OT: Femina ridens
GIALLO / EROTIK: ITALIEN, 1969
Regie: Piero Schivazappa
Darsteller: Dagmar Lassander, Philippe Leroy, Lorenza Guerrieri, Varo Soleri
Er - sehr reicher Akademiker. Narzisst. Sadist. Misogyne. Eventuell ein mehrfacher Frauenmörder. Sie - Journalistin. Schön. Sexy. Augenscheinlich wehrlos und devot. Er kidnappt Sie in seine hochmoderne Residenz; die sich schnell als stilvoll psychopathisch eingerichtete und mit Hi-Tech ausgestattete Folterkammer entpuppt. "You cannot imagine the pleasure it gives me to watch a woman in the grip of fear ", sagt der ältere, solvente, aber durchtrainierte Er und teilt seiner neuen Sklavin mit, dass er es liebt, Frauen im Moment der höchsten Ekstase zu töten -Und nun können die bizarren Spielchen beginnen, an denen Sie langsam Gefallen zu finden scheint .
Das S&M-Moment ist im Giallo schon öfters zu finden gewesen. Man erinnere sich an die etwas eigentümliche Affäre zwischen Edwige Fenech und ihrem sadistischen Ex-Lover Ivan Rassimov in DER KILLER VON WIEN. Oder an Anthony Steffens seltsame Vorlieben in THE NIGHT EVELYN CAME OUT OF THE GRAVE.
Auch in Luciano Ercolis ersten Giallo THE FORBIDDEN PHOTOS OF A LADY ABOVE SUSPICION wird Dagmar Lassander, die auch in THE FRIGHTENED WOMAN die Hauptrolle spielt, in den devoten Part einer sadomasochistischen Beziehung gezwungen; welche allerdings weit weniger explizit als jene, die Schivazappa in seinem hier vorliegenden ersten Kinofilm beschreibt.
Wobei man das Wort "explizit" jetzt nicht mit "extrem" gleichsetzen sollte. Niemand sollte harte, bizarre Pornographie in THE FRIGHTENED WOMAN erwarten; auch wenn der Film, der mittlerweile auch schon über vierzig Jahre auf den Buckel hat, inhaltlich schon an Tabus kratzt und einige für damalige Sehgewohnheiten sicherlich sehr pikante Szenen zu bieten hat.
Schivazappa hat in einer Zeit, wo ein blanker Busen auf einer Kinoleinwand noch Stürme der Entrüstung entfachen konnte, in jeden Fall bemerkenswerten Mut zur Provokation bewiesen. Da schildert er recht detailliert Master & Slave-Spielchen oder demonstriert mit der schon im Trailer zu bewundernden Schwimmbadszene politisch völlig unkorrekt eine Male Supremacy-Attitüde, die wohl jeder Feministin dieser Erde zunächst einmal die Zornesröte ins Gesicht steigen lässt.
Doch den weiblichen Lesern sei versichert, dass wir Schivazappa vom Verdacht, ein Frauenhasser zu sein wohl freisprechen können und auch meine Frau hat nicht die Scheidung eingereicht, nachdem ich ihr meinen erklärten Liebling THE FRIGHTENED WOMAN vorgeführt habe.
THE FRIGHTENED WOMAN ist vor allem Style! Style in den Dekors, Style in der Kleidung, Style in der Musik, Style in jeder Einstellung; in jeder einzelnen Minute des Films.
Das schlichtweg überwältigende Set-Design und Ciprianis herrlich abgefahrene Musik schießen uns ohne Federlesens in eine andere Welt. Nämlich in die des verkappten Psychopathen, der seine Angst vor Frauen mit männlicher "Allmacht" kaschieren will. Wir tauchen ein in die Welt eines Mannes, der eine Galerie von Gemälden besitzt, auf denen die Hüllen aggressiver Virenstämme abgebildet sind. Der eine Gummipuppe nach seinem Ebenbild angefertigt hat und dann seine Sklavinnen zwingt mit dieser Sex zu haben.
Wir befinden uns in einer abartigen, aber irgendwie auch stilvollen und surrealen Welt. Und jedes Mobiliar, jedes Dekor zeugt von dieser. Allen voran diese riesigen an die Werke des japanischen BLIND BEAST erinnernden gespreizten Frauenbeine mit der begehbaren Vagina dentata dazwischen.
THE FRIGHTENED WOMAN ist aber auch Erotik. Die charismatische Dagmar Lassander in einer ihrer atemberaubendsten Rolle. Mit jeder Minute, die hier vergeht, wird sie unwiderstehlicher. Mit ihrem kongenialen männlichen Co-Star, dem heute noch aktiven Franzosen Philippe Leroy (der übrigens auch in einem anderen italienischen Skandalwerk - nämlich dem NACHTPORTIER- zu sehen ist) liefert sie sich ein bizarres Duell auf der Spielwiese der abseitigen Lüste. Und das ist faszinierend, spannend und erotisch von der ersten bis zur letzten Minute.
THE FRIGHTENED WOMAN ist auch Sado-Maso-Chic. Fernab aller martialischer Folterkammererotik spielen sich die Master/Slave-Spielchen der beiden (die übrigens durchaus auch Raum für zärtlichere Momente bieten) in einem optisch überwältigenden, schräg-stilvollen Pop Art-Ambiente ab, was dem Ganzen noch eine zusätzliche extravagante Note gibt. Dabei deckt die Atmosphäre von stilvoll, sexy, kitschig und pervers wohl alle Facetten ab.
THE FRIGHTENED WOMAN ist gewissermaßen eine einmalige Filmerfahrung, die sich schwer in einem Genre einordnen lässt. Im Bereich des (stilvollen) erotischen Films, wo er sicherlich zu den beeindruckendsten gehört, ist FEMINA RIDENS (so der bekanntere Originaltitel) längst ein Klassiker, aber auch unter den Fans des italienischen Nischenkinos hat der Streifen unbestritten Kultstatus erlangt.
Wenn man sich von Scheuklappen nicht behindern lässt, könnte man THE FRIGHTENED WOMAN sogar als Giallo sehen. Denn trotz fehlender schwarzer Handschuhe steht der Film nicht nur was Style und Musik angeht, sondern auch inhaltlich dem Genre näher, als manch einer vielleicht bislang vermutet hat.
Die ersten beiden Drittel sind schon recht gelb eingefärbt und erst gegen Ende hin scheint sich THE FRIGHTENED WOMAN aus der abseitigen Kategorie gänzlich in Richtung erotischer Film zu verabschieden. Doch Schivazappa hat auch da noch eine Überraschung in der Hinterhand.
In einer hoch technologisierten Pop Art-Folterkammer spielt die atemberaubende 70er Jahre-Ikone Dagmar Lassander sexy, aber gefährliche S/M-Spiele mit dem scheinbar psychopathischen Sadisten Philippe Leroy
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Style to burn in jeder Einstellung, umwerfendes Setdesign, eine anbetungswürdige Lassander und ein knackiger Cipriani-Score erwarten den Zuschauer in Schivazappas FRIGHTENED WOMAN. Ganz egal ob man den exquisiten Streifen nun als schickigen Blick in die sadomasochistischen Endsechziger, Pop Art-Erotik oder gar als Giallo betrachtet; man hat es mit einem lupenreinen Kultfilm zu tun.