DRAMA: GB/USA, 2009
Regie: Dominic Murphy
Darsteller: Edward Hogg, Carrie Fisher, Kirk Bovill, Muse Watson
Man nennt ihn den "Dancing Outlaw": Jesco White, geboren 1956, war sechs Jahre alt, als er zum ersten Mal Benzin schnüffelte, und dreizehn, als er mit Crack in Berührung kam. Sein Vater, der es als Step-Dancer zur lokalen Berühmtheit gebracht hatte, schickt den kleinen Tunichtgut in eine Besserungsanstalt. Die bewirkt alles mögliche, aber bestimmt keine Besserung ihrer jugendlichen Insassen. Wieder entlassen, tritt Jesco in Vaters Fußstapfen und legt eine erfolgreiche Karriere als Mountain-Dancer, einer wüsten indianischen Abart des Step-Tanzes, hin. Doch lange kann Jesco seinen Erfolg nicht genießen; die Dämonen in seinem Kopf warten nur darauf, zuzuschlagen und sein Leben zu ruinieren
KRITIK:Das berühmt-berüchtigte Vice-Magazin pflegt ja bekanntlich ein inniges Verhältnis zum Medium Film, weshalb es in unregelmäßigen Abständen auch Hand an eigene Filmproduktionen legt.
Nach der, an den Standards des Hauses gemessen, erstaunlich seriösen Doku HEAVY METAL IN BAGHDAD erblickt nun ein weiterer Vice-Film das Licht der DVD-Regale.
"Mein Leben war eine Party, ein Witz und eine Tragödie. Alles auf einmal."
WHITE LIGHTNIN basiert lose auf der Lebensgeschichte des real existierenden Jesco White. Der Film leistet sich jedoch beträchtliche - ähm - erzählerische Freiheiten, dichtet dem "Dancing Outlaw" zwei Rache-Morde an und hält sich auch sonst nicht lange mit Subtilitäten auf. Jesco Whites Werdegang zum wahnhaften Paradepsychopathen wird anhand einer filmischen Tour de Force durch Drogenexzesse, Gewaltausbrüche, Kneipen, Gefängnisse und Irrenanstalten entsprechend drastisch illustriert.
Thematisch, aber auch was Radikalität und Abgefucktheitsgrad anbelangt, bewegt sich WHITE LIGHTNIN irgendwo zwischen BAD BOY BUBBY und EX DRUMMER - womit klar sein dürfte, dass die Zielgruppe der bildungsbürgerlichen Arthouse-Sensibelchen eher außen vor bleiben wird. Auf der Berlinale 2009 pendelten die Reaktionen denn auch zwischen Unverständnis und Abscheu.
Aber auch am Fantasy-Filmfestival dürfte es ein Film dieser Art schwer haben. Die Mordszenen mögen zwar in Punkto Härtegrad so manchen Seventies-Backwood-Slasher in den Schatten stellen (und sind auch in einer ähnlichen Filmästhetik umgesetzt). Doch die Story ist weniger an Gewalt-Entertainment als an Sozialrealismus interessiert, weswegen die Bluthund-Fraktion eher unruhig auf ihren Sesseln hin- und herrutschen dürfte.
Und die Schauspieler: In der Titelrolle gibt der mir bislang unbekannte Edward Hogg eine hinreichend exzessive Vorstellung als wahnhafte, getriebene, psychopathische Künster-Persönlichkeit. Und allen Star Wars-Fans, die ihre Prinzessin Leia alias Carrie Fisher hier wiedererkennen, spendiere ich ein Eis.
Gegen Ende hebt der Film völlig ab: Da gibt sich WHITE LIGHTNIN das volle religiös verbrämte Errettungs- und Erlösungs-Programm; brutale Bibelsprüche, Selbstgeiselungen und plakative Jesus-Bilder inklusive, dass dagegen selbst Mel Gibson wie ein liberaler Agnostiker wirkt. Wobei man den religiösen Overkill wohl nur als Kritik am christlichen Fundamentalismus, der sich in weiten Teilen der USA ausgebreitet hat, lesen kann.
In diesem Sinne: "Die Hölle auf Erden, damit die Ewigkeit im Himmel kommen kann. Aufruhr und Qualen, 40 Jahre Leiden, damit die Spur des Teufels ausgelöscht wird".
WHITE LIGHTNIN ist die viel versprechende erste Veröffentlichung des neuen Labels Störkanal, sozusagen die "KinoKontrovers"-Abteilung des eigentlich auf Splatter und J-Horror spezialisierten Labels I-On New Media. Mal sehen, was da noch kommt.
Wenn die bekannt "geschmackssichere" Vice-Mannschaft Hand an einen Film legt, ist mit allem zu rechnen: Das potscherte Leben des real existierenden 'Dancing Outlaws' Jesco White lieferte die Vorlage zu dieser bemerkenswert abgefuckten, in allen erdenklichen Rausch- und Wahnzuständen dahin delirierenden filmischen Tour de Force von einer Künstlerbiographie. Not for the faint-hearted.