OT: Caligola
SEXPLOITATION/HISTORIENDRAMA: I, 1979
Regie: Tinto Brass
Darsteller: Malcolm Mc Dowell, Teresa Ann Savoy, Helen Mirren, Peter O´Toole
Der Aufstieg, die Exzesse und der Fall jenes antiken Kaisers, der als einer der grausamsten und dekadentesten unter den römischen Cäsaren gilt
KRITIK:Selten war eine Entstehungsgeschichte und anschließende Vermarktung eines Films so abenteuerlich wie in diesem vom Herrenmagazin Penthouse produzierten Film von Tinto Brass über den kaiserlichen Tyrannen Gaius Caesar Augustus Germanicus - kurz Caligula -, der Rom in der Zeit von 37 bis 41 nach Christus beherrschte. Und selten haben sich so viele Beteiligte vom fertiggestellten Werk so vehement distanziert wie hier geschehen. Denn irgendwie schämen sie sich alle für CALIGULA. Der Regisseur, der Drehbuchautor, die Stars des Films - alle nähren sie die Vermutung, dass sie den Film am liebsten ungeschehen machen würden.
Warum? Nun, die Geschichte des Films ist wohl auch eine Geschichte des Missverständnisses. Ein renommierter Autor - Gore Vidal - recherchiert lange die römische Antike und entwirft ein Drehbuch, welches er gerne als Historiendrama verfilmt sehen würde.
Es können auch namhafte Stars wie Peter O´Toole, Malcolm McDowell und Helen Mirren für die Sache gewonnen werden. Doch der potente Geldgeber ist das Penthouse-Magazin und die Verpflichtung von Tinto Brass anstelle des ebenfalls gehandelten Nicolas Roeg als Regisseur ist in der Retrospektive schon als Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen; die Produzenten wollten das Baby schmutzig haben. Denn Brass hat ja schon mit SALON KITTY bewiesen, dass er auf dem Gebiet der artifiziellen Skandalträchtigkeit bewandert ist.In dieser Hinsicht hat er sich auch bei CALIGULA ins Zeug gelegt, doch das war den Produzenten immer noch nicht Sleaze genug. Kurzerhand wurde hinter dem Rücken des Regisseurs noch etwas an Hardcore-Material nachgedreht und in den Film geschnitten, während dafür einiges an Handlung weichen musste. In der Folge der daraufhin einsetzenden Grabenkämpfe hat Autor Gore Vidal seinen Namen vom Projekt zurückgezogen und auch Brass, dem mittlerweile die Gewalt über den Endschnitt entzogen worden war, distanzierte sich wutentbrannt. Und wie Peter O´Tooles Gesicht lang geworden ist, als er im Nachhinein feststellen musste, dass er Teil eines opulenten, vor Perversionen und Tabubrüchen strotzenden Historien-Hardcorepornos geworden ist, darf sich der Leser nun selbst vorstellen.
Inwieweit die Visionen Brass´ oder Vidals letztendlich Eingang in den fertigen Film gefunden haben, lässt sich wegen besagtem Hickhack nicht mehr so einfach feststellen. Zumal auch zensurbedingt eine Masse unterschiedlichster Schnittfassungen zu dem Film existiert, deren jeweilige Lauflängen zwischen 102 und 210 Minuten liegen; dieser Rezension lag übrigens die längste derzeit erhältliche Fassung von 156 Minuten zugrunde. Und dies sollte auch die Version sein, die Caligula selbst wohl am meisten zusagen würde; weil sie alle Schweinereien enthält.
Und die sind so zahlreich vertreten, dass sich viele - seien es Kritiker, Filmfans, IMDB-User oder gar diverse Crewmitglieder - selbst heute noch mit Grausen abwenden.
CALIGULA ist nämlich vor allem eins: Eine epische Ode an die Grausamkeit und die Ausschweifung. Ein perverses Kaleidoskop, das uns den Alptraum Dekadenz ungeschönt zeigt. Ein Film, welcher - anspielend auf ein paar Filmszenarios formuliert - die Tabus reihenweise enthauptet, bestrullert oder faustfickt. Und das tut er mit einer Genitalienschlagzahl, die für eine Legion FKK-Strände stehen könnte. Aber hey, wir verweilen schließlich am verkommenen Hof eines superberüchtigten Cäsaren im alten Rom. Da herrschen Willkür, Niedertracht, Geilheit, Perversion und Folter nun mal. Da bekommt ein frisch zu Tode gefolterter Mann schon mal eine goldene Dusche von einer debil kichernden Gespielin Caligulas oder letzterer liegt mit einem Pferd (!) im Bett. Oder baut ein Liebes-Sklavenschiff, auf welchem die Senatorengattinnen zwangsprostituiert werden. Oder eine gigantische Häcksel- und Enthauptungsmaschine für die Brot und Spiele
Denjenigen, die sich noch nicht angewidert weggeklickt haben, sei gesagt, dass hinter diesem Film, der sich in der Synopsis wie ein zwielichtiger Gewaltporno liest, ein Millionenbudget gestanden hat. Und das sieht und hört man!
Die teilweise unglaublichen Abartigkeiten sind opulent ausgestattet und spielen sich in prächtigen Kulissen ab, wo sie von einem Wahnsinnsscore von Bruno Nicolai begleitet werden. Wobei sich selbst der Meisterkomponist hinter dem Alias Paul Clemente versteckt.
Ja, und mittendrin in den Orgien, den Demütigungen und sexuellen Ausschweifungen sind die namhaften Stars. Helen Mirren, Peter O´Toole, Teresa Ann Savoy (die wir noch aus dem SALON KITTY kennen und die hier einen einprägenden Auftritt als Caligulas Schwester hat) und natürlich Malcolm Mc Dowell. Letzterer spielt - irgendwo im hyperaktiven Raum zwischen Genie und Wahnsinn - Caligula, jene Kreuzung aus psychotischem Imperator, Sadist, Clown und Geisteskranken.
Für geisteskrank mögen auch mich viele halten, wenn ich mit den Worten schließe, dass ich CALIGULA für einen bemerkenswerten Film halte. Auch wenn ich mich angesichts seiner perversen Tabubrüche und permanenten Widerlichkeiten fast dafür entschuldigen möchte.
Doch CALIGULA ist ein Film, den man nicht vergisst. Denn eine solche Symbiose aus Majorbudget, grandiosen Kulissen, Hollywoodgrößen, Gore und hartem Sex wird man auf einer Leinwand bestimmt nicht mehr erleben dürfen
Sollte jemand einmal eine logische Begriffskette mit drei Gliedern von euch verlangen, dann sagt einfach JUSTINE DE SADE, DIE 120 TAGE VON SODOM und CALIGULA und ihr kriegt die hundert Punkte. Denn in Sachen Skandalträchtigkeit und Tabubruch steht dieser perverse und starbesetzte Ausflug ins alte Rom den genannten Filmen in nichts nach. Ist der Film lediglich pornographischer Müll oder ein Meisterstück, das das antike Drama mit extremster (S-)Exploitation eint? In dieser Frage spalten sich die Lager, wobei meine bescheidene Meinung eher zu letzterem tendiert.