GANGSTERFILM: D/A, 2009
Regie: Benjamin Heisenberg
Darsteller: Andreas Lust, Franziska Weisz, Markus Schleinzer
Johann Rettenberger (Andreas Lust) verbringt seine Zeit im Gefängnis laufend. Er läuft im Hof im Kreis und er läuft in der Zelle auf dem Laufband. Als er frei kommt läuft er endlich im Freien. Er wird schnell rückfällig und überfällt wieder Banken. Er fährt hin, überfällt, fährt weg und läuft mit dem Geld heim. Mehr oder minder zufällig läuft er seiner alten Freundin Erika (Franziska Weisz) in die Arme und letztendlich auch ins Bett. Die Polizei dreht sich im Kreis. Alles läuft bestens, auch zwischen Erika und Johann. Dann findet Sie das Geld und alles läuft nur noch dem sicheren Ende entgegen.
KRITIK:Hätte man Andreas Lust nicht bereits so stark in REVANCHE gesehen, seine Leistung in DER RÄUBER wäre noch erstaunlicher. Doch schon bei Götz Spielmanns REVANCHE wusste der hagere Mime mit sehr wenig Spiel sehr viel darzustellen. Und auch gelaufen ist er, der einsame Wolf, um mit seinen Problemen und Gedanken alleine zu sein. Allerdings nur die Strecke vom Haus bis zum Weiher und nicht von Marathon bis nach Athen.
Es hat fast den Anschein als sei Lust schnurstracks vom besten österreichischen Film 2009 in den bisher (und die Nachfolger treten hier in große Fußstapfen) besten deutsch/österreichischen Film 2010. Seine Figur hat sich dabei vom Hobbyläufer zum professionellen Marathonläufer und vom Schuld geplagten Polizisten zum skrupellosen Bankräuber transformiert.
Es ließen sich noch viele Vergleiche und Gemeinsamkeiten finden, von der kühlen filmischen Ästhetik über die lebensfeindliche Großstadt Wien (die hier abseits jeder Ring-Romantik gezeigt wird) bis zu der Frauenfigur, die den Einzelgänger mit alten weiblichen Tugenden zu knacken versucht. Aber Schluss mit Vergleichen. Der Regisseur heißt diesmal Benjamin Heisenberg (SCHLÄFER) und nicht Götz Spielmann. DER RÄUBER ist ein absolut autarkes Werk, das keinerlei Schützenhilfe benötigt.
Der Film adaptiert den gleichnamigen Roman von Martin Prinz. Welcher wiederum auf den tatsächlichen Taten von "Pumpgun-Ronnie" beruht. Dieser hieß in Wirklichkeit Johann Kastenberger und überfiel zwischen 1984 und ´88 nicht nur zahlreiche Banken, sondern lief auch mehrere Marathons. Sein Landesrekord vom Kainacher Bergmarathon ist bis heute unerreicht.
Um diese interessante Grundfigur baut Heisenberg einen Genrefilm im heutigen Wien auf, der sich allein auf seine verschlossene Hauptfigur konzentriert. Um wen es hier ausschließlich geht sagt ja bereits der Titel, aber das zeigt noch deutlicher die Kamera (Reinhold Vorschneider), die an Andreas Lust klebt wie ein Kaugummi am Joggingschuh. Sein Bewährungshelfer und seine Freundin Erika dienen wohlwollend und keinesfalls blass, als Katalysatoren seines Handelns. Die Polizei wird in eine Statistenrolle verwiesen, bekommt keine Großaufnahmen und steht meist mit dem Rücken zur Kamera.
Wie der Zuschauer, will anscheinend auch die Kamera in diesen Räuber hineinschauen, ihn anstarren um ihn zu verstehen. Was macht er als nächstes? Warum? Wie lange? Und wozu? Eine Backstory gibt es nicht. Er war im Gefängnis und will nie wieder dorthin zurück, das muss reichen. Sein Bergmarathon gleicht einem Selbstmordversuch. Ohne ein erkennbares Ziel überfällt er Banken und hortet das Geld lustlos in einem Müllsack unter dem Bett.
In einer Szene sitzt er nervös, Zeit totschlagend in seinem Zimmer, versucht sich zu beherrschen bis es ihn zerreißt und er wieder zum Raubzug aufbricht.
Der Einzelgänger raubt des Raubens wegen. Begierig liest er danach seine Pulsuhr am Computer aus, der nur einen einzigen drastischen Ausschlag zeigt beim sonst gleich bleibenden trainierten Läuferpuls. Der Adrenalinkick als Lebensbeweis. Die Zeitungsschlagzeilen als Anerkennung. Die Maske die er bei den Überfällen immer trägt, gleicht einer Totenmaske.
Den starren Blick, den Rhythmus, die Konzentration die er beim Laufen hat, hat er auch beim Sex mit Erika. Sportficken nicht im Sinne von FIGHT CLUB, sondern als stoische Variante des Konditionstrainings. Sie ist fasziniert von ihm, verliebt, aber auch unsicher. Als sie schließlich das Geld findet und nach ihrem Platz in seinem Leben fragt, antwortet er: "Ich habe einfach nicht mit dir gerechnet." Eine wunderschöne und ehrliche Liebeserklärung, die aber erst noch verstanden werden muss.
Man könnte hier noch viele Szenen anführen, viel interpretieren und versuchen zu erklären, aber gerade darin besteht das Vergnügen beim Sehen dieses Films. Nie kommt etwas abgedroschen oder platt daher, alles Gezeigte hat seine Berechtigung und seinen Zweck. Alles lädt den Zuschauer ein, sich seine eigenen Gedanken zu machen, sich seine eigene Meinung zum Gesehenen zu bilden. Simple Lösungen und Antworten bleiben Gott sei Dank aus.
DER RÄUBER von Benjamin Heisenberg ist ein hervorragender Genrefilm mit einem undurchschaubaren Protagonisten der an Melvilles LE SAMOURAI erinnert. Von einer unerklärten Kraft angetrieben, rennt Johann Rettenberger (Andreas Lust) unbeirrbar seinen Weg, auch wenn er nicht weiß wohin dieser führt.
Realität, Roman, Drehbuch, Regie, Kamera, Musik und Schauspieler ergänzen sich zu einem großen, hervorragendem cineastischen Ganzen.
Und die Moral von der Geschicht?
Es geht heutzutage nicht ums Geld, sondern um die Schlagzeilen und die Rentner sind unser Untergang.