OT: Col Cuore in Gola
GIALLO: ITALIEN, 1967
Regie: Tinto Brass
Darsteller: Jean-Louis Trintignant, Ewa Aulin, Roberto Biascco, Charles Kohler
In einem Club will Bernard den zwielichtigen Geschäftsführer sprechen, findet in dessen Büro aber nur dessen Leiche vor - und die junge, bezaubernde Jane, die bestreitet etwas mit dem Mord zu tun zu haben. Das weckt Bernards Beschützerinstinkt. Er fängt nicht nur ein Techtelmechtel mit Jane an, sondern muss sie auch vor den durch den Mord aufgescheuchten Exekutiven der Unterwelt retten. Außerdem setzt er alles dran, den Killer zu finden -
KRITIK:Tinto Brass ist ein Name, den man vor allem mit versierter filmischer Erotika und der einen oder anderen skandalösen Ausfälligkeit im Kontext mit dem Römischen und dem Dritten Reich (siehe CALIGULA und SALON KITTY) in Verbindung bringt.
Doch zu Beginn seiner Karriere hat der gebürtige Mailänder auch andere Felder beackert. Ein Beispiel aus den späten Sechzigern ist der psychedelische Pop-Art-Giallo DEADLY SWEET, der lose auf einem Roman von Sergio Donati basiert. Auch wenn der Crime-Plot mitreißt, spielt er im Gesamtkonzept eine eher untergeordnete Rolle. Denn hier sucht Brass den Bilderrausch, den Exzess der Stile.
Mit visueller Schützenhilfe des Künstlers Crepax (dessen Valentina-Comics als Vorlage zu Farinas (über-)sinnlichem BABA YAGA gedient haben) schickt uns Brass auf einen Trip, der uns innerhalb Sekunden von farbenprächtigster psychedelischer Pop-Art ins triste Schwarz/weiß des Film Noir und wieder zurück führt. Die Szenenausstattung quillt über mit Details und Blickfängern. Dazu kommen extravagante Kameraperspektiven, Split Screens, Giallo-Style, Comic-Flair, sexy scenes und die lockere Mucke von Armando Trovajoli.
Inmitten dieser völlig entrückten Detektivfilmatmosphäre, den undurchsichtigen Figuren und zwergenwüchsigen Gangstern; jener blonde schwedische Schmollmund, der den englischen Filmtitel unter Garantie inspiriert hat. Die hinreißende Ewa Aulin - einfach nur DEADLY SWEET. Streng genommen sogar kriminell süß, denn auch wenn sie älter wirkt, zum Zeitpunkt des Drehs zählte sie gerade einmal siebzehn Lenze. Doch schon in diesen jungen Jahren präsentiert sie sich äußerst souverän und charismatisch.
Und weil P.C. im Morgengrauen der Free Love-Ära kleingeschrieben wurde, sind sogar ein paar dezente Blicke auf ihre Nacktheit drin. Allerdings sind diese Szenen - vor allem, wen man bedenkt, wer auf dem Regiestuhl gesessen hat - erstaunlich handzahm, so dass DEADLY SWEET nicht ein Hauch von Skandalträchtigkeit umweht. Wobei eine gewisse erotische Note nicht von der Hand zu weisen ist. Nehmt nur einmal den renommierten Jean-Louis Trintignant. Ein kleiner hinter Fotoleinwand als Schattenspiel dargebotener Strip von Aulin- und überbordendes Testosteron macht aus einem französischen Superstar eine ernsthafte Konkurrenz zum Tier aus der MUPPET SHOW.
Und diese Szene sollte man erlebt haben. Bei Trintignants Schlagzeugsolo mit anschließender halbnackt eingesprungener Johnny Weismüller-Hommage bleibt wohl kein Zwerchfell unangetastet. So lustig kann die Brunftzeit sein. Halten wir fest, dass DEADLY SWEET einige heitere Momente ins eher bierernste Fach des Giallo bringt, sich aber freilich nicht als Komödie versteht. Aberwitziger, psychedelischer Thriller eignet sich als Umschreibung wohl besser. Und der ist recht flott und leichtfüßig inszeniert - mit seinen im fliegenden Wechsel befindlichen Turteltauber-eien, Verfolgungsjagden und Schießereien. Ins letzte Drittel haben sich zwar ein paar Ermüdungserscheinungen eingeschlichen, aber die sind bis zum formvollendeten fine noir wieder behoben.
Zwischen all den Erotikfilmen und Skandalwerken steckt mit DEADLY SWEET auch ein einsamer Giallo in der Vita von Tinto Brass. Im Morgengrauen der Free Love-Ära finden sich Jean-Louis Trintignant und das hinreißende Swedish Blonde Ewa Aulin in einer aberwitzigen Mischung aus Giallo, Detektivfilm und reiner Psychedelica wieder. DEADLY SWEET ist ein eigenwilliger, schräger Thriller ohne Regeln; ein beschwingter Exzess der verschiedenartigsten Stile und Filmtechniken und eine kleine Liebeserklärung an Ewa Aulin. Dieser alles andere als exemplarische, durch und durch extravagante Giallo dürfte Genrepuristen in dem Maße abschrecken wie er die Fans eigenwilliger, psychedelischer Kost begeistern wird.