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Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen

Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen

OT: 37°2 le matin
DRAMA: FRANKREICH, 1986
Regie: Jean-Jacques Beineix
Darsteller: Jean-Hugues Anglade, Béatrice Dalle, Gérard Darmon, Consuelo De Haviland

STORY:

Der ambitionslose Zorg (Jean-Hugues Anglade) wohnt in einer Barackensiedlung an der französischen Mittelmeerküste und lebt vom Anstreichen der Nachbarhäuser. Da tritt wie ein Orkan die gleichermaßen schöne, wie verrückte Betty (Béatrice Dalle) in sein Leben hinein. Die beiden beginnen eine stürmische Liebesbeziehung und leben in den Tag hinein. Eines Tages findet Betty ein von Zorg geschriebenes Buchmanuskript, liest es auf einen Zug durch und ist sofort von Zorgs Genie überzeugt.

Also zündet Betty ihre Hütte an und die beiden ziehen zu ihrer Freundin Lisa (Consuelo De Haviland) nach Paris. Dort kellnern sie in der Pizzeria von Lisas Freund Eddy (Gérard Darmon). Außerdem tippt Betty das handgeschriebene Manuskript mit der Schreibmaschine ab und schickt es an alle Verleger der Stadt. Doch niemand scheint an dem Buch interessiert zu sein. Betty sieht sich vom Pech verfolgt und wird langsam immer hysterischer. Als sich dann auch noch ein positiver Schwangerschaftstest als falsch erweist, kommt es zur Katastrophe ...

KRITIK:

Der französische Regisseur Jean-Jacques Beineix ist eines der größten Genies des jüngeren französischen Kinos. Sein erster Film DIVA (1981) war eines der beeindruckendsten und einflussreichsten Filmdebüts seit Orson Welles´ CITIZEN KANE und begründete eine ganz neue Filmbewegung: das Cinéma du look. Doch der Folgefilm DER MOND IN DER GOSSE (1983) blieb weitestgehend unbeachtet. Dann gelang Beineix mit BETTY BLUE (1986) ein fulminantes Comeback. Der Film erhielt eine Nominierung für den Auslands-Oscar und gilt noch heute zusammen mit DIVA als einer der größten Kultfilme der 80er Jahre.

Bei BETTY BLUE ging Beineix keineswegs auf Nummer sicher. Bereits der Filmanfang macht unmissverständlich klar, dass er hier nicht darauf abzielt um jeden Preis den Erfolg seines Debüts zu wiederholen. Begann DIVA mit einer ganz ruhigen Sequenz in der Pariser Oper, so wird in BETTY BLUE gleich auf das heftig kopulierende Liebespaar gezoomt. Nachdem die beiden schwitzend und stöhnend gekommen sind lautet der erste gesprochene Satz im Film: "Ich kannte Betty seit einer Woche und wir bumsten jede Nacht!"

Ja, hier geht einer so richtig in die Vollen! Und so, wie Zorg und Betty kurz darauf beginnen, die Barackensiedlung in den kitschigsten Bonbonfarben anzustreichen, so arbeitet auch Beineix mit dem groben Spachtel, wenn sich der Film im folgenden in eine extrem kitschige romantische Liebeskomödie entwickelt. Doch so, wie bereits beim ersten gemeinsamen Candlelight-Dinner unter freiem Himmel im Hintergrund die merkwürdig traurige Melodie eines benachbarten Jahrmarktkarussels ertönt, so erahnt auch der Zuschauer bereits sehr früh, dass dieses Glück wahrscheinlich nicht ewig wären kann ...

Denn so fröhlich und lebenslustig die verrückte Betty ist, so sehr verstört sie selbst den im siebten Himmel schwebenden Zorg immer wieder mit ihrer extremen Aufgedrehtheit und Impulsivität. Und während Zorg völlig darin aufgeht die traute Zweisamkeit zu genießen, will Betty immer mehr. Symptomatisch dafür sind Bettys unentwegte Appelle an seine Berufung als Schriftsteller und ihre unnachgiebigen Bemühungen sein Skript um jeden Preis an den Mann zu bringen. Da aber aus all diesen großen Plänen nichts zu werden scheint, schlittert Betty langsam immer weiter in eine Depression und erleidet schließlich einen Nervenzusammenbruch mit fatalen Folgen. An einer Stelle bemerkt Zorg: "Die Welt ist verdammt noch mal zu klein für sie! … Sie will etwas, das gar nicht existiert..."

