OT: Drabet
DRAMA: DK, 2005
Regie: Per Fly
Darsteller: Jesper Christensen, Beate Bille, Charlotte Fich, Pernilla August, Mads Wille
Das beschauliche Leben des Altlinken Gymnasiallehrers Karsten (verheiratet, einen erwachsenen Sohn, einen sicheren Posten) gerät ins Wanken als seine heimliche Geliebte und Exschülerin Pil bei einer politisch motivierten Aktion einen Polizisten totfährt..
KRITIK:Am Anfang steht der Sprung. Der Sprung in den Abgrund. Wir sehen Karsten (Jesper Christensen aus Casino Royale) wie er zusammen mit seiner gut 20 Jahre jüngeren Geliebten (Beate Bille) über eine Klippe springt. Mit einem Gleitschirm. Die Anfangsszene nimmt schon viel vom weiteren Verlauf des Films vorweg, ich finde, sie beschreibt die Essenz des Films gut.
Es ist ein kurzer Moment, an dem man die Kontrolle ergreift, losläuft und schließlich den finalen Absprung wagt (und gleichzeitig den Boden unter den Füßen verliert). Für Pil ist ein solcher Moment, als sie den Entschluss fasst ihren Worten über die in der Welt vorherrschende Ungerechtigkeit Taten folgen zu lassen um endlich etwas bewegen zu können.
Und Karsten? Auch Karsten entschließt sich für den Sprung ins kalte Wasser, als er nach Pils Tat endlich den Mut findet, aus seiner glücklosen Ehe auszubrechen und für Pil dazusein. Nicht nur das. Karsten wird nun sogar selbst politisch aktiv. Als er ihm Rahmen eines wöchentlichen Gefängnisbesuches herausfindet, dass Pil während ihrer Festnahme von Polizisten geschlagen worden ist, nimmt er kein Blatt vor den Mund:
"Die Leute glauben wenn so etwas geschieht, dass plötzlich die Gewalt Einzug in unsere Gesellschaft gehalten hätte. Aber in unserer gemütlichen kleinen Gesellschaft ist Gewalt längst Teil des Alltags geworden. Wir haben Firmen, die Waffen produzieren, damit die F16 losfliegen und Tausende Menschen umbringen können. Wir unterzeichnen WTO-Verträge und führen Handelskriege gegen Millionen Menschen in armen Ländern; auch das ist Gewalt. Auf der einen Seite haben wir einen toten Polizisten und auf der anderen ein Kind im Irak, das Leukämie kriegt, weil wir die Sprengköpfe mit Uran angereichert haben. Zwei Opfer eines Krieges den Dänemark führt. Aber keiner sieht den Zusammenhang."
Okay. Altlinker der plötzlich politisch aktiv wird und reißerische Reden schwingt. Das klingt nach der üblichen Alt-68er-Abrechnung, oder? Falsch. Wer die übliche Abrechnung mit den Idealen von damals erwartet, könnte falscher nicht liegen. Sicher, die Ideale von damals werden hinterfragt und lässt die Hauptfigur auch erkennen, dass der Tod eines Kindes im Irak die fahrlässige Tötung eines Polizisten, der selbst Familienvater war, und nur seine Arbeit machen wollte, nicht rechtfertigt.
Dennoch geht der Film primär einen anderen weg. "Totschlag" entpuppt sich als vielschichtiges (Gesellschafts-)Porträt, dem es gelingt der schon oft durchgekauten Thematik sogar noch weitere Sichtweisen abzugewinnen. Was in die Richtung politischer Film gehen hätte können, entpuppt sich mehr und mehr als Psychodrama über Schuld und Verdrängung. Die Hauptfigur wird mehr und mehr hineingerissen in einen Strudel aus politischer Überzeugung, Begehren, Liebe und Eifersucht. Und schlussendlich auch Schuld.
Es geht um zerplatze Träume und zerstörte Schicksale. Lebenslügen und Egoismus, Feigheit und Verdrängung.
Regisseur Per Fly schließt mit "Totschlag" seine Trilogie über die dänische Gesellschaft ab. Widmete er sich in "Die Bank" noch der dänischen Arbeiterklasse und wandte er sich beim, zumindest bei uns, wohl bekanntestem Teil "Das Erbe" der Oberschicht zu, ist in "Totschlag" die Mittelschicht an der Reihe.
"Totschlag" ist sicher kein Film für Ungeduldige. Er nimmt sich Zeit für die Entwicklung seiner Charaktere, nur um diese dann genüsslich auszuloten. Regisseur Per Fly erzählt die Geschichte nüchtern und unspektakulär. Der Film ist wohl noch am ehesten vergleichbar mit Filmen von Christian Petzold. Per Fly gelingt es scheinbar mühelos Politik, Ethik und persönliche Schicksale miteinander zu verflechten, genauer gesagt die politischen Ideen auf einzelne Personen aufzusplittern und die Motivation hinter den Handlungsweisen zum Vorschein zu bringen.
Die Schauspieler leisten durch die Bank großartige Arbeit, vor allem Hauptdarsteller Jesper Christensen bleibt in Erinnerung. Aber auch was die Kamerarbeit betrifft gibt es einige Gustostückchen. Vor allem die eingangs bereits erwähnten Paragleit-Szenen sind ein wahrer Augenschmaus.
Mit "Totschlag" wendet sich Per Fly dem Ende seiner Dänemark-Triologie zu und beleuchtet anhand des Schicksals eines Oberstufenlehrers, der in linksradikale Kreise gerät, die dänische Mittelschicht. Es ist nicht gerade ein "schönes" Gesellschaftsporträt über Schuld und Verdrängung, das er heraufbeschwört. Auch wenn "klassische" Bösewichte fehlen, so werden am Ende des Films doch einige Schicksale zerstört sein, nicht zuletzt durch die Feigheit und den Egoismus einzelner Protagonisten.