THRILLER/DRAMA: A/I, 2005
Regie: Eva Urthaler
Darsteller: Elisabetta Rocchetti, Georg Friedrich, Sergej Moya, Ludwig Trepte
Aus Langeweile kidnappen zwei 16-jährige Schüler eine Supermarkt-Kassiererin. Die junge Frau wird in einer stillgelegten Fabrikshalle, die den Buben als Versteck und Rückzugsort dient, an einen Stuhl gefesselt ... Man kann sich ausmalen, dass dieses Spiel kein gutes Ende nehmen wird.
KRITIK:
"Ein unglaubliches Debut" schieb die amerikanische Fachzeitschrift 'Hollywood Reporter' über Keller - Teenage Wasteland,
den Erstlingsfilm der 27-jährigen österreichischen Regisseurin Eva Urthaler.
Tatsächlich legt dieses Werk eine Gangart vor, die man im Ösi-Kino nicht gewöhnt ist:
Endlich ein Film, der nicht nur soziale Anliegen transportieren möchte,
sondern auf die Kraft seiner Bilder setzt.
Der es wagt, die im heimischen Kino so verpönten Genre-Film-Versatzstücke
einzustreuen. Geschrieben und inszeniert von einer jungen Frau,
die sich das Filmhandwerk autodidaktisch beigebracht hat. Ohne eine Filmschule besucht zu haben.
Alle Achtung!
Der Film beginnt wie eine klassische Coming of Age-Story:
Sebastian, ein wohlbehütetes Kind aus reichem Elternhaus
trifft auf den unsicheren Paul, der mit seiner todkranken Mutter eine grindige Sozialwohnung teilt.
Bei den üblichen "Bubendummheiten" wie Wodkaflaschen klauen oder Wixheftln studieren
kommen sich die unterschiedlichen Charaktere näher -
eine homoerotische Spannung liegt von Anfang an in der Luft.
Als sie mehr aus Langeweile die junge Frau entführen und in einen Keller sperren,
eskaliert die Situation. Es entwickelt sich ein an den Nerven zerrendes Psycho-Kammerspiel.
Ein männlicher Regisseur hätte da höchstwahrscheinlich seinen
Gewaltphantasien freien Lauf gelassen.
Doch dieser Film dreht sich um etwas anderes.
Um etwas, worum es immer und überall geht: Um Sex.
Rund um die Entführung entwirft die Regisseurin ein enges Netz aus Begierden,
Zurückweisungen, Beziehungen und Abhängigkeiten:
Sebastian fühlt sich erotisch zu Paul hingezogen - welcher für das Opfer Sonja mehr als nur (heimliches) Mitleid empfindet.
Und da war noch Sonjas Freund, ein gewalttätiger Strizzi (Georg Friedrich, wer sonst?),
dessen Eingreifen die Situation endgültig kippen lässt.
Vor allem die erstaunliche Kamera-Arbeit erinnert
eher an filmische Vorbilder wie Larry Clark (Kids)
oder den koreanischen Regie-Extremisten Kim Ki-Duk (Seom / Die Insel) als an biederes heimisches (Studenten-)Kino.
Und dass sich die die Regisseurin in Sachen Sex- und Gewaltdarstellung wenig Zurückhaltung auferlegt
hat, freut mich alten Sex and Crime-Saubartel natürlich sehr :-).
Ein sehenswerter Film also? Ja, aber mit ein paar kleinen Einschränkungen:
Gerade zu Beginn ist so manche inszenatorische Holprigkeit nicht zu übersehen.
Und das perfekte Berliner Schauspielschüler-Deutsch der beiden Hauptfiguren passt auch nicht so
ganz zu den Wiener Schauplätzen.
Dennoch: Der Mut, die graue Biederkeit des österreichischen Kinos
mit einem gewagten Genre-Bastard aus sexuell aufgeladenem Thriller
und seriöser Coming of Age-Story zu durchkreuzen, verdient Anerkennung.
Ich wünsche Eva Urthaler von ganzem Herzen, dass ihr Film ein Erfolg wird.
Wenn schon nicht hierzulande, dann wenigstens auf den internationalen Festivals.
Die Prophetin gilt ja bekanntlich nichts im eigenen Land.
Ein ziemlich gewagter Genre-Bastard aus sexuell aufgeladenem Thriller und seriöser Coming of Age-Story, inszeniert von einer jungen Frau, die das Filmhandwerk autodidaktisch erlernt hat. Ein starkes Lebenszeichen des österreichischen Kinos - Ansehen!