DRAMA/HORROR: B/F, 2008
Regie: Fabrice du Welz
Darsteller: Emmanuelle Béart, Rufus Sewell, Petch Osathanugrah
Ihnen ist das Schlimmste widerfahren, was Eltern passieren kann: Ihr achtjähriger Sohn Joshua ist seit der Tsunami-Katastrophe in Thailand verschollen. Joshua ist tot, glaubt er (Rufus Sewell). Joshua lebt, davon ist sie (Emmanuelle Béart) überzeugt. Sie glaubt, ihren Sohn auf einem Videofilm über obdachlose Kinder in Burma zu erkennen. Ihr Mann Paul organisiert in der Unterwelt Bangkoks einen Schlepper, der sie tief in den burmesischen Dschungel bringen soll. Rasch müssen sie feststellen, dass man sie reingelegt hat. Aber es kommt noch schlimmer. Viel schlimmer...
Angeblich soll es ja keine Zufälle geben. Doch einen Tag vor Lars von Triers gigantischem ANTICHRIST hab ich einen thematisch nahezu identischen Film gesehen. In VINYAN wie in ANTICHRIST verliert ein Paar seinen einzigen Sohn. Hier wie da stockt die Trauerarbeit, in beiden Filmen wagen die traumatisierten Partner einen Trip in eine feindliche Natur. Und werden von ihren inneren Dämonen (oder höheren Mächten?) auseinander dividiert. Beide Filme könnte man, je nach Esoterik-Anfälligkeit des Betrachters, auch als Geisterfilme interpretieren. Unheimlich sind sie auf alle Fälle.
Abkupferei wird man dem jungen belgischen Regisseur Fabrice Du Welz jedoch keineswegs vorwerfen können. Allein schon deshalb nicht, weil sein Film früher da war.
Schon mit der homoerotischen Psycho-Groteske CALVAIRE hat Du Welz gezeigt, wie großes europäisches Verstörungskino aussehen kann. Mit VINYAN schreitet er den eingeschlagenen Weg unbeirrbar fort - hinein in den Dschungel, hinein ins sprichwörtliche Herz der Finsternis.
Ja, APOCALYPSE NOW lässt grüßen, und wohl auch der große Klassiker unter den Verschwundene-Kinder-Filmen, nämlich Nicolas Roegs unheimlicher Thriller DON'T LOOK NOW.
VINYAN ist vordergründig ein Beziehungsdrama, ein Film über zwei Menschen, deren Bande durch eine äußere Katastrophe gekappt wurde und die sich gegenseitig immer tiefer ins Unheil ziehen. In einer feindlichen Umgebung, in der Menschenleben wenig zählen.
Fabrice du Welz, der VINYAN selbst als "Experimentalfilm" bezeichnet, greift hier in die Vollen: Das Paranoia-Kino der Seventies lässt ebenso wie grüßen wie die pädagogisch wenig wertvollen Kannibalenfilme (!) dieser Zeit.
Ein Horrorfilm also. Und zwar einer von der beklemmenden Sorte. Das Grauen kommt dabei schleichend, bricht aber dann mit voller Wucht über die Protagonisten herein.
Mehr soll aber nicht verraten werden über diesen ungewöhnlichen, spannenden, bildgewaltigen und abgründigen Beziehungshorror-Film, der einige fiese Überraschungen bereit hält.
CALVAIRE-Regisseur Fabrice Du Welz bringt erneut großes Verstörungskino auf die Fernsehschirme aufgeschlossener Horrorfreunde, wenn er im Dschungel Burmas ein traumatisiertes Ehepaar nach seinem verschwundenen Sohn suchen lässt. Bildgewaltig, düster, unheimlich und definitiv nichts für die "Alles-muss-mit-den-Gesetzen-der-Logik-erklärbar-sein"-Fraktion.