OT: La vittima designata
GIALLO: ITALIEN, 1971
Regie: Maurizio Lucidi
Darsteller: Tomas Milian, Pierre Clémenti, Katia Christine, Luigi Casellato
Stefano war nur ein kleiner Grafiker- dann hat er seine Chefin geheiratet. Jahre später gehören ihm Teile der Firma, aber er liebt seine Frau nicht mehr. Daher plant er Aktienanteile der Firma zu verkaufen; um mit der jüngeren Geliebten ein neues Leben beginnen zu können. Einzig und allein die Unterschrift seiner Frau fehlt unter dem Kontrakt und die bekommt er natürlich nicht. In Venedig trifft Stefano den geheimnisvollen Grafen Tiepolo. Der unterbreitet das Angebot, Stefanos Probleme zu lösen, in dem er dessen Frau tötet. Im Gegenzug soll Stefano Tiepolos Bruder ermorden. Stefano geht nicht auf den Handel ein, doch kurz darauf ist seine Frau trotzdem tot. Und Stefano ist plötzlich der Hauptverdächtige. Nur Tiepolo könnte ihn entlasten, doch der pocht auf Einhaltung des im Grunde nicht geschlossenen Paktes
KRITIK:Freilich. Ein Schelm, der bei dieser Inhaltsangabe nicht automatisch an Hitchcocks STRANGER ON A TRAIN denkt. Das soll aber nicht weiter verwundern, denn sowohl der Hitchcock-Klassiker aus dem Jahr 1951 als auch Lucidis genau zwanzig Jahre später entstandener TODESENGEL basieren beide auf dem Debütroman der Krimiautorin Patricia Highsmith. Und wie einst Meister Hitchcock macht auch Maurizio Lucidi aus seiner Variante eine Nah-Höchstpunktzahl-Erfahrung.
Nur findet bei Lucidi die Schicksalsbegegnung zwischen dem sich aufdrängenden Auftragskiller (grandios: Pierre Clémenti) und dem naiven "Komplizen" wider Willen (auch grandios: Tomas Milian) nicht in einem Zugabteil statt, sondern in Venedig. Demnach keine STRANGERS ON A TRAIN, sondern Strangers in Venice
Inhaltlich ist DER TODESENGEL also klassischer Thrillerstoff (bei dem man noch ein paar perfide Schippen draufgepackt hat) und formal ein formvollendeter Giallo.
Eine ruhige, immer versierte und vor allem atmosphärische Bildersprache. Darüber klingt eine von den New Trolls interpretierte Bacalov-Komposition; ein melancholisch getragenes wiederkehrendes Hauptthema. Dazu kommt der Schauplatz Venedig; mit der Einschränkung, dass die Handlung nicht ständig in der Lagunenstadt spielt, sondern zwischen Venedig, Mailand und einem dritten Schauplatz hin und herpendelt.
Doch die bedeutendsten Szenen, sozusagen das Alpha und Omega des TODESENGEL liegen in Venedig. Denn dort begegnen sich der geheimnisvolle, adelige Hippie mit dem Tod im Sinn und der neureiche, außerehelich turtelnde Grafiker zum ersten Mal und der eine wird in dem anderen den perfekten Partner für den perfekten Mord erkennen. Das daraus resultierende mörderische Spiel zwischen diesen beiden hochinteressanten Figuren ist nicht nur äußerst perfide angelegt, sondern besitzt auch eine bemerkenswert psychologische Tiefe.
Da wäre dieser teuflisch raffinierte Plan, der über die gesamte Filmlänge immer wieder neue verschlagene Abgründe und Fallstricke offenbart. Wobei das ultimativ sardonische As -wie es sich gehört- erst in der letzten Einstellung ausgespielt wird. Das ist böse. Hat Style. Und Substanz. Ich will jetzt nicht behaupten, dass DER TODESENGEL tatsächlich der eine Giallo mit dem brillantesten Plot schlechthin ist, aber er gehört zum engeren Favoritenkreis. Das Psychoduell Clémenti vs. Milian darf sich sicherlich zu den anspruchsvollsten im Genre rechnen und macht trotzdem soviel Spaß wie das von Stephen Forsyth mit dem Gespenst seiner Gemahlin in HATCHET FOR THE HONEYMOON, Lassander vs. Leroy in THE FRIGHTENED WOMAN oder Verleys Psychokrieg mit Tante und Cousinchen in A BELL FROM HELL.
Es versteht sich fast von selbst, dass das Gänsehautfinale in Venedig stattfindet und buchstäblich mit einem solch gemeinen Knalleffekt endet, dass euch diese letzte perfide Raffinesse des TODESENGEL noch lange nach dem Abspann im Gedächtnis bleiben wird. Venedig sehen und sterben. Wie wahr, wie wahr
Der Graf Tiepoli fordert Tomas Milian zu einer Partie Mord...und die Ränkeschmiede des Grafen läuft wie geschmiert. - Zur Heiligen Venezianischen Dreifaltigkeit gehören: Der übersinnliche WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN, Lados THE CHILD und eben er hier - DER TODESENGEL. Letzterer steckt den Klassiker STRANGERS ON A TRAIN ins gelbe Kleid, gibt dem Stoff noch etwas perfiden Schliff und Style und glänzt am Ende als psychologisch tiefgründiges und hochatmosphärisches Genrejuwel. Dazu gibt es den perfekten Mord im Doppelpack und von mir nichts als Ehrfurcht.