Ja, und auch Jean-Jacques Beineix will hier wirklich alles! Und nachdem der ursprünglich zwei Stunden lange Film bereits erfolgreich im Kino lief, blähte er das Ganze noch einmal um eine weitere Stunde zu seinem integralen Directors Cut auf und brachte BETTY BLUE so einige Jahre später erneut in Frankreich auf die große Leinwand. Und auch bei dieser für einen Liebesfilm, der sich im wesentlichen nur um seine zwei Hauptdarsteller dreht, unglaublichen Überlänge, kommt in BETTY BLUE so schnell keine Langeweile auf. Denn Beineix brennt hier ein nicht enden wollendes Feuerwerk an knalligen Bildern und bizarren Ideen ab, dass es pausenlos nur so kracht!

Aber manchmal ist etwas weniger doch ein wenig mehr! Denn wenn eine Skurrilität auf die andere folgt und jede Hysterie nur zu einer noch größeren Hysterie führt, dann kann das zwischenzeitlich auch irgendwann mal so richtig nerven! Vielleicht hätte sich Beineix doch etwas mehr an DIVA orientieren sollen. Denn dieser Film verzaubert auch noch heute durch seine unglaublich gekonnt austarierten Gegensätzlichkeiten. DIVA war zugleich sehr laut und auch sehr leise, unglaublich grell und doch subtil. Aber so, wie die überdrehte BETTY niemals zur Ruhe kommt, so leidet auch dieser wunderschöne Film teilweise an seiner niemals nachlassen wollenden Grelligkeit. Oder wie es ein Kommissar über BETTY sagt: "Hübsches Ding … vielleicht ein bisschen nervös!"

Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen Bild 1
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FAZIT:

Der Film BETTY BLUE ist PRETTY WOMAN trifft EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST auf französisch. Diese grelle Tragikomödie traf vielleicht noch besser, als Beineix´ Debüt DIVA den Zeitgeist der 80er Jahre. Aber manchmal ist weniger tatsächlich mehr und so ist Beineix´ zweiter großer Hit heute zwar eine wahnwitzige Zeitkapsel aus einer längst vergangen Epoche, aber kein so zauberhaftes, zeitloses Meisterwerk wie DIVA.

WERTUNG: 8 von 10 erfolglos verschickten Buchmanuskripten
TEXT © Gregor Torinus
Dein Kommentar >>
Harald | 01.10.2010 12:28
Der Director's Cut ist schon ein bissl zu lang.
Aber trotzdem toller Film. Und: Normalerweise steh ich nicht gerade drauf, aber Béatrice Dalles unrasierte Achselhöhlen fand ich irgendwie ... interessant.
Gregor | 01.10.2010 13:12
Auf jeden Fall ein tolle Film! - Aber mir ging die gute Betty beim letzten Anschauen dann doch häufiger ein wenig auf den Keks. Mir fehlt da einfach der Kontrast zu einer wie auch immer gearteten "Normalität". Da die Frau gleich von Anfang an total durchgeknallt ist, verliert auch das Ende meiner Meninung nach ein wenig an Wirkung.

Und zu den unrasierten Achselhöhlen: ich sag nur: bäh!!! - Aber spätestens hier merkt Mann, dass der Film doch schon ein wenig in die Jahre gekommen ist.

Inzwischen gefällt mir MORTAL TRANSFER jedenfalls noch besser. dabei fand ich diesen Film am Anfang zwar sehr nett und sexy, aber auch ziemlich flach. Habe ich ja auch schon was zu geschrieben...
Nic | 01.10.2010 14:50
sicher einer der sehenswertesten franz. liebesfilme, in beiden fassungen, und beatrice dalle's bester mMn. 7/10
Ralph | 01.10.2010 18:51
Nichts ist lächerlicher als künstliche Empörung über anerzogene Schönheitsideale. Wäre man zwanzig Jahre vorher geboren würde man den Achselbuschen vielleicht als wunderbar empfinden, in zwanzig Jahren ist er vielleicht wieder modern. Also bitte nicht kindisch sein. ;-)
Harald | 01.10.2010 20:43
Ich erinnere mich noch lebhaft an ein Foto in Bravo: Da schwenkten Fans ein Transparent mit der schönen Aufschrift "Nena, wir lieben deine haarigen Achseln".
Gregor | 01.10.2010 21:34
Genau! Und hier im Ruhrpott gab oder gibt es eine Band, deren Name mir leider entfallen ist. die einen Song mit dem wundervoll poetischen Refrain gemacht hatten: "Damenbart. Damenbart, nur der macht meinen Pimmel hart! ... Arsch und Titten sind mir latte ... hauptsache Operlippenmatte!"...
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