OT: Leonore
SCHAUERDRAMA: I/E/F, 1975
Regie: Juan-Luis Buñuel
Darsteller: Michel Piccoli, Liv Ullmann, Ornella Muti, Antonio Ferrandis
Eleonore, die Frau des Ritters und Schlossherrn Richard verstirbt nach einem Reitunfall. Auch nachdem Richard die schöne, junge Catherine geheiratet und sie ihm zwei Söhne geschenkt hat, kommt der Witwer nicht über den Verlust seiner ersten Frau hinweg. Er verbringt gramgebeugt die Nächte in ihrer Gruft, bis eines Tages ein seltsamer Fremder daherkommt und anbietet, die Tote in die Welt der Lebenden zurückzuholen.
Richard sagt zu und Eleonore erhebt sich aus ihrer Gruft. Doch mit Eleonores Rückkehr, kommt auch das Grauen über das Gut des Ritters. Denn fortan geht in den Wäldern eine unheimliche Frau um und holt sich die Kinder der Dörfler -
KRITIK:Unter dem unscheinbaren Slogan "Vergessene Historienfilme" bringt seit kurzem das deutsche Voulez vous-Label ebensolche zu DVD-Ehren. Wer jetzt ächzt, weil er dabei an irgendwelche unansehnliche Historienschinken aus den Fünfzigern denkt, die einem so ziemlich jeden Sonntagmittag zum Wegzappen nötigen, sollte diesen Gedanken ganz schnell wieder aus seinem Kopf bekommen. Weil mit diesen hat zumindest die bisherige Filmauswahl der Voulez vous-Verantwortlichen herzlich wenig zu tun.
Beweisstück A dieser These ist da schon der Auftakt der Reihe: die italienisch-spanisch-französische Koproduktion ELEONORA. Schon allein die Stabangaben sollten den wahren Filmfreund aufsehen lassen: In den Hauptrollen der erfahrene Charakterdarsteller Michel (DAS GROSSE FRESSEN, THEMROC) Piccoli, Bergman-Muse Liv (DIE STUNDE DES WOLFS) Ullmann und die wunderschöne Ornella Muti. Die Kamera geführt hat der begnadete Luciano Tovoli, der für Argento die unvergesslichen Bilder zu SUSPIRIA oder TENEBRAE geschaffen hat. Die herrliche Filmmusik stammt von keinem geringeren als Ennio Morricone und das Ganze inszeniert hat der Sohnemann vom großen Surrealisten Buñuel.
ELEONORE ist schon irgendwie ein Historienfilm, weil er zu Ritterzeiten spielt, aber noch viel mehr ein Horrorfilm der klassischen Schule. Die Handlung lässt sich aber alle Zeit der Welt, bevor sie zu einem solchen wird. In seiner ganz langsamen ersten Hälfte ist der Film noch ganz mediävales Drama um eine unbewältigte Trauer, die neben obsessiven, auch grausame Züge annimmt. Hitchcocks REBECCA, verlegt ins Mittelalter, wenn man so will. Oder noch treffender: Eine Geschichte, wie sie gut und gerne auch aus dem nekromantischen Fundus eines Edgar Allan Poe stammen könnte; auch wenn die tatsächliche literarische Vorlage aus der Feder des deutschen Romantikers Ludwig Tieck, einem Zeitgenossen von Goethe und Schiller, kommt.
Die Story entwickelt sich in einem Tempo, welches für den weniger geduldigen Zuschauer an Langatmigkeit grenzen; alle anderen jedoch mit stimmigen Bildern und ausführlicher Charakterzeichnung für sich gewinnen dürfte. Nach etwa fünfzig Minuten, als die erste Frau des Ritters dem Jenseits entkommt, bricht der Film mit dem Drama und verlässt die Ebene des Rationalen. Jetzt wird ELEONORE zum romantischen Schauerstück der pechschwarzen Sorte und erst richtig gewaltig. Entgegen vieler Inhaltsangaben trägt Eleonore zwar entfernt vampiristische Züge, ist aber kein Vampir per Definition. Zunächst bleibt sie - die verwirrte, ohne eigene Motivation ins Leben zurückbeorderte Untote- eine tragische Figur. Doch nachdem ihr in einer wirklich düsteren, bedrückenden Szene das erste kleine Mädchen zum Opfer gefallen ist, ändert sich das. Jetzt löst sich Eleonores Irritation auf. Sie wird zu einer Art weiblichen Blaubart. Einem kaltblütigen Würgeengel im Stile der Blutgräfin Bathory; nur dass sie statt Jungfrauenblut Kinderleben als Jungbrunnen benutzt.
Als die Wiedergängerin nach Richards Kinder aus zweiter Ehe greift und auch noch die Pest in die ritterlichen Ländereien einrückt, ist das beklemmende Bild einer mittelalterlichen Apokalypse, welches Juan-Luis Buñuel ab der fünfzigsten Minute in immer dunkleren Farben zeichnet, beinahe perfekt.
Dieser vergessene, aber mit großen Namen besetzte Film ist in seiner ersten Hälfte ein mediävales Drama über Obsessionen, Verlust und unbewältigte Trauer; in der Zweiten ein faszinierendes, pechschwarzes Stück Schauerromantik. Die ersten fünfzig Filmminuten sind noch Lava; dann wird es richtig finster und bedrückend. Ich glaube nicht, dass ich Liv Ullmann jemals zuvor so dämonisch gesehen habe wie in dieser untoten Blaubart-Variante ELEONORE