OT: Ti piace Hitchcock?
GIALLO: ITALIEN, 2005
Regie: Dario Argento
Darsteller: Elio Germano, Chiara Conti, Elisabetta Rocchetti, Cristina Brondo
Der Filmstudent Giulio beobachtet gerne durchs Fenster die süße Nachbarin im Haus gegenüber. Dann geschieht in der Wohnung der jungen Frau ein brutaler Mord. Giulio hat von DAS FENSTER ZUM HOF bis zu DER FREMDE IM ZUG genügend Hitchcock-Filme gesehen, um in diesem Fall Eins und Eins zusammenzuzählen. Doch damit bringt sich der Hobby-Detektiv in Lebensgefahr
KRITIK:Nachdem die ruhmreichen Heydays der großen italienischen Thriller in den ausgehenden Siebzigern unweigerlich ihrem Ende entgegengingen, war Maestro Dario Argento (THE BIRD WITH THE CRYSTAL PLUMAGE, DEEP RED) so ziemlich der einzige unverwüstliche Recke, der noch eisern die Fahne des Giallos hochhielt und dann und wann noch echte Meisterwerke fürs Genre produzierte - siehe OPERA, siehe DAS STENDHAL SYNDROM.
Auch der Sprung ins neue Millennium schien geglückt zu sein. 2001 drehte er mit dem großen Max von Sydow SLEEPLESS, ein endlich wieder mit Goblin-Musik untermaltes kleines Best of seiner schwarzen - oder besser gelben - Künste. Dem folgte 2004 allerdings die maßlose Enttäuschung THE CARD PLAYER und damit schien auch der Niedergang des Giallo endgültig besiegelt zu sein.
Die nächste Möglichkeit zur Wiedergutmachung ward dem Meister schon ein Jahr später gegeben. Mit DO YOU LIKE HITCHCOCK? Der Titel lässt bereits erahnen, dass hier der ungeachtet des CARD PLAYER-Schandflecks längst selbst legendäre Filmemacher zur Verbeugung vor dem eigenen erklärten Vorbild Alfred Hitchcock ansetzt; zu Musik von Pino (WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN, TRAUMA) Donaggio, nach einem Drehbuch, dass er zusammen mit Franco (PHENOMENA, OPERA) Ferrini geschrieben hat.
Dazu kommen die zu erwartenden Sir Hitch-Zitate. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rehabilitation könnten deutlich schlechter sein; trotz des Wermutstropfen, dass DO YOU LIKE HITCHCOCK? nicht für die große Leinwand, sondern fürs italienische Fernsehen produziert worden ist. Auch wenn man das DO YOU LIKE HITCHCOCK formal nicht unbedingt ansieht, bringt das begrenzte Budget mit sich, dass das Mörderrätsel nicht von großen Genrestars, sondern von eher blassen, aber noch akzeptablen italienischen TV-Mimen gespielt wird.
Nach einem wenig verheißungsvollen Prolog werden alle Bedenken zunächst etwas zerstreut. Beim deftigen Auftaktsmord mit den umherwirbelnden Schädeldeckenteilchen und Hirnfetzen und den kurzen Perspektivenwechseln in die Welt aus manischen Killeraugen blitzt doch tatsächlich der alte Spirit der glorreichen Tage auf. Dazu etwas seichter Sex, ein paar Grüsse an Lang, Murnau und den deutschen Expressionismus und natürlich die Zitate aus den Hitchcock-Klassikern.
Das ist nicht unsympathisch und anfangs sogar recht fesselnd. Doch leider hält sich der Zauber nicht über die gesamte Laufzeit. Trotz der immer mal wieder in Erscheinung tretenden netten Szenen kommt man letztlich nicht umhin, einen extrem durchschaubaren Plot und zum Schluss auch noch ein ziemlich müdes Finale festzustellen. Dazu kommt, dass DAS FENSTER ZUM HOF und DER FREMDE IM ZUG woanders schon weniger plump und deutlich genialer zitiert wurde. Der Letztere zum Beispiel in Maurizio Lucidis großartigen Venedig-Giallo DER TODESENGEL aus dem Jahr 1971.
Dennoch stellt DO YOU LIKE HITCHCOCK im Vergleich zu seinem indisponierten Vorgänger THE CARD PLAYER zumindest einen kleinen Sprung zurück zu Argentos alter Klasse dar. Doch eines hat sich leider auch deutlich herauskristallisiert: Die Zeit der Meisterwerke scheint für Argento tatsächlich unwiederbringlich vorbei zu sein.
Nicht unsympathisch ist er, dieser gemäß seines Titel mit einigen Hitchcock-Zitaten angereicherte TV-Giallo von Dario Argento und sicherlich deutlich besser als der vergeigte Vorgänger THE CARD PLAYER. Doch die Frage sei erlaubt: Kann nette TV-Krimiunterhaltung tatsächlich der Anspruch eines alten Meisters wie Dario Argento sein?