OT: Bugie rosse
GIALLO: ITALIEN, 1993
Regie: Pierfrancesco Campanella
Darsteller: Tomas Arana, Lorenzo Flaherty, Gianfranco Jannuzzo, Gioia Scola
In der Homosexuellenszene einer nicht näher bezeichneten italienischen Stadt geht ein geheimnisvoller Killer um, der bereits fünf Männer abgestochen hat. Da die Polizei in ihren Ermittlungen nicht vorankommt, entschließt sich der Journalist Marco (Tomas Arana) der Sache auf eigene Faust auf den Grund zu gehen. So taucht er undercover in die Szene ein bringt sein Leben immer mehr in Gefahr. Aber auch seine Ehe gerät mehr und mehr ins Schwanken, da Marco immer unsicherer in Bezug auf seine eigene sexuelle Identität wird ...
KRITIK:Gut geklaut ist halb gewonnen! - das jedenfalls scheint das Motto des alten italienischen Genrekinos gewesen zu sein. Dass dabei, im Gegensatz zum heutigen Hollywoodkino, nicht nur zweitklassige Remakes herauskamen, sondern viele Filme, die oft sogar besser als die Originale waren, hat schon so seine Gründe.
Ein gutes Beispiel ist der Film LAST HOUSE ON THE LEFT. Das Original von Wes Craven aus dem Jahr 1972 war, nüchtern betrachtet, nicht viel mehr als ein reißerisches C-Movie, das wahrscheinlich nur deshalb noch heute Kultstatus besitzt, weil es das Subgenre des "Rape and Revenge Movies" begründete.
Drei Jahre später drehte dann der Italiener Aldo Lado sein Quasi-Remake NIGHT TRAIN MURDERS. Hierbei verlegte er nicht nur die Handlung des Originals von der amerikanischen Provinz in ein urbanes europäisches Ambiente. Seine Version wird zusätzlich noch stark durch die wesentlich bessere Inszenierung aufgewertet. An der Handlung veränderte er im Wesentlichen nur ein scheinbar kleines Detail, doch gerade dies führt dazu, dass seine Version dem Original am Ende auch in Sachen Abgründigkeit haushoch überlegen ist.
Tasächlich waren die Italiener mit diesem Vorgehen so erfolgreich, dass es einige Jahre später dann die Amerikaner waren, die sich großzügig beim italienischen Genrefilm bedienten. So erschafft William Friedkin im Jahre 1980 mit seinem gialloesken Film CRUISING einen hoch atmosphärischen Thriller. Doch auch Friedkin modifiziert wiederum das vorgegebene Schema auf subversive Weise. So funktioniert CRUISING oberflächlich betrachtet zwar als klassisches Whodunit. Doch tatsächlich wird die Frage nach dem Täter niemals wirklich geklärt. Der Film verursachte damals in den USA einen Skandal und gilt noch heute als einer der umstrittensten amerikanischen Mainstreamfilme der Geschichte. Die Inhaltsangabe zu CRUISING ließt sich folgendermaßen:
In in der S&M-Homosexuellenszene von New York geht ein geheimnisvoller Killer um, der bereits mehrere Männer abgestochen hat. Da die Polizei in ihren Ermittlungen nicht vorankommt, schickt sie den jungen Polizisten Steve Burns (Al Pacino) undercover in die Szene, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dieser bringt nicht nur sein Leben immer mehr in Gefahr, auch seine Ehe gerät mehr und mehr ins Schwanken, da er immer unsicherer in Bezug auf seine eigene sexuelle Identität wird ...
Und damit wäre ich endlich bei Pierfrancesco Campanellas RED LIES aus dem Jahre 1993 angekommen. Bei diesem handelt es sich, wie aus den beiden Inhaltsangaben sofort ersichtlich, um ein ziemlich unverhohlenes CRUISING-Rip-Off. Da fragt sich natürlich, ob es auch Campanella gelungen ist, Friedkins Film eigene, neue Qualitäten hinzuzufügen, oder ob es sich hier eher um ein weiteres Remake handelt, das nicht weiter der Rede wert ist.
Auf den ersten Eindruck zieht RED LIES ganz klar den kürzeren. Die Inszenierung ist zwar sehr solide, aber alles andere als originell. Von einer besonderen Atmosphäre fehlt hier eigentlich jede Spur. Stattdessen besitzt dieser Film diesen typischen kalten und sterilen Look der 90er Jahre und von der Musik möchte ich besser erst gar nicht anfangen ... Und während CRUISING zahlreiche bizarre Szenen aus der New Yorker "Leder-Szene" Anfang der 80er zu bieten hatte, wirkt RED LIES im direkten Vergleich erschreckend zahm.
Doch auf der anderen Seite liegt gerade hier eine der großen Stärken des Films. Die hier gezeigten Homosexuellen sind ganz gewöhnliche Menschen, und nicht wie bei Friedkin nur ein Haufen durchgeknallter und perverser S&M-Fistfucking-Leder-Freaks. Stattdessen sind es in RED LIES die ignoranten "Normalen", die den Schwulen das Leben schwer machen. Und war das Eintauchen in diese Welt für den von Al Pacino verkörperten Polizisten noch weitestgehend gleichbedeutend mit dem Abdriften in ein dunkles Reich aus Mord und Perversion, so wird sie für den Journalisten Marco zu einer faszinierenden Entdeckungsreise, bei der sich ihm ganz neue Aspekte seiner eigenen Persönlichkeit offenbaren.
So verbindet RED LIES den klassischen Giallo mit einem ernsthaften Drama. Letzteres wird unterstützt durch die durchgängig soliden Schauspielleistungen. Insbesondere der Hauptdarsteller Tomas Arana kann in seiner Rolle als Marco vollkommen überzeugen. Und für die, denen das allein trotzdem zu fad ist, hat der Film dann auch noch ein paar blutige Morde und sleazigen Sex zu bieten.
Der in der Schwulenszene angesiedelte Thriller RED LIES ist das italienische Quasi-Remake des amerikanischen Reißers CRUSING. Atmosphärisch kann der Film dem Original keineswegs das Wasser reichen. Dafür verkommt das Eintauchen des Protagonisten in diese Welt aber auch nicht zur reinen Freak-Show. Ein gutes Skript und die durchgehend überzeugenden Darsteller sorgen dafür, dass sich das Geschehen nicht nur für den Journalisten Marco zu einer faszinierenden emotionalen Reise entwickelt.