DRAMA: B, 2007
Regie: Koen Mortier
Darsteller: Dries Van Hegen, Sam Louwyck, Norman Baert
Kinderzimmer-kompatible Casting-Bands sehen anders aus: Sänger Koen ist Nazi, drogensüchtig und Serien-Vergewaltiger, Gitarrist Ivan beinahe taub und der schwule Bassist Jan kann seinen Arm kaum bewegen. Zusammen sind sie "The Feminists". Zum großen Durchbruch, der nie kommen wird, fehlt noch ein Drummer: Den vakanten Posten besetzt der erfolgreiche Popliterat Dries, der sichtlich Spaß daran hat, die groteske Loser-Truppe zu manipulieren und gegeneinander auszuspielen...
KRITIK:Die belgische Punk-Farce Ex Drummer ist die neueste Veröffentlichung der
angesehen KinoKontrovers-Reihe - und nach dem etwas zahmen schwedischen
Beitrag Ich bin neugierig auch wieder eine, die dieser Bezeichnung
alle Ehre macht.
Der Film sei - Zitat - "das Zelluloid nicht wert, auf das er kopiert
wird". Dieser freundliche Kommentar der flämischen Filmkommission spricht
wohl für sich - bzw. für den Film, dem in seiner Heimat jede finanzielle
Förderung verweigert wurde. Und das, obwohl Belgien an sich ein sehr
fruchtbarer Boden für kontroverses Kino ist - man denke an Werke wie
Mann beißt Hund oder Calvaire...
Der Film basiert auf einem Roman des belgischen Schriftstellers Herman
Brusselmans, der sich gerne zum "Public Enemy #1" stilisiert.
Alkoholismus, Drogenexzesse, sexuelle Ausschweifungen, Leere und
Entfremdung sind seine zentralen Motive - lauter Themen also, mit denen
man sich in konservativen Kreisen wenig Freunde macht. Sein Buch gilt
eigentlich als unverfilmbar. Eine erstaunliche Leistung des Regie-Neulings
Koen Mortier, der offensichtlich eine Abwechslung von seinem Brotberuf als
Werbefilmer suchte.
Ganz über seinen Schatten springen kann er dabei allerdings nicht: Der
Film fängt die morbide Aura sozialer Verelendung in gewollt räudigen
Bildern ein, die aber doch irgendwie synthetisch und manieriert wirken.
Mit fortschreitender Laufzeit treten die krampfhaft kreativen
Regieeinfälle (Kopfstand-Kamera, Bilder im Rückwärtsgang etc..) aber in
den Hintergrund. Das tut dem Film gut.
Ex Drummer spielt auf der untersten Stufe der sozialen Hackordung,
in einem Milieu, das nicht einmal für Unterschichten-Sender RTL2 als
Zielgruppe infrage kommt: Die Protagonisten vegetieren in zugemüllten
Abbruchhäusern vor sich hin, saufen, nehmen Drogen, schlagen sich zum Spaß
die Schädel blutig. Sehr zum Amusement des zynischen Schriftstellers Dries
(das Alter Ego des Autors?), der in seinem schicken Apartment über den
Dächern der Stadt eine risikolose Luxus-Existenz führt. Aus purer
Langeweile gibt er sich mit dem "Abschaum" ab, spielt seine Bandkollegen
gegeneinander aus und sieht grinsend zu, wie sie sich gegenseitig fertig
machen. Man gönnt sich ja sonst nichts...
Ex Drummer ist das, was gutbürgerliche Medien gerne einen
"Skandalfilm" nennen: Unablässig wird geflucht, geprügelt, gevögelt,
vergewaltigt, am Ende auch gemordet. In seiner Darstellung expliziter
Gewalt und sozialer Verelendung geht Ex Drummer viel weiter als der
oft als Vergleich strapazierte Trainspotting.
Höhepunkt des krassen Treibens dürfte wohl eine anale Vergewaltigung mit einem 50-cm-Gemächt
sein, dessen Besitzer ehrfurchtsvoll "Großer Schwanz" genannt wird. Und
der finale Amoklauf in Egoshooter-Perspektive dürfte selbst hartgesottenen
Freunden gewaltorientierter Unterhaltung ein unangenehmes Drücken in der
Magengrube bereiten.
Die Ab 16 -Freigabe kann wohl nur ein Druckfehler sein - oder haben die
Zensurbeamten nur die ersten zwanzig Minuten gesehen?
Den Zynismus-Vorwurf lässt Regisseur Koen Mortier übrigens nicht gelten.
Der Film sei nicht zynisch; er erzählt von Zynismus, von manipulativen und
gefährlichen Machtmenschen. "Deswegen spielt er auch im absoluten sozialen
Elend: Denn für diese Menschen gibt es keine Möglichkeit, diesen
Mechanismen zu entkommen."
Das gesamte Interview bitte im Booklet nachzulesen. Kaufpflicht besteht
sowieso.
Die DVD aus der "Kino Kontrovers"-Reihe von Legend ist ungekürzt.
Als Bonus gibt's wie gewohnt ein Booklet mit einem filmwissenschaftlichen Essay von Marcus Stieglegger.
Auf der zweiten Disc gibt's das obligate Making Of und zwei Kurzfilme von Koen Mortier.
Eine "Kino Kontrovers"-Veröffentlichung, die dieser Trademark mehr als gerecht wird: Der belgische Film Ex Drummer begleitet drei Underdogs bei ihren tragikomischen Versuchen, als Punk-Band aus ihrem tristen Dasein auszubrechen. Was als schwarzhumorige Groteske beginnt, steigert sich zu einem verstörenden filmischen Albtraum, der Tabus im Dutzendpack bricht - und das, ohne selbstzweckhaft oder ausbeuterisch zu wirken. This is definitely hardcore!