OT: The Hurt Locker
KRIEG: USA, 2008
Regie: Kathryn Bigelow
Darsteller: Jeremy Renner, Anthony Mackie, Brian Geraghty, Guy Pearce
In ihrem ersten Spielfilm seit sechs Jahren blickt Katryn Bigelow einem amerikanischen Bombenräumkommando in Irakkrieg bei ihrer schweißtreibenden Arbeit über die Schulter.
"War is a Drug" steht in großen Buchstaben auf dem Bildschirm. Kathryn Bigelow inszeniert den Krieg als Droge mit hohem Suchtpotential. Die Süchtigen sind die Elitensoldaten eines Bombenentschärfungskommandos, die in martialischen Schutzanzügen durch die Straßenschluchten Bagdads streifen und unter Lebensgefahr Bomben unschädlich machen. Wer sind diese Männer, was geht in ihnen vor, was treibt sie an?
Es sind - Überraschung - psychisch höchst fragile Persönlichkeiten. Wie alle (Adrenalin-)Junkies brauchen sie ihre Kicks, um vor ihrer inneren Leere zu flüchten. Die lebensgefährlichen Einsätze unter extremsten Bedingungen, wo jeder Schritt der letzte sein könnte und jede falsche Bewegung die Bombe hochgehen lässt, gibt ihnen den ultimativen Kick.
Kathryn Bigelow liebt diese virilen, testosteronstrotzenden, unverantwortlichen, grenzgängerischen, selbstzerstörerischen Mann-Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs. Hat sie immer schon, im Vampirwestern NEAR DARK, im Extremsport-Thriller POINT BREAK oder im unterschätzen Sci-Fi-Noir-Reißer STRANGE DAYS. Und eine Zeitlang war sie auch mit so einem Exemplar, nämlich James Cameron, verheiratet.
THE HURT LOCKER zeigt Bigelow auf dem Höhepunkt ihrer Kunst: Wahnsinn, wie unglaublich spannend dieser Film ist. Bigelow interessiert sich nicht für den Hintergrund des Krieges; es gibt keine Rahmenhandlung, keine langwierige Charakter-Einführung. Der Film konzentriert sich allein auf die physischen und psychischen Extremzustände rund um die Bomben-Einsätze: Während die Männer sich den Einsatzorten nähern, die Umgebung sichern und dem tickenden Tod ins Auge blicken, hält man - ohne Übertreibung jetzt - beinahe den Atem an vor Anspannung und fiebriger Intensität. Verdammt, effizienter und - ich wiederhole mich - spannender hat man selten einen Kriegseinsatz auf der Leinwand miterlebt.
Halt, stimmt nicht ganz. Denn ein Leinwandeinsatz wurde Kathryn Bigelows Film ursprünglich bekanntlich verwehrt. Über die Hintergründe kann ich nur spekulieren. Zu vielschichtig und komplex für die mainstreamorientierte Actioncrowd, auf die der seltenblöde deutsche Verleihtitel "Tödliches Kommando" wohl abzielt. Und wohl zu brutal und moralisch indifferent für die gutbürgerlichen Programmkino-Sensibelchen.
Es ist nämlich so: Kathryn Bigelow weigert sich, eine moralische Gebrauchsanweisung für ihren Film mitzuliefern. Sie enthält sich jeglicher politischen Aussage. Und sie hat auch keine Lust, das, was sie ausdrücken will, in das Korsett eines dieser idiotischen, fürs Massenpublikum zusammengeschusterten Kriegsfilm-Handlungen zu pressen, wo - frei erfundenes Beispiel - ein Spezialtrupp den Auftrag bekommt, für eine Frau, die bereits drei Söhne verloren hat, den vierten Sohn, der auf den Namen James Ryan hört, aus den feindlichen Linien zu retten...
Aber offenbar geht's nicht ohne: Wie üblich wurden die einschlägigen Filmforen zugerotzt, dass der Film "keine vernünftige Handlung" habe und - mit Ausnahme der Bombenszenen "richtig fad" wäre. Gott, manche Actionfans sollten mal sehen lernen.
Letzte Meldung: Der Filmverleih, der vor einem halben Jahr THE HURT LOCKER eines Kinostarts für nicht würdig erachtet hatte, freut sich jetzt aufrichtig über die sechs Oscars und bringt den Film zwei Monate nach der DVD-Veröffentlichung doch noch auf die große Leinwand. Was ein paar Goldmaxerln ausgeben!
Kathryn Bigelows eindrucksvolles Comeback: Ein wahnwitzig spannender, moralisch ambivalenter, semi-dokumenatrischer Actionreißer, der den Krieg als süchtig machenden Adrenalinrausch inszeniert. Heftig!