PSYCHOHORROR: KANADA, 1982
Regie: David Cronenberg
Darsteller: James Woods, Sonja Smits, Deborah Harry, Peter Dvorsky
Auf der Suche nach neuen und extremeren TV-Formaten stößt Max Wren, seines Zeichens Programmchef eines Kabelfernsehsenders, auf eine mysteriöse Sendung namens VIDEODROME, welche Folter und Mord in Form eines südamerikanischen Snuffmovies beinhaltet. Wren ist begeistert und will mehr über VIDEODROME erfahren. Doch VIDEODROME übersteigt nicht nur seine Vorstellungskraft, sondern hat auch die Macht, die Realität auf groteske Art und Weise zu verändern
KRITIK:"Long live the New Flesh!" So lautet ein berühmtes Zitat aus diesem Cronenberg aus dem Jahr 1982. VIDEODROME ist der Kommentar des kanadischen Ausnahmeregisseurs auf die Omnipräsenz des Fernsehers, auf die Macht der Medien zur Abstumpfung und Korrumpierung, zur totalen Einflussnahme. Schön erkennbar in diesem kurzen Dialogausschnitt, der aus einer Szene stammt, in welcher Wrens Freundin in dessen Videosammlung einen Pornofilm sucht.
Sie: Was ist das hier? VIDEODROME? - Er: Folter und Mord. - Sie: Klingt phantastisch. - Er: Nicht gerade Sex. - Sie: Ansichtssache.
Wie gesagt: David Cronenberg übt hier Medienkritik. Auf seine nur ihm eigene unnachahmliche Weise. Damals Anfang der 80er brachte man seinen Namen noch nicht mit Filmen a la A HISTORY OF VIOLENCE oder TÖDLICHE VERSPRECHEN in Verbindung. Anfang der 80er stand er noch für sogenannten Körperhorror; für originellen, intelligenten und etwas abseitigen Horror wie DIE BRUT, SHIVERS oder RABID. VIDEODROME bedient sich ähnlicher Stilmittel - es geht um groteske psychische und körperliche Veränderung, Mutation, Evolution und Gore.
Erster Erfüllungsgehilfe ist Special FX-Man Rick Baker, der Cronenbergs makabre Visionen genial umsetzt, wenn er menschliche Körper zu Videorekordern umfunktioniert und Hände und Schusswaffen zu einer gallertartigen Einheit verschmelzen lässt.
Dann ist da noch Howard Shore, dessen minimalistischer Score zunächst etwas deplatziert wirkt, aber mit zunehmender Laufzeit den Ton dieser alptraumhaften Zukunftsvision genau trifft.
Die Vision von VIDEODROME sieht so aus, dass Cronenberg einmal mehr die reale und eine virtuelle Wirklichkeit miteinander vermengt, so dass daraus eine dritte, erschreckende Realität entsteht. In dieser schwebt nicht nur der Geist einer globalen, apokalyptischen Verschwörung, sondern die wird in diesem Fall durch Deborah Harry mit einigen leidenschaftlichen Maso-Einlagen scharf gewürzt.
Diese Mischung wird nicht alle Geschmäcker treffen, weil ein normales Publikum kaum bereit sein wird, den wilden Sprüngen des Plots in den puren Wahnwitz zu folgen. Und auch die "Vor-dem-Abspann-muss-alles-genaustens-erklärt-und-plausibel-nachvollziehbar-sein" -Fraktion wird am Ende eine beleidigte Schnute ziehen. Doch alle anderen werden sich der Meinung anschließen können, dass VIDEODROME zwar sperriger als die genannten DIE BRUT und co. ist, aber nicht minder unberechenbar, originell, clever und konsequent. VIDEODROME ist vor allem eins: Ein echter Cronenberg...
David Cronenberg übt Medienkritik mit apokalyptischen Snuffvideos, Halluzinationen, S/M-Sex und programmierten Killermutanten. Der Body Horror früher Tage ist mit knackigen Baker-Effekten noch vertreten, aber VIDEODROME stellt schon einen ganz großen Schritt in Richtung der späteren Werke des Kanadiers wie SCANNERS oder eXistenZ dar. Lang lebe das Neue Fleisch!