HORROR: D, 2000
Regie: Stefan Ruzowitzky
Darsteller: Franka Potente, Benno Fürmann, Anna Loos
So hätte sich die ehrgeizige Medizinstudentin Paula ihren Anatomiekurs an der renommierten Heidelberger Universität nicht vorgestellt. Anstatt die Grundlagen des Heilens zu erlernen, stößt sie dort auf einen finsteren Geheimbund teuflischer Ärzte und unter ihren Kommilitonen sind Serienmörder
KRITIK:Quo vadis, deutscher Horrorfilm? Heuer wirst du ausgelacht, verspottet, gebasht und wenn du Glück hast, nur belächelt. Okay, wenn man vergleicht, wie viele großartige Werke deine europäischen Brüder aus Italien, Großbritannien, Spanien oder Frankreich dem Genre schon geschenkt haben, ist ein klein bisschen Schamesröte vielleicht sogar angebracht. Andererseits warst du es, der 1920 das Genre überhaupt erst aus der Traufe gehoben (vgl. hierzu auch Marcels "Urknall"-Theorie in seiner DAS CABINET DES DR.CALIGARI-Besprechung) und mit Murnaus SYMPHONIE DES GRAUENS weiter geprägt hat.
Heutzutage - das ist wohl wahr - ist der Horrorfilm nicht mehr unbedingt der Deutschen Kür. Bezeichnenderweise sind es unsere Gore- und Kuddelpäpste aus dem Underground - also Ittenbach, Schnaas und Co KG -, die die Fahne des deutschen Horrorfilms in der internationalen Wahrnehmung am höchsten, bzw. ganz alleine halten.
Trotzdem finde ich die kategorische Ablehnung, die dir, lieber deutscher Horrorfilm, sogar und insbesondere aus den eigenen Reihen entgegenschlägt, etwas unfair. Denn unbestritten hast du einige Male das Licht gebracht. Beispiele? - Lommels ZÄRTLICHKEIT DER WÖLFE, Herzogs NOSFERATU-Remake, Buttgereits NEKROMANTIK, Sigls LAURIN, Huettners BABYLON, Marschalls TEARS OF KALI und Schwentkes TATTOO.
Natürlich ebenfalls nicht zu verachten die bereits angesprochenen Goregranaten aus der deutschen Amateur- und semi-professionellen Artillerie, deren feinsten meist von Ittenbach waren. Auch wenn wir die Hohe Kunst des Horror-genres nicht (mehr) so formvollendet beherrschen wie die meisten unserer europäischen Nachbarn; umso mehr freut es einen, wenn sich mal ein gelungener, deutscher Genrebeitrag über die Landesgrenzen hinaus bemerkbar macht.
Dies gelang im Jahr 2000 der Mainstream-Produktion ANATOMIE. Ruzowitzkys Film entpuppt sich aber auch als unerwartet frischer Cocktail. Der besteht zwar zum Gutteil aus einem Slasherflick US-amerikanischer Prägung, bekommt seine besondere Würze aber erst durch die Natürlichkeit seiner Hauptdarstellerinnen, die Einbindung von Von Hagens berühmten Körperwelten und dem Großverschwörungsplot um eine diabolische Medizinerschaft.
Franka Potente als Paula besteht ihre Scream Queen-Weihe ebenso bravourös wie Anna Loos ihre als blondes Gift.
Das Trumpfass von ANATOMIE ist aber der Hintergrund mit den Antihippokraten. Unter diesem Begriff firmieren Ärzte, die für ihre Wissenschaft kaltblütig über Leichen gehen und sich hier zu einem finsteren Geheimbund zusammengeschlossen haben. Daraus ergeben sich ein paar doch recht garstige Szenarien, die zwar nie allzu graphisch werden, aber dennoch geeignet sind, um dem Kassenpatienten ein ungutes Gefühl zu bescheren. Die Vorstellung, bei lebendigem Leibe zum Exponat der Körperwelten präpariert zu werden, ist schließlich keine angenehme.
In Verbindung mit den sympathischen Mädels Potente und Loos und der stimmigen Inszenierung stehen hier sogar ziemlich lange 8 Punkte im Raum, die erst im letzten viel zu konventionell geratenen Drittel, wenn das fiese Potenzial der Antihippokraten nicht mehr konsequent ausgenutzt wird, zu einer immer noch beachtlichen 7 schrumpfen.
Das Finale ist - wie angedeutet - reines Slasherfilmklischee. Hier hätte man sich wirklich etwas Finsteres gewünscht; ein Ende, das sich einer mächtigen bösen Geheimloge als würdig erwiesen hätte; etwas in der Art vom Magenhiebschluss eines MALASTRANA vielleicht.
Aber nein. Am Ende von ANATOMIE hat man das Gefühl, als schöpfe Ruzowitzky die Möglichkeiten des Plots nicht mehr voll aus; als wäre er nur noch daran interessiert Bewährtes routiniert herunterzuspulen. Dennoch bleibt ANATOMIE ein deutscher Horrorfilm, der sich nicht von seiner übermächtigen, internationalen Konkurrenz abhängen lässt.
Zum versöhnlichen Schluss, lieber deutscher Film, noch ein kleiner Appell an all diejenigen, die sich fast schon wollüstig das Maul über dich zerreißen. Diese Leute sollten immer daran denken, dass du nie mit ganz leeren Händen vors abseitige Genre getreten bist: Schließlich brachtest du M und den Dr. Mabuse, Edgar Wallace und CHRISTIANE F., Winnetou und SCHULMÄDCHEN-REPORTE. Und auch DIE TODESGÖTTIN DES LIEBESCAMPS hast du beschworen. Und auch wenn ihn Jess Franco gedreht hat: Selbst VAMPYROS LESBOS war eine deutsche Produktion Und auch für einen ANATOMIE muss sich niemand schämen!
Alt Heidelberg du Feine, du Stadt an Antihippokraten reich - Deutscher Medizinstudenten-Horror, dessen Mixtur aus US-Slasherflick, Anatomieschau und antihippokratischen Serienkillern, auch in Übersee Anerkennung fand. Zu Recht!
Gefolgt vom leider verunglückten ANATOMIE 2.