KRIMI: F, 1988
Regie: Roman Polanski
Darsteller: Harrison Ford, Emanuelle Seigner, Betty Buckley
Eine Entführung. Doch von all dem kriegen wir nichts mit. Wir sind mit Harrison Ford unter der Dusche. Er hat nichts davon gemerkt. Er rasiert sich, es klingelt an der Tür und er wundert sich, dass seine Frau nicht aufmacht. Der Portier kommt herein und bringt Frühstück. Er macht es sich damit auf dem Bett bequem und wartet also, dass seine Frau bald zurück kommt und sie zweisam ein entspannt, amouröses Wochenende in der Stadt der Liebe verbringen. Doch der Jetlag legt den Amerikaner erstmal lahm. Harrison Ford wacht Stunden später auf und seine Frau ist immer noch nicht zurück.
KRITIK:Da war doch der verwechselte Koffer. Dann geht alles seinen Lauf und Roman Polanski, dessen Frühwerk ihn zu meinem Lieblingsregisseur macht, beginnt einen Altmeister zu zitieren. Hitchcock spukt in diesem Film, der Thriller und Actionfilm sein will. Doch nein. Von einem Thriller ist FRANTIC (übersetzt: wild, rasend, hektisch) weit entfernt. Polanski inszeniert kühl, distanziert und sehr, sehr gemächlich. Er lässt sich Zeit und das irritiert.
Wo Hitchcock mit raffinierten Einstellungen allein Angst erweckt, will Polanski es zumeist mit der schauspielerischen Leistung von Harrison Ford. Doch der spielt monogam eine weitere Bedeutung von FRANTIC: verzweifelt. Gut, Harrison Ford kann das seit Indiana Jones natürlich verdammt gut. Was nun aber irritiert: Polanski macht es einem schwer, sich mit Walker, der Rolle von Ford, zu identifizieren. Das kann aber auch damit zusammen hängen, dass Polanski seine Figur des "Amerikaners in Paris" möglichst realistisch zeichnen wollte. Blöd stellt sich der bei der Suche nach seiner Frau an. Auch in seinem Film fällt ein Amerikaner auf.
Der Film lässt in den ersten zehn Minuten schon erkennen, welchen Gang Polanski zwei Stunden lang fährt und stellt mit seiner Art zu Erzählen hunderte Genreregeln auf den Kopf. Polanskis Versuch war wohl das hitchcocksche Terrain (der amerikanischen Unmöglichkeiten) mit dem europäischen realistischen Film zu paaren.
Spielt Polanski in der ersten Stunde noch mit dem berüchtigten MacGuffin, ist er in der zweiten Hälfte des Films zur hochentwickelten Schaltröhre geworden, den alle haben wollen. Und die Araber natürlich am meisten. Polanski will Hitchcock nicht kopieren, er benutzt seine Regeln, er bricht sie und diese Kühnheit wirkt sich auf den kompletten Film aus. Hitchcock-Liebhaber, wie ich es einer bin, tun sich schwer.
Ist diese Wirkung dann aber doch Intention? Polanski ist ein Genie, aber ihm wird auch nachgesagt, manchmal nicht zu wissen, worauf er mit einem Film eigentlich hinaus will.
Filmtheorie dahingestellt, Polanski beweist in FRANTIC, neben seiner schwer zu interpretierbaren filmischen Absicht, aber auch die Raffinesse, auf fieseste Art menschliche Schwächen und Kulturen vorzuführen. Nicht nur Walker fällt da als typischer "Americ" auf, Polanski fokussiert Reaktionen der Pariser. Ein allessagender Blick des Concierge, nach dem Walker den Hotelmanager verlangt. Herumalbernde Polizisten bei der Aufnahme der Personaldaten der Vermissten.
Der verzweifelte Amerikaner wird in Paris nicht sonderlich ernst genommen. Selbst von seiner schlampigen Begleiterin Michelle nicht, Emmanuelle Seigner, die unbedingt an ihren Koffer und vor allem an das Geld ran will, das sie sich mit dem Transport des Desiderats verdient hat. Den verführerisch - konfusen Charakter ihrer Nebenrolle in diesem Film wird sie auch nicht in den weiteren Filmen von Polanski verlieren. Das hat zum einen mit ihrer Ausstrahlung zu tun, zum anderen mit der seltsamen Vorliebe ihres Mannes sie (zwie)erotisch in seinen Filmen zu verewigen. Sie bringt Männer in missliche Lagen, zerstört sie, raubt ihre Seelen, während sie sie küsst.
