OT: Kyatapirâ
DRAMA: JAPAN, 2010
Regie: Koji Wakamatsu
Darsteller: Shinobu Terajima, Sabu Kawahara, Katsuyuki Shinohara, Shima Onishi, Keigo Kasuya
Japan, 1940, im zweiten Weltkrieg bzw. zweiten sino-japanischen Krieg. Leutnant Kurokawa kehrt hochdekoriert zurück. Womöglich wars wieder einmal die gute alte mobile Infantrie, die ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist. Sein Gesicht ist halb verbrannt, er hat keine Arme und keine Beine mehr. Von seiner Frau Shigeko wird jetzt natürlich erwartet, dass sie sich um ihren "Kriegsgott" kümmert.
KRITIK:Die Viennale ist eben nicht nur zum Spaß (haben) da, es gibt auch Filme die so ernst und verstörend sind, dass sich selbst im vermutlich aufgeschlosseneren Publikum Leute finden, die den Saal verlassen. Ein Blick auf den Regieposten lässt natürlich so etwas wie eine Vorausahnung entstehen.
Regisseur Koji Wakamatsu? Noch nie gehört?
Nun, dieser Kerl hat zum Beispiel im Reich der Sinne produziert. Und drehte auch eine ganz Menge an Pink Eiga Filmen. Irgendwie merkt man das Catarpillar an, denn alleine der Titel ist wohl nicht gerade politisch korrekt. Ja genau, mit Caterpillar (Raupe zu deutsch) ist der Invalide gemeint, weil er ohne seine Extremitäten natürlich genau so vor sich hinrobbt.
Und wie auch schon im Reich der Sinne spielt hier ein rohes Ei (eigentlich gleich mehrere) eine sehr wichtige Rolle in einer sehr markanten Szene, wobei sich dieses in beiden Fällen mit ein und der selben Trope interpretieren lässt, potentielle Zerbrechlichkeit, kinetische Zerbrechlichkeit, die ungeheure Sensibilität einer Situation, im Reich der Sinne, wo das Ei überlebt, in Caterpillar wo es zerbricht und den folgenden Ausbruch der versteckten Gefühle wie Wut und Hass über die Ohnmacht symbolisiert.
Dieser Film erinnert eben daran, dass Krieg nicht nur an der Front stattfindet, er trägt ihn zurück ins Eigenheim, schildert den Hunger durch die Lebensmittelknappheit, die Propaganda, die tagein, tagaus aus dem Radio tönt, die wirren Rituale im kaiser- und vaterlandstreuen Dorf, wo der Kriegsheldkrüppel im Zugkarren seine tägliche Runde machen muss (um sich anschauen zu lassen), feierlich die Kinder und Alten in den Krieg schicken darf und wo die Frauen Kampfübungen abhalten und Propagandalieder und Reime trällern.
Aber natürlich findet der Krieg auch im Haushalt statt, auf engstem Raum, der psychologische Kleinkrieg, der durch den großen Krieg dynamisiert und aufgeladen wurde. Beide Menschen werden in den Schützengräben ihres persönliches Verhältnisses und ihrer Geschichte zu Bestien, quälen sich und nützen sich aus, Opfer und Täterrollen wechseln sich ab, der während des Krieges dem Vergewaltigungsbefehl gerne nachkommende und brutale Ehemann Kurowa wird zu sabberden Lappen, der nur schläft und isst und sich von seiner Frau ficken lässt, während sie dem psychischen Druck gemischt mit den Erwartungen von Vaterland und der Dorfgemeinschaft und der Familie des Mannes, die sie beinhart im Stich lässt, nicht mehr standhält.
Sie, die dieses auf primitivste Gefühle und Wünsche reduzierte, vollkommen machtlose, regressive Wesen bald nicht mehr als Mensch sieht und anfängt es zu misshandeln. In der Asia Media Wiki steht doch tatsächlich, der Film handle von einem Kriegsveteran und seiner sadistischen Frau. So einen Unsinn habe ich noch selten gelesen, wer das so sieht, der hat vom Feminismus wahrscheinlich gar nichts verstanden, der sieht Frauen immer noch als unschuldige Engelswesen, die nur dazu da sind ihren Männern zu dienen.
Dennoch ist dieser Film sicher kein feministisches Manifest, er wagt es einfach nur ohne sich an irgendwelche vermeintlichen Schmerzgrenzen zu halten schonungslos einen Blick auf eine scheinbar pervers gewordene Welt, in der den einzelnen Menschen jegliche Humanität ausgetrieben wird. Als der Krieg sein Ende findet und des Kaisers Stimme aus dem Radio brabbelt, er habe nur das Beste für seine Untertanen gewollt, dann ist das nichts als ein blanker Hohn.
Caterpillar ist einmal mehr schonungslos-beinhartes und explizites asiatisches Kino, welches sich in Bereiche vorzudringen traut, die so schmerzhaft, so abgründig sind, dass man sie normalerweise schon als satirische Überhöhung wahrnehmen würde. Aber das hier ist verdammt ernst gemeint. Hier werden Muster aus Exploitationfilmen so elegant auf seriöse Aufarbeitung umgelegt, wie man es nicht für möglich gehalten hätte. Das ist kein Torture-Porn, das ist auf der anderen Seite kein scheinbetroffenes, weichgespültes Kriegsaufarbeitungsdrama, das ist irgendwas dazwischen, das erstaunlich gut funktioniert, das man aber womöglich gar nicht sehen möchte. Kino, das wehtut, und das ist gut so.