OT: Nuit de chien
DRAMA/THRILLER: F/P/D, 2008
Regie: Werner Schroeter
Darsteller: Pascal Greggory, Elsa Zylberstein, Jean-François Stévenin
Der Arzt und Widerstandskämpfer Ossorio irrt eine Nacht lang durch die vom Krieg verwüstete Stadt Santa Maria. Während die Geheimpolizei foltert und mordet, und einstige Mitstreiter zu den siegreichen Faschisten überlaufen, versucht Ossorio verzweifelt, seine Geliebte Clara zu retten. Doch Clara ist spurlos verschwunden...
KRITIK:Was hab ich mich gefreut! Von einem "bildgewaltigen, opernhaften Film" (Der Standard) war die Rede, von einem "Erguss der Farben, einem Exzess der Gefühle" (Kurier). Werner Schroeter, seines Zeichens Fassbinder-Mitstreiter und "der größte unter den marginalisierten deutschen Filmemachern" (Stadtkino-Zeitung) inszenierte einen "schillernd-modernistischen Thriller", mit Pascal Greggory als Lonesome Drifter, der "die Zukunft als Nahtodwelt entwirft" (FM4), einen "grausigen Totentanz durch eine längst in der Unterwelt versunkene Stadt" (filmstarts.de), ein "düsteres wie prächtiges Schlachtengemälde, stilisiert, melodramatisch, sonambul und überaus intensiv." (artechock.de).
So einem Film fiebert man doch entgegen, oder?
Ja. Dumm nur, wenn einem die übergroße Erwartungshaltung einen Strich durch die Rechnung macht. Grundsätzlich stimmt zwar alles, was die Jubelkritiker von sich gegeben haben. Und auch wieder nicht. Doch der Reihe nach.
DIESE NACHT / NUIT DE CHIEN basiert auf einem Roman des uruguayischen Schriftstellers Juan Carlos Onetti. In naher Zukunft herrscht Bürgerkrieg. Die progressiven Kräfte haben gegen die Faschisten verloren. Es folgt: Angst. Paranoia. Endzeit-Stimmung. Ideale werden verraten, jeder versucht nur noch, seine Haut zu retten. So auch die Hauptfigur Ossario, der durch die Fronten einer verwüsteten Stadt hetzt und seinem Ende entgegen taumelt.
Wiewohl von einem deutschen Regisseur inszeniert, hat der Film mehr mit dem südeuropäischen Faschismus-Abrechungskino (VIVA LA MUERTE, AMACORD) zu tun als mit deutschem Autorenkino. Was auch am Schauplatz liegt. Gedreht wurde in der portugiesischen Stadt Porto, was dem Film eine sehr melancholische und stimmungsvolle Atmosphäre verleiht.
Jedoch: Bis der Film die versprochenen opulenten, opernhaften Bilder einlöst, dauert es lange. Fast eine volle Stunde. Bis dahin schleppt sich die verwirrende Handlung mehr schlecht als recht voran. Spannung? Fehlanzeige. Auch Emotionen bleiben weitgehend auf der Strecke - beziehungsweise werden von der betont sperrigen, theaterhaften Inszenierung gar nicht erst zugelassen.
Es tut mir fast weh, das so hinzuschreiben, weil ich weiß, dass Werner Schroeter in diesen Film all sein Herzblut, all seine Lebensenergie investiert hat. Der Regisseur ist bekanntlich schwer krank und konnte NUIT DE CHIEN nur unter großen Schmerzen und Aufbringung all seiner Kräfte vollenden.
Trotzdem: Ich halte den Film für nur bedingt gelungen, den Spezialpreis der Jury in Venedig hin oder her.
Zu keiner Zeit gelang es dem Regisseur, mich in die wirre Geschichte emotional hineinzuziehen. Was mich jetzt mit der bangen Frage zurück lässt, ob mit meinem Gefühlshaushalt etwas nicht in Ordnung ist, denn: "In meinen Filmen geht es darum, die wenigen grundsätzlichen menschlichen Ausdrucksmomente bis in den musikalischen und gestischen Exzess auszuleben - diese wenigen total vertretbaren Gefühle: Leben, Liebe, Freude, Hass, Eifersucht, und Todesangst in ihrer Totalität und ohne psychologische Analyse vorzutragen." So der Regisseur in einem Interview für den Spiegel.
Bleibt noch anzumerken, dass dieser zweifellos interessante, aber alles andere als leicht konsumierbare Arthouse-Endzeit-Thriller mit einigen sehr ästhetischen Bildern aufwartet, die für viele Längen entschuldigen und mir den Kinoabend doch noch gerettet haben.
Und: Bilder von wackelnden Pimmeln und halbnackten, ausgepeitschen Frauen würde man in einem deutsch-französischem Kunstfilm auch nicht unbedingt erwarten. Wie schön, dass es noch Filme gibt, die einen, wenn schon nicht überzeugen, dann zumindest auf eine abseitige Art und Weise überraschen können.
Wie uns eben die Nachricht erreicht, ist Werner Schroeter am Montag, dem 12. April 2010, im Alter von 65 Jahren in Kassel seinem schweren Krebsleiden erlegen.
Das allseits bejubelte Opus Magnum des deutschen Autorenfilmers Werner Schroeter erweist sich als eine (für mich) sehr zwiespältige Angelegenheit: Überstilisiert und arty as fuck, aber emotional seltsam distanziert, sperrig und unzugänglich. Ein interessanter, aber nicht wirklich überzeugender Kunst-Film im wahrsten Sinn des Wortes. Für Theaterfreunde?