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GOOD MOVIES FOR BAD PEOPLE

Special: Sherlock Holmes

221b BAKER STREET – Auf den filmischen Spuren von Sherlock Holmes (Teil 2)

Sherlock Holmes im Geheimdienst Ihrer Majestät und gegen Nazis

THE ADVENTURES OF SHERLOCK HOLMES war gleichzeitig die letzte Ermittlung, die Sherlock Holmes und Kollege Watson im Auftrag von Fox führten. Im Jahr 1942 übernahmen die Universal Studios die Filmrechte. Der Wechsel der Produktionsgesellschaft bedeutete auch den vorläufigen Abschied aus dem viktorianischen England der Literaturvorlage. 1942 befand sich die Welt im Krieg. Eine schreckliche Wirklichkeit, die sich auch in der Unterhaltungsbranche niederschlug. Und ganz deutlich in den folgenden Sherlock Holmes-Filmen.

Eins vorweg: Schlechtwetter gegen Nazis zu machen, ist natürlich immer gut und richtig. Aber man muss kein Holmesianer sein, um zu wissen, dass der klassische Sherlock Holmes eigentlich im viktorianischen Zeitalter verwurzelt ist. Somit wirkt es aus heutiger Sicht schon sehr befremdlich, unseren Lieblingsdetektiv in Filmen wie SHERLOCK HOLMES AND THE VOICE OF TERROR (Die Stimme des Terrors, USA 1942) und SECRET WEAPON (Die Geheimwaffe, USA 1942) als Werbemännchen amerikanischer Kriegspropaganda zu sehen. Danach war mein erster Gedanke zunächst einmal: Nazis? - Nein danke! Sherlock Holmes und Nazis – Sorry, auch nein danke!

Secret Weapon

Andererseits sind diese Filme ganz konkrete Dokumente ihrer Zeit und so bekommt es ein – ähem - außerordentlich interessant frisierter Holmes dort eben nicht mit unheimlichen Höllenhunden, böhmischen Skandalen, schwarzen Witwen, Juwelenräubern oder finsteren Erpressern zu tun, sondern mit Nazis, Kollaborateuren und deutschen Spionen.

Auch wenn dies zumindest leidlich spannend sein kann, in den besten Momenten stilistisch sogar etwas nach film noir aussieht und schon allein das im Holmes-Universum ungewohnte (fast schon abstrus wirkende) Nazi-Element dann und wann für WTF-Momente sorgt, ist und bleibt es dennoch im hohen Maße gewöhnungsbedürftig. Sherlock Holmes im Geheimdienst Ihrer Majestät während des 2. Weltkriegs: Irgendwie so passend wie eine Runde Strip Poker beim Kaffeekränzchen des Seniorentreffs ...

Da hilft auch nicht, dass Sherlock Holmes in SECRET WEAPON einmal Edgar Allan Poes Kurzgeschichte "The Purloined Letter" zitiert und leider auch nicht, dass der großartige, aber in diesem Plot ebenfalls verschenkte George Zucco als Professor Moriarty mitmischt, wenn sich Briten und Nazis um eine kriegsentscheidende Waffe balgen.

Sherlock der Allwissende, Sherlock der letztmals Schlechtfrisierte

Verschwundene wichtige Dokumente, die Großbritannien in haarige internationale Krisen stürzen könnten, gab es schon in Doyles literarischen Vermächtnis – man denke nur an "Das Marineabkommen". Aber trotz solch politisch brisanter Unterlagen als Grundlage des Falls war "Das Marineabkommen" ohne Zweifel waschechter Detektivstoff, die mit Vernehmungen und großartigen Kombinationen zur Lösung des Verbrechens strebte.

In Basil Rathbones nächsten Auftritt als genialer britischer sleuth SHERLOCK HOLMES IN WASHINGTON (Verhängnisvolle Reise, USA 1942) stören zwar keine Nazis, doch die Verwicklungen um einen Mikrofilm und eine verschwundene wissenschaftliche Formel, die zur Gefahr für die Allgemeinheit werden könnte, legt dennoch eine Geheimagentenmission näher als eine klassische Detektivgeschichte.

