SUPERHELDEN-EPOS: USA, 1984
Regie: Lloyd Kaufman, Michael Herz
Darsteller: Mitch Cohen, Jennifer Prichard, Andree Maranda
Dies ist die Geschichte eines schmächtigen Jungen namens Melvin, der eines Tages in ein Fass mit radioaktiver Brühe gefallen war. Vor den Augen der geschockten Passanten vollzieht sich eine fürchterliche Metamorphose: Melvin mutiert zu einem muskelbepackten Monster, der als "First Super-Hero from New Jersey" auf Verbrecherjagd geht. Und für Drogendealer, Kindermörder, Grundstücksspekulanten und kriminelle Politiker brechen schwere Zeiten an
KRITIK:Kürzlich geisterte ja eine dieser WTF-Meldungen durchs Web, bei denen man sich entsetzt die Augen reibt und sich fragt, ob einem die Sinnesorgane möglicherweise einen üblen Streich gespielt haben. Lloyd Kaufman, einer der letzten aufrechten Kämpfer für independent filmmaking, soll die Rechte für ein Toxic Avenger-Remake an Hollywood verscherbelt haben. Laut cinema.de soll das Remake eine "Actionkomödie für die ganze Familie" werden, in der Toxie als grüner Superheld in umweltbewussten Zeiten kämpft. Regie soll ein gewisser Steve Pink führen, dessen filmisches Sündenregister von so verheißungsvollen Titeln wie "S.H.I.T - Die Highschool GmbH" geschmückt wird.
Grund genug, mal wieder das kultisch verehrte Original von 1986 in den Player zu legen.
Knappe 100 Minuten später steht fest: Toxie rockt immer noch. Der Film hat ja seinerzeit für Furore gesorgt. Die um lächerliche 500.000 Dollar heruntergekurbelte produzierte Trash-Komödie um den radioaktiv verstrahlten Superhelden hatte sagenhafte 15 Millionen in die Kassen des unabhängigen Filmstudios Troma gespült. Unter dem Verleihtitel "Atomic Hero" durfte Toxie auch in den deutschen und österreichischen Kinos fröhlich den Wischmop schwingen.
Sogar ein gewisser Frank Hoffmann, der in seiner wöchentlichen ORF-Kino-Sendung Trailer - erinnert sich eigentlich noch jemand? - alles, was irgendwie nach Action, Horror oder ganz einfach Genrekino roch, in Bausch und Bogen zu verdammen pflegte, fand überraschend lobende Worte. Von einer "kultverdächtigen Wahnsinns-Komödie" war da die Rede. Von einem erfrischend subversiven Horrorfilm voller Gesellschaftskritik und Seitenhieben auf den stumpfsinnig-brutalen Alltag (nicht nur) der US-Gesellschaft.
Zugebenen, bei der ersten Sichtung im damals noch nicht ganz erlaubten Alter von ca. 14 Jahren ist mir besagte Gesellschaftskritik eher weiträumig am Allerwertesten vorbei gegangen - die zahlreichen plakativen Sexzenen, die comichaft übersteigerte Gewalt und die dekorativen Splatter-Exzesse jedoch nicht. Auch wenn letztere in der übelst gekürzten deutschen Videofassung nur noch zu erahnen waren.
Es sollten noch viele Jahre ins Land ziehen, ehe die stattliche Anzahl an deutschsprachigen Troma-Fans mit der ungekürzten Fassung von Toxies blutrünstigen Abenteuern versorgt wurde. Mitte der Neunziger eröffnete Troma eine Deutschland-Filiale und brachte die filmischen Perlen, zu denen ich unbedingt auch die - ähm - eigenwillige Shakespeare-Adaption TROMEO UND JULIA, die Rambo-Parodie TROMAS WAR und den Exploitation-Reißer SURF NAZIS MUST DIE zählen möchte, als Directors Cut auf DVD.
Leider war dem Label kein langes Leben beschieden, und besagte Perlen sind heute nur noch schwer erhältlich.
Vielleicht sorgt ja das Remake dafür, dass der Original-TOXIC AVENGER und seine mittlerweile drei Sequels neu veröffentlicht werden. Damit der Mist wenigstens irgend etwas Gutes hat.
Kommen wir zurück zu Toxie: Bei so genannten Kultfilmen gibt es bekanntlich kein Mittelmaß, kein So-lala, kein halbherziges "Ja, eh nett, aber". Man muss Stellung beziehen. Lieben oder Hassen. Dazwischen gibts nichts. Ratet mal, wofür ich mich entschieden habe.
Filmkritiker Markus Keuschnigg, der umtriebige Mann hinter dem /slash-Filmfestival, hat ja gestanden, beim TOXIC AVENGER zu weinen. Okay, ganz so nahe am Wasser gebaut bin ich jetzt nicht, aber ich kanns bestens verstehen. Was die besseren Troma-Filme im Allgemeinen und den TOXIC AVENGER im Besonderen auszeichnet, ist ja dieser ganz spezielle, keineswegs rührselige, aber warmherzige, humanistische Humor, der mir so viel mehr gibt als alle ach-so wertvollen, programmkinokompatiblen "warmherzigen" französischen Weinkenner-Komödien zusammen.
Dass diese Herzrausreißer-Wirkung trotz Darstellern funktioniert, die gewiss noch nie eine Schauspielschule von innen gesehen haben, ist das eigentliche Wunder dieses schönen Films. Und der Grund, warum ich Lloyd Kaufman, einen der letzten wirklichen Film-Maniacs, für ein Genie halte.
In diesem Sinne: "Oh mein Melvin, endlich bist du in die Pubertät gekommen!"
Es gibt wohl keinen Film aus den Achtzigern, die den schwer überstrapazieren Begriff "Kult" redlicher verdient hat als der radioaktiv verstrahlte Superheld Toxie, der mit seinem Wischmop auf Verbrecherjagd geht. Das angedrohte Hollywood-Remake dieses subversiven Klassikers kann wohl nur ein schlechter Scherz sein