OT: Kurtlar vadisi - Filistin
ACTION: TR, 2011
Regie: Zübeyr Sasmaz
Darsteller: Harun Aykut, Nur Aysan, Erdal Besikçioglu, Petr Caballos
Der türkische James Bond-Klon Polat Alemdar reist nach Israel, um die Verantwortlichen für das Blutbad an Bord der Gaza-Hilfsflotte zu eliminieren ...
KRITIK:Uzi durchladen und ab in die Höhle des Löwen. Also ins Tal der Wölfe. Die Uzi ist natürlich nur imaginär. Der entgegen anders lautender Gerüchte keineswegs vorurteilsfreie Angsthase in mir hatte nämlich befürchtet, sich vor dem Kinobesuch in Hunter S. Thompson-Manier bewaffnen zu müssen. Die Höhle des Löwen ist der 700 Leute fassende Premierensaal in der UCI Millennium City, die TAL DER WÖLFE - PALÄSTINA exklusiv zeigt. In türkischer Originalfassung mit deutschen Untertiteln.
Die Angst war natürlich völlig unbegründet. Selten so ein diszipliniertes Kinopublikum erlebt. Dezentes Popcorn-Rascheln, klar. Die üblichen Zu-spät-Kommer, die im Dunklen ihre Sitze nicht finden können, natürlich. Aber keine dummen Kommentare, Handygespräche oder spontane Freudentänze, wenn einer der israelischen Bösewichte ins Gras beißt. Es herrscht eine erwartungsvolle, fast schon feierliche Stimmung. Cineastische Kontemplation, quasi. Hätt' ich mir nicht erwartet.
Die Türken gelten ja als die Kärntner des erweiterten Europas: Freundliche, von südländischer Herzlichkeit geprägte Menschen, manchmal vielleicht ein bissl zu temperamentvoll und politisch nicht immer ganz geschmackssicher, aber im Grunde gut.
Und solche Menschen drehen einen Film, der laut Aussage deutscher NGOs "antiamerikanische, antiisraelische und antisemitische Stereotypen mit volksverhetzendem Charakter" verbreite. Kann ich nicht ganz glauben. Muss ich mit eigenen Augen sehen. Halt ich für die Grundvorraussetzung, um mitzudiskutieren.
Und 105 Minuten später, als der Abspann - übrigens graphisch aufgelockert durch unzählige Sponsorenlogos, unter anderem von einem großen fernöstlichen Autohersteller - über die Leinwand flimmert, steht fest: Die Vorwürfe stimmen. Einerseits. Der Film ist definitiv israelfeindlich. Schon in der Eröffnungsszene wird suggeriert, dass das Blutbad an Bord der Gaza-Flotte angeordnet worden wäre. Und zwar von einem israelischen Bösewicht von geradezu biblischem Format: Der Mann, Mosche heißt er, sieht aus wie der jüngere Bruder von Danny Trejo (minus dessen Charisma), trägt eine stilechte Augenklappe, schwadroniert von der Errichtung "Groß-Israels vom Euphrat bis zum Nil" und lässt in einer besonders fiesen Szene ein behindertes Kind unter den Trümmern eines zerstörten palästinensischen Hauses begraben.
Ist der Film auch antisemitisch? Ich tu mir schwer, das 100 Prozent korrekt zu trennen. Die Macher werden wohl jeden Antisemitismus-Vorwurf nonchalant vom Tisch wischen. Schließlich legt der Drehbuchautor einer palästinensischen Frau die Zeile "Unsere Feinde sind nicht die Juden, sondern die Unterdrücker" in den Mund. Und es gibt im Film eine Jüdin, die zu den "Guten" gehört.
Ja, das gute alte Gut-Böse-Schema, in Hollywood seit Menschengedenken gehegt und gepflegt, hat die Reise an den Bosporus unbeschadet überstanden, die genreüblichen Zuspitzungen und liebevoll gepflegten Ressentiments ebenso.
"Die bauen 10 Meter hohe Mauern und unterdrücken alle und die Welt schaut zu. Dieser Film zeigt die Wahrheit", sagt ein Jüngling, der sich wohl an der Alterskontrolle (FSK 18!) vorbeigeschmuggelt haben muss, nach der Vorstellung in die ORF-Kameras.
Ich sag jetzt auch die Wahrheit: Als Actionfilm versagt TAL DER WÖLFE - PALÄSTINA - nein, nicht auf ganzer Länge, aber auf einem Gutteil der mit 105 Minuten eindeutig zu üppig bemessenen Laufzeit. Der mit 10 Millionen Dollar angeblich teuerste türkische Film aller Zeiten bewegt sich handwerklich in etwa auf dem Niveau einer Spätneunziger Van Damme-Videopremiere.
Die Geschichte ächzt und stöhnt unter der Kernkompetenz der türkischen Filmindustrie: Der Soap-Opera-Produktion. Zu pathostriefender Musik wird eine israelische Gräueltat an die andere gereiht, um beim Publikum moralische Empörung zu generieren. Höhepunkt ist die schon erwähnte Hauszerstörung mit dem Bulldozer. Ja, ich weiß, diese durchaus umstrittene Strafmaßnahme gegen Selbstmordattentäter wurde vom israelischen Militär tatsächlich praktiziert. Aber hier muss noch ein verstümmeltes Kind vom Ober-Bösewicht persönlich hilflos im Haus zurückgelassen werden.
Derartige geballte israelische Unmenschlichkeit schreit natürlich nach gerechter, sprich: türkischer Bestrafung. Die kommt in Form eines an Spielbergs MÜNCHEN angelehnten Rachekommandos und sorgt zumindest für einen einigermaßen solide inszenierten Showdown, der den Film aber auch nicht mehr rettet.
Tal der lahmen Enten: Als Actionfilm ein mittelprächtiger Knallfrosch auf dem Niveau einer Spätneunziger-Videopremiere. Für einen Propagandafilm von bemerkenswerter, fast schon sympathischer geistiger Schlichtheit. Alles in allem ein bizarrer Wannabe-Skandalfilm, sehenswert allein aus filmwissenschaftlichen Gründen. Oder aber als - aus islamischem Blickwinkel - nicht ganz unlegitime Retourkutsche für unzählige von Israelis produzierten B-Actionfilmen mit nicht gerade differenzierter Darstellung von bärtigen Muslimen als Fanatiker, Terroristen und finstere Bösewichte.
Im Sinne der Völkerverständigung gibt’s dafür allerhöchstens