SEXPLOITATION: F/I, 1972
Regie: Claude Pierson
Darsteller: Alice Arno, Yves Arcanel, Chantal Broquet, Marco Perrin
Ein unschuldiges Waisenmädchen im Frankreich des 18. Jahrhunderts sieht sich mit einer abgrundtief bösen Welt konfrontiert. Ihr Glaube an die Tugend und das Gute ist zwar unerschütterlich, rettet sie aber nicht davor, zwischen perversen Adeligen und Mönchen hin und her gereicht zu werden, wobei sie immer größere sexuelle Torturen über sich ergehen lassen muss. Und am Ende steht die Erkenntnis: In dieser unseren Welt gedeiht das Schlechte und das Gute geht gnadenlos unter
KRITIK:Kein anderer Roman des berüchtigten Marquis wurde häufiger verfilmt als sein Hauptwerk "Justine oder vom Missgeschick der Tugend". De Sade hat es zeit seines Lebens dreimal überarbeitet, wobei jede Fassung perverser und extremer als die vorige ausgefallen ist.
1968 hat Jess Franco den Stoff unter dem Titel MARQUIS DE SADE´S JUSTINE mit Romina Power und Klaus Kinski verfilmt und dabei anscheinend die vergleichsweise harmlose Urfassung des Buchs zur Schablone genommen.
Claude Pierson dagegen hat sich in seinem vier Jahre danach entstandenen Film JUSTINE DE SADE ganz eindeutig an der dritten und extremsten de Sade´schen Version vom "Missgeschick der Tugend" orientiert. Anders ausgedrückt: Gegen die Hölle, die Pierson seiner Justine auferlegt, wirkt der von Franco inszenierte Leidensweg der Tugend nahezu wie ein gemütlicher Sonntagsspaziergang.
In 115 Minuten öffnet Pierson eine Pandora-Box an Perversion und Geschmacklosigkeit und lässt seine Hauptaktrice Alice Arno von einer opulent ausgestatteten und schwelgerisch gefilmten Orgie in die nächste stürzen. Und in diesen wird sie von degenerierten Vertretern des Adels und der Kirche auf jede erdenkliche Weise geschändet, missbraucht, verhöhnt únd ausgepeitscht. Ihrer Tugend wird in einer Marter aus Blut und Tränen mehr als einmal ins Gesicht ejakuliert.
Die graphische Umsetzung der De Sade´schen Vorlage ist nicht zimperlich. Ohne Verschnaufpause bekommt man Perversionen am Fließband serviert. Dabei reicht das Spektrum von sexuell motivierten Strangulationen und Aderlassen bis hin zu deftigen Blasphemien, die direkt aus der von Huysmans oder LaVey überlieferten Litanei schwarzer Messen stammen - Hostienschändung, nackte Altäre und infame Küsse inbegriffen.
In Sachen Skandalträchtigkeit klopft JUSTINE DE SADE manches Mal gar an die Pforten von SALO und wurde in diversen Ländern gleichfalls in Acht und Bann geschlagen.
Doch trotz seiner verstörenden, sadistischen Bilder haben wir es mit keinem schmuddeligen 18th Century-Torture Porn zu tun, sondern mit einem Film,
dessen sicherlich nicht geringem Budget auf optischer wie darstellerischer Ebene Rechnung getragen wird. Die Ausstattung ist pompös und die Inszenierung birgt einiges Futter für Hobby-Screenshooter,
die an einer Slideshow zum Thema "Dekadente Ausschweifungen und Sadismen" basteln.
Somit ist Piersons Werk eine JUSTINE-Verfilmung, die sicherlich extreme Wege geht, die aber auch sehr nahe an der Vorlage und somit dem Geist des Verfassers liegt.
Und die Moral dieser Geschichte, die eigentlich keine hat, ist eindeutig. Man sehe mir die schlichte und direkte Ausdrucksweise nach, aber sie lautet: Wer gut durchs Leben gehen will, wird gefickt.
Das war vor ein paar hundert Jahren zu Zeiten des Marquis so und ist leider, leider heute immer noch so.
Piersons filmische Version des de Sade´schen Hauptwerk "Justine oder Vom Miss-geschick der Tugend" hat weltweit für einige Skandale gesorgt. Der Film lässt keine Perversion aus und dafür hat ihn mehr als ein Verbot ereilt. Dennoch wage ich zu behaupten, dass der alte Marquis - würde er noch leben - sehr zufrieden mit dieser Adaption seines Stoffes sein würde