Und irgendwie ist dann doch alles amerikanisch. Die franzöische Stadt ähnelt dem Bild einer amerikanischen und Polanski zeigt, je sturer und eitler ihre Bewohner sich von dem Bild des Amerikaners entfernen, desto näher kommen sie ihnen. Pariser Clubs haben amerikanische Namen, die darin gespielte Musik klingt amerikanisch. Wir sehen Polizisten, die sich so geben wollen wie in amerikanischen Krimis: Böser Cop, guter Cop, Viel ist nicht um. Die beiden Nationen und ihre Kulturen. Wo beginnt Paris, wo hört Amerika auf?
Polanski macht keinen Hehl draus, prangert den falschen Stolz der Franzosen frech an, vielmehr als er Uncle Sam in seinen dreckigen Sack kneift. Und wo mans nicht erwartet: ja, gerade dieses Bild dieser Stadt verängstigt, oder irritiert zumindest! Ist das etwa die Stadt der Liebe? Sind das die Menschen dort? Sehen WIR Amerikaner genau so? Der Regisseur nickt selbstgefällig. Ja. Und die Freiheitsstatue, Lady of Liberty, das immer noch keusche Wahrzeichen der amerikanischen Seele, das damalige Geschenk der Franzosen an die Staaten ist das Etwas, um das der freche Polanski alles aufbaut.
Mit diesem Motiv stellt er die gekränkte französische Seele dar. Die Echte steht auf Liberty Island, New York. In Paris eine schäbig kleine Nachbildung, die Polanski im Finale bei grusligem Morgenlicht zeigt. Eine düstere Kopie. Und zwischen den Figuren: da dreht sich schließlich alles um eine unheilbringende Schaltröhre, die, wie ach so zynisch, in einer Miniatur der grünen Statue verborgen war. Natürlich muss diese zerbrechen, damit Walker seine Frau wieder bekommt.
Der Film hat gute Momente. Meine Lieblingsszene ist die, in der Harrison Ford seine Schuhe auszieht um auf dem Blechdach eines Gebäudes Halt zu finden, nachdem er ausgerutscht ist, der wichtige Koffer mit dem unidentifizierten Objekt der Begierde hängen blieb, sich öffnete und fast der gesamte Inhalt vom Dach stürzt. Eine nicht witzig gedrehte, aber hintergründig irgendwie unterhaltsame Szene. Hitchcock hätte hier fiebriger inszeniert. Er hätte sich in die Schaltkreise des Zusehers gesetzt und Hebel betätigt, Großaufnahmen von Augen. Von hektischen Händen. Polanski aber bleibt distanziert um seiner Art von Humor treu zu bleiben. Das tut er gut.
Es ist verwunderlich, Synthieklänge von Ennio Morriconne zu hören. Zu Beginn und am Ende nur, aber doch verwunderlich. Dazwischen gibts nur hin und wieder Popgeduddel zu hören. Wir sind in den Achtzigern, die bald zu den Neunzigern werden. Der Film ist dazwischen ohne musikalisches Temperament, so sehr gewisse Szenen dies auch verlangen: ein weiterer Unterschied zu Hitchcock, der eine Vorliebe dafür hatte, die Panik der Bilder auch in die Ohren zu lenken.
Ferner ist die Kamera bei FRANTIC fast unscheinbar, so dass man eine Kameraführung fast nicht wahrnimmt. Das sind Inszenierungsmethoden des "realistischen Films". Doch, dass die Entführer es sich in FRANTIC so kompliziert machen, mit dem Wiederergattern des Objektes, das ist Tradition der hitchcockschen Dramatik. Auch Hitchcock war mit Drehbuchlöchern einverstanden, wenn er damit seine unterhaltsamen, filmischen Mechanismen inszenieren durfte.
FRANTIC ist einer der schwächeren Filme von Roman Polanski. Er zeigt, wie schwer es ist, dem Meister, dessen Name ich jetzt schon zu oft genannt habe, beizukommen. Manche wagen es und tun dies vorlagengetreu wie Brian de Palma, andere spielen, wie Roman Polanski und die, die ihn kopieren, sollten am besten gar nicht erst erwähnt werden. Der Film ist eine interessante Studie. Mehr eine filmische, denn eine psychologische oder soziale. Dafür ist Polanski leider zu unernst. FRANTIC ist kein Thriller, vielleicht eher ein langsamer, sanfter Actionkrimi.