DRAMA: A, 2006
Regie: Ulrich Seidl
Darsteller: Ekateryna Rak, Paul Hofmann, Georg Friedrich, Maria Hofstätter
Arbeitssuche mit Ulrich Seidl: In der Import-Geschichte will eine ukrainische Krankenschwester dem trostlosen Leben an der Armutsgrenze entkommen und landet über den Umweg einer Online-Sex-Agentur als Putzfrau im vermeintlich goldenen Westen. Die Export-Geschichte erzählt von einem jungen Wiener Arbeitslosen, der mit seinem Stiefvater in der Ukraine das große Geld mit alten Spielautomaten machen will ...
KRITIK:... und so viel kann darf verraten werden: Keiner wird das Glück finden. In den Filmen des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl gibt es naturgemäß kein Happy End, das einen befreit aus dem Kinosaal tänzeln lässt. Im Gegenteil, die Geschichten verlaufen sich ohne befriedigende Auflösung. Life just goes on, mit mehr oder weniger starken Beschädigungen.
Im Grunde macht der ehemalige Dokumentarfilmer Ulrich Seidl dort weiter, wo er mit dem überragenden Spielfilmprojekt Hundstage (2001) aufgehört hat: Seine Geschichten kreisen erneut um Sex, Gewalt, Ausbeutung durch den entfesselten Kapitalismus - und neu: um die Unausweichlichkeit des Todes.
Dass der Regisseur dabei alles andere als zimperlich vorgeht, sollte niemanden überraschen. Auch Import Export ist ein Film, der in die Magengrube fährt und den Zuseher tiefer in menschliche Abgründe blicken lässt, als es Zartbesaiteten recht sein kann: Nach der Szene mit dem angesoffenen Wiener Sauprolet (tschuldigung), der an einer ukrainischen Prostituierten "die Macht des Geldes" demonstriert, verließen einige Besucher den Kinosaal vorzeitig.
Dennoch - und das ist das Bemerkenswerte - hat man zu keiner Sekunde das Gefühl, dass der Regisseur seine Figuren moralisch verurteilen würde. Im Gegenteil, gerade die Sexszenen sind durchaus auf darauf angelegt, dass auch Voyeure auf ihre Kosten kommen - eine Zeitlang zumindest. Bis die Situation entgleitet und etwas entschieden Unangenehmes, Unbehagliches bekommt. "Man kriegt einen Steifen und geniert sich im nächsten Moment dafür", wie es ein Bekannter einmal griffig formulierte ...
Aber lassen wir den Regisseur selbst zu Wort kommen: "Ich glaube, dass man, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, sehr viel Schreckliches sieht, und ich glaube, dass man das auch zeigen muss. Ich möchte das auch bewusst machen, dass es das gibt. Es wäre für mich falsch, das zu verschweigen und ich finde es falsch, dass wir vieles davon verdrängen."
(Ulrich Seidl in einem ORF-Interview).
Das angesprochene "Schreckliche" bringt Seidl in perfekt durchkomponierten, geometrisch exakten Bildfolgen auf die Leinwand. Für die ausgezeichnete Kameraarbeit zeichnet übrigens Larry Clarks Stamm-Kameramann Ed Lachman verantwortlich. Vor der Kamera agiert ein Ensemble aus Profi-Schauspielen (die Hundstage-Bekannten Georg Friedrich u. Maria Hofstätter) und überzeugenden Laien (Ekateryna Rak, Paul Hofmann).
Der Falter hat Import Export übrigens Seidls "menschenfreundlichsten" Film gennant. Was daran liegt, dass der Regisseur erstmals einen Funken Hoffnung für sein geschundenes, dysfunktionales Personal aufblitzen lässt. Es darf auch gelacht werden: FM4-Humorextremist Dirk Stermann hat einen launigen Gastauftritt und hilft uns, dem ganz normalen Wahnsinn unserer Existenz ins Gesicht zu lachen. Keine schlechte Strategie, wenn mich wer fragt.
In diesem Sinne: "LMAA: Lächle mehr als andere!"
Das engagierte Label Alamode Film hat offensichtlich Gefallen an Ulrich Seidls schonungslosem Blick auf die Welt gefunden: Neben Models (1998), Hundstage (2001) und Tierische Liebe (1995) wurde auch Import Export auf DVD veröffentlicht.
Wo Ulrich Seidl draufsteht, ist auch Ulrich Seidl drin: In gewohnt drastischen wie visuell ausgefeilten Bildern blickt Österreichs Ausnahme-Regisseur tief in menschliche Abgründe. Import Export ist ein schrecklicher und zugleich schrecklich schöner Film über Ausbeutung, Sex, Trostlosigkeit und Tod im vereinten Europa.