DRAMA: D, 2003
Regie: Christian Petzold
Darsteller: Benno Fürmann, Nina Hoss, Antje Westermann, Astrid Meyerfeldt, Matthias Matschke
Ein Mann überfährt in einem kurzen Moment der Unachtsamkeit einen kleinen Jungen und begeht anschließend Fahrerflucht. Von Schuldgefühlen geplagt sucht er nach dem Tod des Kindes Kontakt zur trauernden Mutter und verliert gleichzeitig mehr und mehr die Kontrolle über sein eigenes Leben
KRITIK:Es ist nur ein kurzer Moment, ein lautes Geräusch, das das Leben des erfolgreichen
Verkaufsleiters Philip für immer verändern soll. Ein kurzer Moment der
Unachtsamkeit, nach dem Philips Leben nie wieder so sein wird, wie er es einmal
kannte. In gewohnt kühlen, nüchternen Bildern erzählt der deutsche Regisseur
Christian Petzold ("Die Innere Sicherheit", "Yella") eine Geschichte über Schuld und Sühne, über falsche
Entscheidungen, die einen nicht mehr los lassen.
Im Mittelpunkt steht Philip (Benno Führmann), ein erfolgreicher Verkaufsleiter mit
schicken Wagen, hübscher Verlobten, schönem Haus. Einer der es geschafft hat. Nach
dem Unfall begeht er Fahrerflucht, wissend damit einen Fehler zu begehen. Philip
weiß, dass er sich stellen muss. Er fährt zur Polizei, übt während der Autofahrt
sein Geständnis, nur um im entscheidenden Moment abermals den Mut zu verlieren.
Spätestens jetzt ist klar, dass sein souveränes Auftreten bei Verkaufsgesprächen,
seine selbstbewusste Art, all das lediglich gespielt ist. Philip tut schließlich
das, was so viele in seiner Situation tun würden; er verschließt die Augen, er
versucht zu vergessen und flüchtet: Nach Kuba, in der Hoffnung, dass Gras über die
Sache wachsen würde.
Als er zurückkommt erlebt er den nächsten Schock. Der kleine Junge, den er beim
Unfall verletzt hat, ist in der Zwischenzeit gestorben.
Ein Supergau, der sein Leben nun endgültig auf den Kopf stellen soll, denn vor
seinem schlechten Gewissen, vor seinen Schuldgefühlen kann er nicht fliehen. Zumal
er auf den Weg zur Arbeit immer am kleinen Holzkreuz, das in Gedenken an den kleinen
Paul aufgestellt worden ist, vorbei muss.
Von nun an sucht Philip Kontakt zu Pauls Mutter Laura (Nina Hoss), die schwer unter
dem Verlust ihres Sohnes leidet. Paul war ihr einziges Kind. Außer Paul gibt es
nichts, das Philip und Laura zu verbinden scheint, Laura kommt aus dem anderen Ende
der sozialen Kette. Während Philip gerade mal eben so 30000 Euro ausgeben kann,
sieht sich Laura gezwungen Lebensmittel aus dem Supermarkt, in dem sie als
Verkäuferin arbeitet, mitgehen zu lassen.
Die sozialen Ungerechtigkeiten werden
zwar nicht direkt angesprochen, doch sie treten immer wieder zum Vorschein, sei es
in den erniedrigenden Taschenkontrollen beim Supermarkt oder im zynischen Kommentar
des Filialleiters auf die Frage, warum ihr bei ihrer Entlassung Geld abgezogen
worden wäre, dass ihr unrechtmäßig ein paar Monate zu lang ein Kinderzuschuss
ausbezahlt worden wäre.
Petzolds Film macht es den Zusehern nicht leicht. Trostlosigkeit überwiegt in
Wolfsburg. Selbst als sich das Leben der Protagonisten zu bessern beginnt, ahnt man
als Zuseher stets, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen wird, dass die Wahrheit
irgendwann ans Licht treten wird. Auch wenn Wolfsburg anfangs, vor allem Aufgrund
der Story, noch Assoziationen mit einem Fernsehfilm wachruft (der Film war
ursprünglich fürs TV geplant, schaffte es später dann doch noch in die Kinos)
wird man, je länger der Film fortläuft, mehr und mehr mitgerissen von Story und den
starken Schauspielern.
Petzold versteht sein Handwerk zweifelsfrei, wie sonst lässt
sich erklären, dass man obwohl man als Zuseher gegen Schluss schon die nächsten
Schritte der Protagonisten ahnt, bis zum Schluss mitgerissen wird, nur um am Ende
(emotional) noch eins auf den Deckel zu kriegen.
Auch wenn die Geschichte etwas konstruiert klingen mag und einigen das Verhalten des
Unfalllenkers merkwürdig vorkommen wird, bietet genau diese Konstellation aber auch
die Möglichkeit die Figuren auf kleinsten Raum aufeinanderprallen zu lassen.
Petzold schuf einen Film der sich auf seine Charaktere verlässt, ihnen viel Raum
bietet, ohne krampfhaft nach Erklärungen zu suchen. Wolfsburg ist ein Film, der so
vieles ungesagt lässt und sich stattdessen darauf verlässt, dass der Zuseher auch
ohne viele Worte, nur durch Bilder, kurze Augenblicken und Handlungen, versteht.
Grandiose Darsteller, die in der nüchternen Welt Christian Petzolds aufeinanderprallen. Wolfsburg ist einer dieser Filme, die mehr andeuten als sagen und gleichzeitig ein einfühlsames Drama über Schuld und Sühne. Und das ganze ohne zu dick aufzutragen oder gar rührselig zu werden.