OT: La sindrome di Stendhal
GIALLO/PSYCHOTHRILLER: ITALIEN, 1996
Regie: Dario Argento
Darsteller: Asia Argento, Thomas Kretschmann, Marco Leonardi
Die Polizistin Anna Manni (Asia Argento) ist in Florenz einem Serienvergewaltiger und Mörder auf der Spur. Als sie eines Tages die berühmten Uffizien besucht, machen die dortigen Gemälde einen derart starken Eindruck auf Anna, dass sie bewusstlos zusammenbricht. Als sie langsam wieder zu sich kommt, hilft ihr ein netter junger Mann (Thomas Kretschmann), von dem Anna jedoch nicht ahnt, dass es sich hierbei um den von ihr gesuchten Psychopathen handelt. Und der dringt kurz darauf in ihre Wohnung ein, wo er sie brutal vergewaltigt und wenig später in eine finstere Grotte verschleppt. Dort beginnt Anna sich auf ebenso brutale Weise zu wehren. Doch der Mann scheint einfach nicht tot zu kriegen zu sein...
KRITIK:Nachdem Dario Argento zwei Filme in den USA gedreht hatte, von denen er später selbst sagen sollte, dass diese "eine Zeitverschwendung" waren, kehrte der Regisseur mit DAS STENDAHL SYNDROM ins heimatliche Italien zurück. - Doch auch dieses Projekt wollte er ursprünglich in Amerika realisieren.
Da gab es jedoch unter anderem starke Probleme, mit den ursprünglich für die Hauptrolle anvisierten Schauspielerinen Bridget Fonda und Jennifer Jason Leigh. - Dazu Argento: "I also got tired of being told by American casting directors that no American actress would play the 'Woman in Peril' scenes as written. Well, fuck the lot of them! America can screw itself. Italy is where I belong, where my fans want me to be and where I'm staying." - So kam es schließlich dazu, dass Argentos Tochter Asia zum zweiten Mal nach dem in den Staaten gedrehten TRAUMA die Hauptrolle in einem Film ihres Vaters übernahm.
Eine gute Neuigkeit war, dass sich Argento kurz vor dem Dreh wieder mit dem Meisterkomponisten Ennio Morricone versöhnt hatte. Mit dem hatte er sich über 20 Jahre zuvor derart verkracht, dass die beiden seither nicht mehr erneut zusammengearbeitet hatten. Dabei hatte Morricone in den 70ern die Musik zu Argentos ersten drei Filmen - der legendären Tier-Trilogie - komponiert. Und nun schrieb Morricone nach dieser wahrlich langen Pause für DAS STENDHAL SYNDROM die wunderbar träumerische und zugleich unheimlich-bedrückende Titelmelodie.
Auf das real existierende und titelgebende Stendhal-Syndrom war Argento durch einen Zeitungsartikel gestoßen. Dieses Phänomen bezeichnet einen (vorübergehenden) Persönlichkeitsverlust, der als sensible Überreaktion auf die Wirkung großer Kunstwerke auftreten kann. Und der Ort, an den dieses Phänomen am häufigsten beobachtet wird, ist die selbst einem einzigen gigantischen Museum gleichende Stadt Florenz.
Argento bemerkt in einem Interview, dass sich auf der Special-Edition des Films von Blue Underground befindet, dass auch er selbst als Kind dieses Phänomen bei einem Besuch der Akropolis in Athen erlebt hatte - natürlich ohne damals bereits von der Existenz des Stendhal-Syndroms zu wissen. Jedenfalls hat ihn das Thema seit dem Lesen des Zeitungsartikels nicht mehr losgelassen. So hat er aus reinem persönlichen Interesse intensive Nachforschungen angestellt, die dann irgendwann zu dem vorliegenden Film geführt haben.
Alles im allen klingt das nach recht vielversprechenden Voraussetzungen. - Doch im allgemeinen rangiert DAS STENDHAL SYNDROM selbst bei den eingefleischtesten Fans nur nur ferner liefen. Woran mag das liegen?
Ganz sicherlich nicht am äußerst gelungenen Auftakt des Films. Denn wie der Meister hier völlig wortlos das Syndrom an sich in Szene setzt, das ist eindeutig Argento at his very best! - An dieser Stelle ist auch zu erwähnen, dass in DAS STENDHAL SYDROM zum ersten Mal im italienischen Kino überhaupt mit Computergrafik gearbeitet wurde. Und diese CGI-Effekte tragen ganz entscheidend zur gelungenen Visualisierung des "Hineinfallens" von Anna in die Welten verschiedener Gemälde bei.
Doch gerade hier setzt bereits einer der häufigsten Kritikpunkte an. Wenn z.B. beim Schlucken einer Pille der Weg dieser Pille durch die Speiseröhre gezeigt wird, dann ist dies nach heutigen Maßstäben ganz gewiss alles andere als State of the Art. Argentos Stamm-Special-Effects-Experte Sergio Stivaletti, der hier selbst erstmals mit den Möglichkeiten des Computers experimentiert hatte, gibt gerne zu, dass diese Szenen heute naiv wirken würden. - Aber er fügt auch gleich hinzu, dass er bei diesem Film auch gelernt habe, dass ein höchstmöglicher Realismus an sich, noch nichts darüber sage, wie gut etwas in einem Film funktionieren würde.