Verhängnisvolle Reise

Zumindest die Eröffnungssequenz in der Eisenbahn, als die Verbrecher, die es auf die Formel abgesehen haben, deren Besitzer im Salonwagen ausfindig machen, ist herrlich spannend in Szene gesetzt. Danach fällt das Drehbuch allerdings gleich mehrmals unangenehm auf. Beschämend, ja fast schon lächerlich, ist die Art und Weise, wie penetrant Sherlock Holmes die Lösung des Falls nicht mittels seiner bewährten deduktiven Kombinationsgabe, sondern simpel und ärgerlich mit offensichtlich göttlichen Eingebungen vorantreibt. Kaum ein Rätsel wird logisch aufgeklärt; Holmes greift sich die Antworten quasi aus dem Nichts. Während Holmes hier dem Rang eines hellsichtigen Allwissenden verdächtig nahe kommt, vertrottelt sein Kollege Watson sehr zum Leidwesen der Doyle-Puristen immer mehr. Am Ende steht zwar ein recht flottes Finale mit Vorzeige-Bösewicht George Zucco (diesmal allerdings nicht in der Moriarty-Rolle, sondern einen sinistren Bösewicht anderen Namens mimend), aber auch ein unvermeidliches Winston Churchill-Zitat. Alles in allem dennoch ein Licht am Ende des Nazitunnels und Gott sei Dank das letzte Mal, wo der schauspielerisch wie immer souveräne Basil Rathbone diese wilde Frisur trägt, die sein Haupt seit THE VOICE OF TERROR (verun-)ziert!

Gespenster im Schloss, Schwarze Witwen, teuflische Krallen – Zurück zu alten Tugenden

Mit einer eines Holmes würdigen Frisur geht es ein Jahr später mit SHERLOCK HOLMES FACES DEATH (Gespenster im Schloss, USA 1943) endlich zurück zum Doyle-Kanon; und zwar zum "Musgrave-Ritual"; obgleich mit ein paar Modifikationen im Vergleich zur literarischen Vorlage. Trotzdem: Eine aristokratische Familie mit üblen Leumund und der merkwürdigen Tradition, dass ihre Mitglieder oftmals vorzeitig und gewaltsam aus dem Leben scheiden. Ein altes, unheimliches Gewächshaus. Mysteriöse Mordfälle. Eine Rätsel beladene Trauerrede. Ein Schachspiel, welches den Weg zur Lösung weist. Und keine Nazis. So schön kann klassisches Whodunit mit Gruseleinschlag sein!

Sherlock Holmes faces Death

Auch Holmes' nächster Fall THE SPIDER WOMAN (Das Spinnennest, USA 1944) spielt nicht zu viktorianischer Zeit wie es die literarische Vorlage eigentlich vorsieht. Der Hitler-Pappkamerad einer Jahrmarktsschießbude, dem übrigens im hochspannenden Finale eine besondere Rolle zukommt, gibt einen deutlichen Hinweis darauf, dass auch diese Folge zeitlich in den kriegsgebeutelten 40ern angesiedelt ist. Im Gegensatz zu den "Fürs Vaterland in geheimer Mission"-Folgen tut dies dem klassischen Holmes-Feeling jedoch keinen Abbruch. Aus Versatzstücken verschiedener von Doyle verfassten Originalen hat man hier ein mächtiges Serienhighlight geschaffen. Ein Basil Rathbone in Hochform muss hier nicht nur seinen Tod vortäuschen und in zahlreiche Verkleidungen schlüpfen, sondern bekommt es in der Folgezeit auch mit rätselhaften Pyjama-Selbstmorden, giftigen Spinnen und einer teuflischen, gerissenen Schwarzen Witwe in der lasziv-gefährlichen Gestalt der wunderbaren Gale Soondergaard zu tun. Außerdem sorgt Nigel Bruce als Dr. Watson wohl für das komödiantische Highlight der gesamten Reihe. Wir kombinieren: 9 von 10 Schwindelanfällen beim Angeln!

Das war schon eine Hausnummer, aber es geht unglaublicherweise noch besser. Ein Fall, der auf einer Konferenz der Kanadischen Okkulten Gesellschaft beginnt und in welchem "Gespenster" umgehen, die Schafen und edlen Ladies die Kehlen durchschneiden, ist ganz nach meinem persönlichen Gusto. Und sicherlich auch ein Leckerbissen für all diejenigen, die eine Schwäche für Sherlock Holmes' übernatürlich anmutenden Fällen wie THE HOUND OF THE BASKERVILLES oder THE LAST VAMPYRE haben.

The Scarlet Claw

Es herrscht ein prächtiges, im positiven Sinne altmodisches Gruselflair in diesem im Moor gelegenen Örtchen namens La Morte Rough (Nomen est Omen!). Wenn dort im Nebel die Glocken schlagen oder geisterhafte Erscheinungen übers Moor hetzen, fühlt man sich zurückversetzt in die leider längst vergangene Zeit des guten, alten Schauerfilms. Doch nicht nur mit seiner erlesen düsteren Atmosphäre kann THE SCARLET CLAW (Die Kralle, USA 1944) punkten, sondern auch mit seinem twist- und leichenreichen Plot, der mehr als einmal überraschende Wendungen hervorbringt und einen besonders garstigen Mörder beherbergt. Dazu ein Basil Rathbone in der Form seines Lebens und ergo haben wir eine Holmes-Verfilmung der Spitzenklasse! So gut, dass man ihm selbst das Pathos-triefende Churchill-Zitat am Ende gerne verzeiht.

Fortsetzung folgt!

Zum ersten Teil des SHERLOCK HOLMES-Specials

TEXT © Christian Ade