OT: Valerie a tyden divu / Valerie and Her Week of Wonders
DRAMA/HORROR: CSSR, 1970
Regie: Jaromil Jires
Darsteller: Jaroslava Schallerová, Helena Anýzová, Petr Kopriva
Ein Dieb schleicht sich nächtens ins Zimmer der 13-jährigen Valerie und klaut ihr ihre magischen Ohrringe, deren Zauberkräfte sie schon des Öfteren aus höchster Not gerettet haben. Tags darauf kommt eine Schauspieler-Gruppe in die Stadt, um auf einer Hochzeit zu spielen. Und plötzlich treiben überall schwarzgewandete Vampire und andere ungute Gesellen ihr Unwesen. Valerie hat Angst. Aber sie findet das furchterregende Treiben auch auf seltsame Weise anziehend ...
Wo 'Bildstörung' drauf steht, sind außergewöhnliche Filme drin. Das sollte sich mittlerweile herum gesprochen haben - und auch Drop Out Nr. 8 - wie das Label seine Veröffentlichungen zu benennen pflegt, macht hier keine Ausnahme.
VALERIE - EINE WOCHE VOLLER WUNDER ist ein tschechischer Horror-Märchenfilm aus dem Jahre 1970. Die gotische Schauergeschichte um Jungfrauen und Vampire gilt als eine der letzten Werke der "Neuen Tschechischen Welle", einer cineastischen Bewegung der späten Sechziger, die die (relativen) Freiheiten im kommunistischen System der damaligen Zeit - Stichwort Prager Frühling - auf kreative Weise nutzte und international erfolgreiche Regisseure wie Milos Forman und Jaromil Jires hervorbrachte.
"Alice im Wunderland auf Acid" - dem Urteil der B-Movie-Connaisseure von Twisted Flicks kann man sich vorbehaltlos anschließen. VALERIE entführt den Zuseher in die durchaus bizarre Vorstellungswelt eines 13-jährigen Mädchens, das eben begonnen hat, seine Eltern und Freunde als sexuelle Wesen zu begreifen. Dieser Prozess birgt offensichtlich einiges an Schreckenspotential: VALERIE ist in einer Traumwelt gefangen, in der es nur so wimmelt vor schwarzgewandeten Vampiren, maskenhaften Fratzen, kichernden Hexen und notgeilen Priestern.
Der Film basiert auf einem Werk des tschechischen Surrealisten Vítezslav Nezval, der wiederum Murnaus expressionistischen Klassiker NOSFERATU - EINE SYMPHONIE DES GRAUENS als Hauptinspiration für seine Valerie-Geschichte nannte.
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Valerie ein filmisches Erlebnis ist, wie man es nicht alle Tage hat. Mir sind die surrealistischen Albtraumwelten eines Alejandro Jodorowsky genau so in den Sinn gekommen wie der erwähnte NOSFERATU, allerdings eher in der farbenprächtigen Werner Herzog-Version. Die naturverbundenen Inselbewohner aus THE WICKER MAN schauen auch vorbei und treffen sich mit den Fabelwesen aus Neil Jordans COMPANY OF WOLVES und den Nymphen aus Sofia Coppolas THE VIRGIN SUICIDES zu einem sexuell aufgeladenen Freud(en)tänzchen im tschechischen Zauberwald.
Kollege Chris wird wahrscheinlich noch den einen oder anderen Film von Jean Rollin ins Assoziations-Karussel werfen, mit seiner dunklen Poesie und morbiden Erotik. Und eine lesbische Vampir-Szene gibts auch. Worauf wartest du noch, Chris?
In guter alter Surrealisten-Tradition wird das Unwirkliche, das Traumhafte und die Tiefen des Unterbewusstseins ausgelotet, und zwar in einer Bildgewalt und Detailverliebtheit, dass selbst Psychologie-Studenten im 500. Semester Schwierigkeiten haben werden, alle Meta-Ebenen vollständig zu entschlüsseln.
Bei Bildstörung ist man sich der Komplexität des Stoffes durchaus bewusst und hat der DVD ein 62-seitiges (!), eng bedrucktes Booklet, randvoll mit Essays und filmwissenschaftlichen Abhandlungen beigelegt.
Wem das jetzt zu anstrengend klingt, dem sei versichert, dass der Film auch auf einer simplen Unterhaltungs-Ebene funktioniert. Vorausgesetzt, man verfügt über die Fähigkeit, sich voll und ganz in den Bilderwelten zu verlieren. "Praktisch jedes einzelne Bild ist atemberaubend", schrieb eine amerikanische Zeitung. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Was die Story anbelangt, ist - ähm - freies Assoziieren angesagt. Zugegeben: Wenn eben Verstorbene in der nächsten Szene frisch-fröhlich durchs Bild spazieren, mag das gewöhnungsbedürftig erscheinen - oder gar an Ed Wood erinnern. Aber hey, der Film handelt von Träumen. Die müssen, nein, können nicht logisch sein. Aber erklär das mal den Christopher Nolan-Fans ...
Veredelt und verstärkt wird die Bildwirkung noch durch die Musik: Zwischen Sixties-Folk, Art-Rock und symphonischen Klängen gibt es da Fragmente von Kirchenliedern, die hören sich an, als würden sie schreien vor Schmerzen. Sollten etwaige fundamental-katholisch bewegte Leser einen Soundtrack zur rituellen Selbstgeiselung suchen: Bildstörung hat die Filmmusik als Extra-CD beigelegt.
Der fast 40 Jahre alte tschechische Horrorfilm VALERIE verbindet Freud und Fantasie, Sex und Surrealismus, Kitsch und Kunst, Musik und Märchen-Motive zu einem faszinierenden und völlig eigenständigen kleinen Meisterwerk, das von Bildstörung in gewohnt hochwertiger Weise auf DVD veröffentlicht wurde.
In diesem Sinne: "Ich bin wieder ein Ungeheuer!"