Und ich finde, dass die - aus heutiger Sicht oft recht schlechten - Computeranimationen gut in einen Film passen, der unter anderem die Verschmelzung von Realität und Kunst behandelt. Denn auch diese CGI-Bilder sind eben Bilder, die sich - oft klar als solche erkennbar - mit der abgefilmten Realität in diesem Film vermischen. Und da hier neben Argento noch eine ganze Reihe von anderen bedeutenden italienischen Film-Künstlern am Werk war, ist das Ergebnis immer ästhetisch überzeugend - wenn auch (heute) nicht (mehr) immer realistisch wirkend.
Ich finde sogar, dass diese Bilder ihren ganz eigenen Charme besitzen. Es sind halt frühe Versuche von echten Pionieren! - Der erste CGI-Film TRON ist ja auch deshalb noch heute beliebt, da man damals trotz primitivster Technik einfach mit viel Liebe das Beste aus den bestehenden Möglichkeiten herausgeholt hat. - Ein paar Amerikaner fanden den in DAS STENDHAL SYNDROM gezeigten animierten Kugelflug immerhin zu interessant, dass sie eine aufgepimmte Version davon später selbst für ihren Film verwendet haben. Die Rede ist hier natürlich von THE MATRIX...
Aber nun zurück zum eigentlichen Film: DAS STENDAHL SYNDROM bietet nicht allein einen furiosen Auftakt. Auch danach geht es lange Zeit hochklassig und dazu - mit auch für Argento-Verhältnisse - ungewöhnlicher Härte weiter. Nachdem der Regisseur in den USA den arg verwässerten Giallo TRAUMA abgekurbelt hatte, frönt er in Bella Italia wieder ganz ungehemmt seinem Blutdurst.
Die Vergewaltigungs- und Racheszenen können aufgrund ihrer enormen Eindringlichkeit auch noch heute wirklich erschüttern. Dies liegt insbesondere auch an dem herausragenden Spiel des Deutschen Thomas Kretschmann. - Sein Alfredo Grossi ist der vielleicht beunruhigendste Psychopath, der sich auf einer Leinwand an einer Frau vergriffen hat, seit Dennis Hopper in BLUE VELVET Isabella Rosselini "Dady´s coming home" bzw. "Baby wants to fuck" ins Gesicht geröchelt hat!
Auch Asia Argento kann in diesen Szenen vollkommen überzeugen. Im Vergleich zu ihrer ähm Leistung in TRAUMA hat sich ihre Schauspielkunst hier jedenfalls bereits auf geradezu unglaubliche Weise gesteigert. Allerdings fällt diese dann im zweiten Teil des Films leider doch wieder ab. - Und überhaupt: Der zweite Teil!
Es stimmt schon: DAS STENDAHL SYNDROM hat schon einige Längen. Und gerade der an und für sich noch wichtigere zweite Teil kann weder inszenatorisch noch schauspielerisch so ganz überzeugen. Es wirkt fast so, als hätten sich alle am Film Beteiligten in ihrem Bestreben hier den ultimativen Kracher auf die Beine zu stellen bereits in der ersten Stunde soweit verausgabt, dass am Ende zum Teil nur noch heiße Luft übrig blieb... - Außer einem natürlich: Marco Leonardi der Annas Ex-Freund Marco Longhi spielt!
Dabei fällt mir gerade in diesem Moment auf, dass die außergewöhnliche Ähnlichkeit des Namens des Schauspielers und der von ihn gespielten Person meinen Eindruck von deren Nähe nur noch verstärkt. - Nur ist dieser Marco, wer auch immer, leider kein weiterer charismatischer Typ, sondern ein trotteliges Weichei. - Was diese Figur in einem ansonsten so ernsthaften Film verloren hat, dass frage ich mich ja eh immer wieder. Aber dass diese absolute Knalltüte dann auch noch von einer absoluten Knalltüte nicht-gespielt wird, dass gibt der Figur auf jeden Fall den letzten Rest...
Und ich bin mir sicher, dass die Tatsache, dass man gegen Ende von DAS STENDHAL SYNDROM mehr Marco als Alfredo sieht nicht unbedeutend dazu beiträgt, dass viele Zuschauer zum Schluss mit dem Gefühl zurück bleiben, gerade einen eher schlechten Film gesehen zu haben.
Aber mal Hand aufs Herz: In welchem Argento-Film findet sich nicht der eine oder andere darstellerische Totalausfall? - Und auch was die oft bemängelten Längen angeht: Man mag mich kreuzigen, aber ganz ohne Grund wurde ja auch PROFONDO ROSSO nicht für die internationale Fassung (an Handlung, nicht an Gore!!!) gekürzt.... Und wer hat eigentlich schon einmal positiv angemerkt, dass in DAS STENDHAL SYNDROM auch die Musik jederzeit ganz hervorragend die gewünschte Stimmung verstärkt, anstatt uns wie z.B. in PHENOMENA und OPERA durch unpassenden Metal immer wieder bei den besten Stellen aus dem Film herauszureißen?
Was die Beurteilung des Films DAS STENDHAL SYNDROM angeht, so schließe ich mich weniger den vielen anderen Kritikern, als der Meinung seines Machers an. Und der hält den Film immerhin für einen seiner interessantesten Werke überhaupt. - Und nur der zugegebenermaßen recht schwache zweite Teil hält mich davon ab, DAS STENDHAL SYNDROM in einem Atemzug mit den ganz großen Meisterwerken Argentos zu nennen. Das Potenzial hierzu hätte der Film jedoch gehabt! - Doch so langt es eben "nur" für den wahrscheinlich besten Giallo der 90er Jahre...