OT: Ondskan
DRAMA: SWE/DK, 2003
Regie: Mikael Håfström
Darsteller: Andreas Wilson, Gustaf Skarsgård, Henrik Lundström, Filip Berg, Martin Svane
Schweden in den 50er Jahren: Nach einer Schlägerei wird Erik Ponti der Schule verwiesen. Seine letzte Chance auf einen Abschluss stellt das Elite-Internat Stjärnsberg dar. Doch in Stjärnsberg gelten eigene Regeln: Die Schüler selbst sorgen für Recht und Ordnung, vor den Augen der Lehrer demütigen und unterdrücken die älteren Schüler die jüngeren. Mit seiner rebellischen Art eckt Eric bald beim Schülerrat an und handelt sich bald immer härtere und sadistischere Bestrafungen ein. Doch wie soll er sich dem System zur Wehr setzen, schlägt er zurück, fliegt er von der Schule
KRITIK:"Es gibt nur eine Bezeichnung für jemanden wie dich: grundschlecht und zutiefst
böse." Wie fühlt man sich, wenn einem diese Worte an den Kopf geworfen werden? Wie
ist es, wenn man wieder einmal zu weit gegangen ist, wenn man seinen Gegner selbst
dann noch einen Schlag in die Fresse verpasst, wenn dieser bereits kampfunfähig
ist? Erik ist zu weit gegangen, es war nicht das erste Mal. Angefeuert von seinen
Mitschülern hat er sich geprügelt, scheinbar gleichgültig nimmt er von seinem
Schulverweis Kenntnis.
Zu Hause angekommen muss er feststellen, dass seine Mutter ihre alten Erbstücke
veräußert um ihren Sohn noch eine letzte Chance auf dem Eliteinternat Stjärnsberg
zu ermöglichen. Viel Zeit für einen Abschied bleibt nicht, denn Erik muss
verschwinden bevor sein sadistischer Stiefvater auftaucht.
In Stjärnsberg wird Erik mit einer für ihn unbekannten Art der Gewalt
konfrontiert. Nicht so plump und direkt wie er es gewohnt ist, dafür jedoch
sadistisch und perfide. Denn in Stjärnsberg gelten andere Regeln, die Erziehung
wurde von der Schule in die Hände der älteren Schüler gelegt. Diese sind für die
Einhaltung der Regeln und die Bestrafung etwaiger Fehltritte verantwortlich. Vor
allem den letzen Punkt verfolgen sie mit Nachdruck. Gewalt, Sadismus, Demütigungen
und Willkür sind an der Tagesordnung. Von den Lehrern ist keine Hilfe zu erwarten,
auch sie sind dem System teilweise schutzlos ausgeliefert, verschließen davor die
Augen oder machen einfach mit.
Auch wenn der Film aus der Sicht von Erik geschildert wird und seinen Gegnern
weniger Raum eingeräumt wird, kommt man nicht umhin sich die Frage zu stellen, ob
die Bösen in Form von Otto Silverhielm und seinen Freunden schon so geboren wurden
oder das Produkt von Stjärnsberg sind. Vermutlich wurden auch sie schikaniert als
sie noch jünger waren, vielleicht ist ihr menschenverachtendes Verhalten nur eine
Art Rache zu nehmen. Rache an Unschuldigen. Es scheint wahrscheinlich, dass die
nächste Generation ebenfalls so handeln wird, dass aus den Opfern von heute die
Täter von morgen werden. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen zu geben
scheint.
Die jüngeren Schüler haben unterschiedlichste Strategien entwickelt um zu
überleben. Die meisten verhalten sich ruhig und unauffällig, einige versuchen auch
sich den Machthabern anzubiedern. Doch eines verbindet sie alle, zufrieden mit
dem System, das sich durch Machtmissbrauch und Willkür auszeichnet sind sie nicht.
Doch wie soll man sich zur Wehr setzen, wie kann man den Teufelskreis durchbrechen?
Eriks Zimmerkollege, der intellektuelle, ghandilesende Pierre glaubt daran, dass es
am besten ist sich anzupassen. Er rät Erik dasselbe zu tun. Doch Erik hat keine
Lust klein beizugeben. Er reizt die ihm zustehenden Mittel gnadenlos aus und
provoziert vor allem Silverhielm wo er nur kann.
In die Ecke gedrängt lassen die feinen Ratsmitglieder ihre Maske fallen und ihre
wahren Motive treten mehr und mehr zum Vorschein. Die Regeln zählen schon lange
nicht mehr.
"Evil" ist ein Film, der vor allem auch zum Nachdenken anregt. Es geht nicht nur
um die simple Erkenntnis, dass Gewalt Gegengewalt erzeugt, sondern auch um die Frage
wie und ob man den Teufelskreis durchbrechen kann. Ist man nicht selbst Teil des
Systems, wenn man es toleriert? Darf man die Grenzen von Moral und Anstand
überschreiten, weil solche Begriffe für den Gegner nichts anderes als leere
Floskeln sind? Wie kann man es schaffen aus der Opferrolle zu entkommen, ohne selbst
zum Täter zu werden?
Außerdem wird auch noch die Problematik des Wegschauens thematisiert. Håfström
schaffte es die Geschichte packend zu erzählen, man hofft und leidet mit Eric. Mehr
als einmal wünscht man sich, Eric würde einfach einmal zurückschlagen und den
perfiden Spielen dadurch ein Ende bereiten. "Evil" ist ein solider, gradliniger Film,
der zeigt, dass man im hohen Norden nicht nur mit verwackelter Handkamera dreht
sondern auch ruhig mal mit Hollywoodmitteln arbeiten und dabei doch erfrischend
unkitschig bleiben kann. Der Film, der Håfströms zum internationalen Durchbruch
verhalf, weckte große Hoffnungen, die leider bereits beim nachfolgenden Werk des
Regisseurs den Bach runter gingen. Von Håfströms Hollywoodversuchen (Derailed (2005), Zimmer 1408 (2007)) ganz zu schweigen.
Getragen wird die Geschichte von einer ausgezeichneten Darstellerrigge. Vor allem
die Suche nach dem Hauptdarsteller erwies sich als schwierig, mit Andreas Wilson
wurde schließlich der passende Schauspieler entdeckt. Der aus dem Theaterbereich
kommende Wilson überzeugt in seinem Leinwanddebüt voll und ganz. Mit schier
unglaublicher Leinwandpräsenz und tiefgründigem Blick trägt er die Figur den
ganzen Film über. Aber auch die anderen Darsteller müssen sich hinter Wilsons
Leistung nicht verstecken. Sie schaffen es durch die Reihe ihren Figuren so etwas
wie Tiefe einzuhauchen und leichte Klischees zu umspielen.
Doch wer Antworten erwartet, wird enttäuscht werden. Denn es gibt kein Patentrezept
zur Durchbrechung eines sadistischen Systems. Was bleibt sind interessante
Gedankenexperimente und die Frage ob zurückschlagen wirklich schlimmer als
wegschauen oder tolerieren ist.
Packendes Drama aus dem hohen Norden frei nach der autobiografischen Bestseller-Buchvorlage von Jan Guillou.