OT: Il portiere di notte
DRAMA: ITALIEN, 1974
Regie: Liliana Cavani
Darsteller: Dirk Bogarde, Gabriele Ferzetti, Philippe Leroy, Charlotte Rampling
Der ehemalige SS-Mann Max (Dirk Bogarde) ist in Wien untergetaucht, wo er in einem Hotel als Nachtportier arbeitet. Dort trifft er eines Tages zufällig Lucia (Charlotte Rampling), die er aus einem Konzentrationslager kennt, in dem er einer der Aufseher, sie jedoch eine Insassin war. Trotz dieses Umstands verband die beiden damals eine leidenschaftliche sadomasochistische Beziehung, die nun erneut aufzuleben beginnt. Doch Max ist auch ein Mitglied einer Geheimorganisation ehemaliger SS-Männer, die danach trachtet die noch lebenden Zeugen ihrer Verbrechen aufzuspüren und auszuschalten ...
Wer noch nichts von Liliana Cavanis Drama DER NACHTPORTIER gehört haben sollte, wird wahrscheinlich trotzdem schon aufgrund dieser kurzen Inhaltsangabe sofort verstehen, warum dies einer der ganz großen Skandalfilme der 70er Jahre war. Und tatsächlich verbindet dieses Drama zwei absolute Tabuthemen auf sehr gewagte Art. Schon das Grundthema einer Liebesbeziehung zwischen einem Aufseher und einer Gefangenen eines Nazi-KZs lässt sofort vermuten, dass dieser Film wohl mehr aus der Exploitation-, als aus der Arthose-Ecke kommen wird. Und dann handelt es sich bei dieser Beziehung auch noch ausgerechnet um eine leidenschaftliche SM-Beziehung!
Mit dieser recht kruden Verknüpfung gleich zweier gesellschaftlicher Tabuthemen gilt DER NACHTPORTIER heute gar als der Urfilm der Naziploitation, eines der wildesten Genres der an und für sich schon sehr wilden 70er Jahre. Dieses Untergenre des Exploitationfilms hat ganz ungeniert durch Nazis gegangene Folterungen mit dem in der BDSM-Kultur bestehenden freiwilligen Dominanz-und Unterwerfungsverhältnis gleichgesetzt. Und auch, wenn diese Filme an sich heute nur noch von sehr wenigen konsumiert werden, so haben sie doch dazu geführt, dass die Verbindung von fetischisierten SS-Uniformen und Nazikult mit BDSM-Erotik heute ein fester Bestandteil der westlichen Popkultur geworden ist. Wer diese Thematik vertiefen mag, dem empfehle ich Markus Stigleggers sehr interessanten Essay Sadiconazista - Stereotypisierung des Holocaust im Exploitationkino.
Natürlich kann diesem Film vorgeworfen werden, dass sein gewagtes Setting zu rein reißerischen Zwecken gewählt worden ist. Aber trotzdem ist DER NACHTPORTIER keineswegs ein wirklicher Exploitationfilm, sondern ein - wenn auch recht verqueres - ernsthaftes Drama. In dieser Beziehung gleicht dieses Werk ein wenig Andrzej Zulawskis ein Jahr später entstandenen Film NACHTBLENDE (1975), der ja auch mehr durch seine Darstellung eines Pornodrehs im Film Furore gemacht hat, als durch seinen eigentlichen Inhalt.
Das Thema von DER NACHTPORTIER ist im Unterschied zu den wenig später entstandenen wirklich kruden Naziploitationstreifen auch nicht die Verknüpfung von Folterungen und Sadomasochismus, sondern ganz im Gegenteil die Darstellung der Möglichkeit einer Romanze unter unmöglich scheinenden Bedingungen. Dass es sich bei dieser Liebesbeziehung ausgerechnet um eine sadomasochistische handelt, zeigt eigentlich nur, dass der Film sehr wohl zwischen unmenschlichen Folterungen in einem KZ und SM-Praktiken zu differenzieren weiß. Und gerade aus dieser Nebeneinanderstellung bzw. Gegenüberstellung bezieht der NACHTPORTIER einen guten Teil seiner dramatischen Spannung.
Allerdings muss man anmerken, dass die Regisseurin Liliana Cavani hier nicht wirklich konsequent vorgegangen ist. So wird zumindest in der wohl bekanntesten Szene des Films, in der Charlotte Rampling in der Lagerkneipe der SS auf recht laszive Weise ein Lied von Marlene Dietrich singt, das spezielle KZ-Ambiente fast schon wieder romantisch verklärt. Auf der anderen Seite wird die SS in diesem Film aber auch keineswegs heroisiert. So wird gezeigt, dass die fiktive Geheimorganisation der ehemaligen SS-Angehörigen dem einzigen Zweck dient, diese nun allesamt als angesehene Bürger in guten Positionen arbeitenden ehemaligen Verbrecher vor der Entlarvung zu bewahren. Und damit ihre Weste weiterhin blütenrein bleibt, schrecken diese ansonsten so netten Herren auch nicht vor kaltblütig begangenen Morden zurück.
Und der einzige, der sich in dieser ansonsten weiterhin von ihren damaligen Taten überzeugten Clique nicht so recht wohlfühlt, ist ausgerechnet der sadomasochistische Spiele treibende Max. In einer Schlüsselszene des Films sagt dieser zu seinen vermeintlichen Freunden, dass er sich sich seinen Job als Nachtportier sehr bewusst deshalb ausgesucht habe, weil er sich bei Tageslicht (seiner damaligen Taten) schäme. Dadurch wird DER NACHTPORTIER zu einem der ersten Filme, der sich traut, die (ehemaligen) Nazis als einzelne differenzierte Menschen darzustellen, von denen einzelne z.B. auch zu (späterer) Reue fähig sind. Und dies ist mit das heißeste Eisen, das dieses Drama anzufassen wagt. Und wenn man sich die Diskussionen zu den jüngeren deutschen Filmen, die die Nazizeit behandeln, wie z.B. Oliver Hirschbiegels DER UNTERGANG ansieht, dann merkt man, dass dieses Thema auch noch heute wenig von seiner damaligen Brisanz verloren hat.
Auf der anderen Seite zeigt DER NACHTPORTIER - wenn auch auf sicherlich überspitzte Weise - die erschreckende Kontinuität, die zwischen dem Dritten Reich und den späteren Demokratien in Deutschland und Österreich bestand. Denn natürlich konnte man dort nicht auf alle ehemaligen überzeugten Nazis verzichten. Und so fanden diese sich später oft - nach kurzer formeller Entnazifizierung - in einflussreichen Ämtern wieder, wo sie die Nachkriegsgesellschaft ihrer Länder weiterhin entscheidend mit beeinflussen konnten.
DER NACHTPORTIER verbindet auf sehr provokative Weise eine Reihe brisanter Themen wie SM, KZs und SS. Trotzdem handelt es sich bei diesem Film keineswegs um einen Naziploitationkracher, sondern um ein im besten Sinne kontroverses Drama, das insbesondere durch das eindringliche Spiel von Dirk Bogarde (DER DIENER) und Charlotte Rampling (LEMMING), trotz einiger Längen, unbedingt sehenswert ist.