SERIENKILLERSTUDIE: DEUTSCHLAND, 2006
Regie: Rouven Blankenfeld
Darsteller: Karsten Dahlem, Stefanie Muehle, Arved Bernbaum,Judith Hoersch
Er engagiert sich sozial in einer Essensausgabestelle für obdachlose Jugendliche und Drogensüchtige.
Und er tötet Mädchen, um sich an deren Leichen zu vergehen
Die erste Szene: Ein nackter Mann beim Sex mit einem toten, offensichtlich ermordeten Mädchen Nach dem Vorspann sehen wir denselben Mann bei seinem Tagwerk am Fließband. Ganz der nette Kollege. Feierabend. Auf dem Nachhauseweg fällt ihm eine junge Drogenabhängige auf. Er nimmt die Fährte auf; der sympathische Mann macht dem urbanen Raubtier Platz - dem Serienkiller
Ein Independentfilm mit einer solch komplexen Thematik Kann das gut gehen? Zweifel sind in dieser Frage sicherlich angebracht, in diesem Fall aber völlig fehl am Platz.
LIEBEN ist zwar ein unabhängig produzierter Film aus Deutschland, aber ganz weit entfernt von hiesigen Amateursplattereien. Er verzichtet auf effekthascherischen Firlefanz und zeichnet ein nüchternes, neutrales, aber umso realistischeres Bild eines nekrophilen Serienmörders. Und filmisch ist er auf allen Ebenen - angefangen von Blankenfelds reifer, versierter Regie über die tadellose Technik bis hin zu den überzeugenden Darstellern - absolut professionell gemacht. Kurzum: LIEBEN ist neben dem thematisch ganz anders gelagerten, aber nicht minder beeindruckenden TEARS OF KALI das Beste, was der abseitige deutsche Film seit Jahren hervorgebracht hat.
In der Hauptrolle sehen wir Karsten Dahlem. Der hat alle Facetten einer kranken Persönlichkeit drauf. Er ist der Sozialengagierte. Der nette Kollege. Der schüchterne Junge. Der Kumpel. Der Lügner. Der Killer. Der Leichenficker. Das Monster. Phasenweise hat mich sein geniales Spiel an Michael Rooker damals in HENRY - PORTRAIT OF A SERIAL KILLER erinnert.
Überhaupt ist es nicht zu vermessen, Blankenfelds LIEBEN mit John McNaughtons Opus Magnum auf eine Stufe zu stellen. LIEBEN ist ebenfalls ein drastischer Film über Abgründe - menschliche wie gesellschaftliche. Sein Erzähltempo ist ruhig, aber stets intensiv. Und immer wieder brechen sie über uns herein. Die extremen Momente. Verzweiflung. Mord. Nekrophilie. Zerstücklung.
Auffällig die Szenenwechsel, die den Zuschauer beinahe übergangslos von einem Extrem ins Nächste lotsen. In diesem Augenblick wird noch eine Mädchenleiche penetriert; im nächsten befinden wir uns schon in einer geselligen Runde und lachen mit Freunden.
LIEBEN ist ein beängstigender Film. Warum? Blankenfelds Inszenierung und Dahlems Spiel sind so brillant, dass das Monster fast menschlich erscheint. Das hinterlässt ein ungutes Gefühl. Denn das bedeutet, es ist unter uns und unseren Kindern - und wir können es nicht erkennen
Der nette Junge von nebenan tötet junge Frauen, um sich an ihren toten Körpern zu vergehen - Eine extrem intensive Serienmörderstudie aus deutschen Landen, die so überraschend stark geworden ist, dass sie selbst den Vergleich mit Referenzwerken wie McNaughtons HENRY - PORTRAIT OF A SERIAL KILLER nicht zu scheuen braucht. LIEBEN ist eindringlich, beunruhigend realistisch und auch ohne billige Effekte äußerst drastisch. Und Rouven Blankenfeld ist ein Name, den wir uns merken müssen.