partie ist Daniel Sarky, der im ersten Teil noch Emanuelles Ehemann Jean gespielt hat. Würdig ersetzt wurde er von Umberto Orsini, der zumindest Italo-Cineasten, die Filme wie DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS, INTERRABANG oder DER NONNENSPIEGEL im Regal haben, ein Begriff sein sollte.
Gehalten werden konnte aber der Star der Franchise; Sylvia Kristel hatte für drei Filme unterschrieben - den Liebesgöttern und Rousset-Rouards Produzentenweitsicht sei Dank!
Denn Kristel, diesmal mit etwas längerem Haar, absolviert ihre vielen, vielen Sexszenen unglaublich sinnlich und untermauert hier ihren Göttinnenstatus im Erotikkino der 70er mit jedem fliegenden Stellungswechsel. Außerdem stimmt die Chemie zwischen ihr und Filmehemann Orsini auffällig gut.
Die Handlung wurde im zweiten Teil auf ein Minimum heruntergefahren. EMMANUELLE: LANTIVIERGE wirkt wie ein 88-minütiger Werbefilm für die Freuden der offenen Ehe; dabei legen alle Beteiligten eine Promiskuität an den Tag, die in dieser exzessiven Form wohl nur vor dem finsteren AIDS-Zeitalter gefahrlos möglich war.
Es findet sich nur eine dünne Plotline und die hangelt sich ohne Unterbrechung von einem sexuellen Abenteuer zum nächsten. Immer mittendrin zu zweit, zu dritt, zu viert oder allein mit ihren Fingern: EMMANUELLE, die Anti-Jungfrau! Trotz einer herabgesetzten Altersfreigabe (Teil 1: ab 18, Teil 2: ab 16) sind die Sexszenen in EMMANUELLE 2 deutlich expliziter ausgefallen. Selbst in seinem sonst so aufgeschlossenen Heimatland Frankreich hatte der Film seinerzeit mit erheblichen Zensurproblemen zu kämpfen und durfte erst mit zweijähriger Verzögerrung in regulären Kinos gezeigt werden. Ein einflussreicher, offenbar sehr verklemmter Politiker hatte die stilvollen hocherotischen Spiele in LANTIVIERGE als pornographisch empfunden.
Pornographisch per Definition ist es aber nicht, wenn im Rahmen einer kleinen Massagesalonorgie keine Geringere als die spätere BLACK EMANUELLE of Joe DAmato-Fame Laura Gemser (hier noch als geile, namenlose Masseuse) der süßen, nackigen Catherine Rivet eine Body-to-Body-Massage gönnt. Oder Emmanuelle sich einer erotischen Akupunktur inklusive feuchter Tagträume unterzieht. Als Nichtpolitiker ohne Profilierungszwang werten wir mal so: EMMANUELLE 2 verfügt über einen komfortablen und zeigefreudigen Wellnessbereich. Nicht ganz jugendfrei, aber stilvoll. Und es knistert!
Von der Eröffnungslesbenszene im Zwischendeck bis zum finalen, genüsslich in Szene gesetzten Ménage à trois glänzt EMMANUELLE 2 wie eine "Greatest Hits of Softcore"-Sammlung. Das ist verdammt knackig und für die bekanntlich eher spannungslimitierten Genrestandards sogar ziemlich kurzweilig. Die Ohren werden auch verwöhnt. Zwar musste Pierre Bachelets Mixtur aus sleazigem Schlager und psychedelischen Klängen, die noch im ersten Teil zu hören war, Francis Lais erhabenen Klavierstücken weichen, aber da beide Stile Emmanuelles Aktivitäten großartig zu untermalen verstehen, besitzt auch Teil 2 einen sehr formidablen Score.
Überhaupt präsentiert sich EMMANUELLE: LANTIVIERGE als Vertreterin dieser seltenen Spezies von Sequels, die dem Erstling ebenbürtig sind.
Emmanuelle, die Anti-Jungfrau kommt nach (und vor allem in) Hongkong - Weder die FSK 16-Freigabe noch der etwas unglücklich präsentierte Trailer mögen es erahnen lassen, aber EMMANUELLE 2 steckt voller deliziöser hocherotischer Spiele mit einer ultrasinnlichen Sylvia Kristel in der Blüte ihrer Schönheit. Hier findet ein Klassiker des erotischen Films seine würdige Fortsetzung.