OT: Graffiante Desiderio
GIALLO/EROTIKTHRILLER: ITALIEN, 1993
Regie: Sergio Martino
Darsteller: Vittoria Belvedere, Ron Nummi, Andrea Roncato, Serena Grandi
Luigi ist smart, jung, erfolgreich. Er besitzt ein schmuckes Haus, hat Geld und auf der beruflichen Karriereleiter steht er kurz vor dem Sprung nach ganz oben. Privat sollen bald die Hochzeitsglocken läuten und seine Verlobte ist natürlich eine Tochter aus reichem Hause. Doch dann steht plötzlich Luigis jüngere und zur verführerischen Frau herangewachsene Cousine Sonia vor der Tür und bittet um vorübergehenden Unterschlupf. Den gewährt der nette Vetter zu gerne und ahnt nicht, dass er sich eine Psychopathin ins Haus geholt hat
KRITIK:CRAVING DESIRE atmet mit seinem Cover, seinem 4:3 Bildformat, dem minimalen Bekanntheitsgrad und seiner ganzen Machart den Spirit vom schmuddeligen Nachtprogramm eines windigen italienischen Kabelfernsehsenders. Und wer sich nun schon immer gefragt hat, wo eigentlich der einstige Großmeister des Siebzigerjahre-Giallo Sergio Martino nach dem Niedergang seines Genres und einem kurzen Abstecher in den filmischen Kannibalendschungel Neuguineas (siehe DIE WEISSE GÖTTIN DER KANNIBALEN) abgeblieben ist, dem sei gesagt, dass er zuletzt irgendwo in der Nähe des Obenbeschriebenen gesichtet worden ist.
In den Neunzigern wurden seine Filme nicht mehr in einem Kinosaal voller Connaisseure auf der großen Leinwand gezeigt, sondern sind irgendwo zwischen Telefonsexwerbespots im Spätprogramm gestrandet. Wo kaum einer noch Notiz von ihnen nahm. Doch bevor wir jetzt kollektiv in Mitleidstränen ausbrechen: Das amerikanische Label Mya ist gerade dabei, diese vergessenen Schmuddelthriller auf Silberling zu brennen und dem geneigten Publikum zugänglich zu machen. Leider geschieht dies nicht immer mit optimalem technischen Qualitätsbewusstsein, aber seien wir froh, dass sich ein Label erbarmt hat.
Denn manchmal lohnt der Blick.
Im Gegensatz zu einem unter ähnlich bescheidenen Produktionsbedingungen entstandenen Thriller wie CRIME OF PASSION entpuppt sich Martinos CRAVING DESIRE aus dem Jahr 1993 als herrlich hinterfotziges, sexy-spannendes Miststück von einem Film. Selbst Ron Nummis wenig überzeugender Auftritt kann den bösen Spaß kaum schmälern. Als Luigi wirkt Nummi über weite Strecken wie ein naiver, farbloser Schnösel. Was eventuell daran liegen mag, dass er einen naiven, farblosen Schnösel spielen muss. Aber diese Rolle meistert er so, als wäre sie ihm auf den Leib geschrieben. Würde mir zu denken geben, wenn ich Ron Nummi wäre. Egal.
Vittoria Belvedere -Ach was!- VITTORIA BELVEDERE, als kleine, durchtriebene, mächtig geile, sardonisch berechende Flittchencousine straight from Hell or Asylum macht ihm (und uns) die erstere ziemlich heiß. Nach dem Motto "Inzest - ist das was zum Essen?" zerrt sie zunächst den eigenen Cousin ins Bett, entsaftet ihn derart, dass er seine Verlobung platzen lässt und kurz darauf - nachdem in der Werktagsnacht zuvor noch einem Dreier mit der bisexuellen Discoaufgabelung gefrönt wurde - mit dem feuchten Cousinenschlüpper vor der Firmenstrebervisage einen Juwelier überfällt. Dann wird Cousine Sonia eifersüchtig.
Und wenn geile Frauen mit einer psychotischen Ader und schizophrenen Stimmungsschwankungen sauer werden, dann kracht's. Und folgerichtig wird Luigi in den letzten 50 Filmminuten nach allen Regeln der weiblichen Demütigungskunst systematisch demontiert, zerstört und erniedrigt.
Hört sich nach Unterhaltung an? Yeah! SONJAS EXZESSE (so der wunderschmuddelige deutsche Titel, unter dem der Film anno 2005 einmal im deutschen Pay-TV lief) machten viel mehr Spaß als erwartet. Aber hey; auch wenn CRAVING DESIRE nicht mehr viel mit früheren Stylebomben wie DER KILLER VON WIEN oder ALL THE COLORS OF THE DARK gemein hat; der Film ist eben written & directed by Sergio Martino.
Und hier hat er einen kleinen, fiesen Erotikthriller abgeliefert, der durchgängig packt, sexy ist und gegen Ende - sozusagen als Dreingabe - noch in einem psychotischen Gewaltszenario ausartet.
Die umwerfende Vittoria Belvedere treibt in einem überraschend knackigen Erotikthriller aus dem Nachtprogramm schmutzige Spielchen mit ihrem Cousin. Beginnt als Erotikflickchen, schwenkt in Beziehungsterror um und endet in bös psychotischen Gewässern. Und der von keinem Geringeren als Sergio Martino kredenzte Sexthrillercocktail schmeckt weitaus besser als gedacht. Geheimtipp aus dem Mitternachtssendegrab des Kabelfernsehens.