Teil 2: Tintenfischringe
Wenn es nach den Fischexperten, die in den gängigen Filmdatenbänken ihre Wertungen abgeben, geht, ist Krake als Fischgericht eher ungenießbar.
TENTACOLI (Der Polyp - Die Bestie mit den Todesarmen aka Angriff aus der Tiefe, Italien, USA 1977) - seines Zeichens sogar ein recht bekannter Krakenhorrorfilm - kommt zum Beispiel auf der IMDB derzeit auf stolze 2,9 Punkte im Durchschnitt.
Was uns aber nicht zwingend den Appetit rauben muss. Der geneigte Gourmet weiß natürlich wie übermächtig der Schatten eines unumstrittenen 10 Punkte-Fischhorrormeisterwerk wie JAWS (Der Weiße Hai, USA 1975) wiegt und wie pathologisch die Aversion der JAWS-Anhänger gegen alle Rip-Offs des Spielberg-Klassikers ist.
Da wird alles was nur ein bisschen nach Fisch riecht mit drei und weniger Punkten abgestraft und man munkelt, dass mancher Rater sogar der eigenen Unterhose nur einen Punkt gegönnt hat.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf sollten uns ein paar TENTACOLI nicht abschrecken. Und tatsächlich! Die vielen Schmähstimmen werden schon in den ersten Filmminuten Lügen gestraft. Die Eröffnung an einer Küstenstraße mit einem Baby im Kinderwagen ist nicht nur äußerst garstig, sondern auch ziemlich effektiv in Szene gesetzt. Aber Regisseur Ovidio G. Assonitis wird ohnehin noch mal im etwas später erschienen Slashergiallotierhorrorhybriden THERE WAS A LITTLE GIRL (Madhouse - Party des Schreckens, USA/Italien 1981) noch einmal eindrucksvoll belegen, wie gemein er werden kann.
Nach der berüchtigten Kinderwagenszene offenbart TENTACOLI dann doch einige Unzulänglichkeiten, die aber auch ganz unterhaltsam sein können, wenn man den Film durch die Trashbrille schaut. Sicherlich sind Dialoge wie etwa der zwischen einem jungen Mann und seiner dicken wie ralligen Bootsbegleitung - Stichwort: "Aber nicht schon wieder ein Zungenkuss!" - hirnrissig im Quadrat, aber ein Schelm wer trotzdem gekichert hat. Und dann taucht ja auch der Kopf des kurz zuvor über Bord gegangenen Fischers wieder auf und beendet den Unsinn gerade noch rechtzeitig.
Außerdem hat Assonitis bei Spielberg eine vernünftige Lektion gelernt. Er lässt seinen Kraken zwar oft zuschlagen, aber zeigt ihn selten. Wirklich in Erscheinung tritt der Killertintenfisch erst im Mittelteil, als Delia Boccardo des Nachts auf offener See ihre unheimliche Begegnung der achtarmigen Art hat. Zumindest bei mir hat dieser Auftritt ein leicht mulmiges Gefühl hervorgerufen. Denn wie ich finde steigt hier recht effektiv seine Tentakelpracht entfaltend ein riesiges Ding plötzlich zwischen Treibgut und Trümmern aus dem Meer. 2,9 Punkte? MUSEUM OF THE DEAD-Niveau? Im Leben nicht. Dies zeigt aber, dass nicht nur Höchstpunktzahlen, sondern auch schlechte Noten in den Communities allzu leichtfertig vergeben werden.
Klar sollte allerdings sein, dass TENTACOLI von 10 Punkte-Sphären ebenso weit entfernt ist wie vom Bodensatz des Genres. Massives Trashpotenzial offenbart er nämlich nicht nur wie in den bereits erwähnten oft hanebüchenen Dialogen, sondern auch in seiner inneren Logik. Und eine tricktechnisch misslungene Krakengroßattacke (nämlich die auf die Regatta) gibt es leider auch. Die Verteidigung erhebt gerade den Einspruch, dass der Krakenschädel, der in besagter Szene windschnittig durchs Wasser fegt, zwar unbestritten lächerlich, aber auch nicht viel unrealistischer aussieht als beispielsweise die CGI-Fangarme, welche in DEEP RISING (Octalus, USA 1998) Helden und Ganoven durch überflutete Schiffskorridore jagen.
Als letzten Stich besitzt TENTACOLI noch einen Score des italienischen Filmmusik-Maestro Stelvio Cipriani, der ungezählte Gialli, Polizeifilme oder Italowestern musikalisch veredelt hat. Für das Soundtrack CD-Highlight "Too risky a day for a regatta" verwurstet er zwar noch einmal das ebenfalls von ihm komponierte Hitthema aus LA POLIZIA STA A GUARDARE (Der unerbittliche Vollstrecker, Italien/Frankreich 1973), aber besser gut bei sich selbst geklaut als noch mal schlecht neu komponiert. Der Rest des Scores ist inklusive Walgesänge imitierende Sounds zwar minimalistisch angelegt, aber ziemlich passend. Der Kauf der Soundtrack-CD würde sich aber noch viel mehr lohnen, wenn sich auf dieser jener Gänsehaut erzeugende megaepische mit Heldenchören angereicherte Track fände, mit welchem Cipriani den Showdown in der Tiefsee untermalt, bei dem sich Monsterkrake und Killerwal zum letzten Gefecht treffen. Aus mir unerklärlichen Gründen fehlt dieses Hammerstück leider auf der erhältlichen CD …
Ach, wenn doch alle neuzeitlichen Seeungeheuer mit Tentakeln so prächtig aussehen würden wie jenes in den Teilen 2 und 3 der PIRATES OF THE CARIBBEAN (Fluch der Karibik 2 und 3, USA 2006 und 2007). Das ist - Blockbusterbudget sei Dank - wirklich spektakulär; die Krake hat aber viel zu wenig Screentime. Aber dies war ja auch schon das Problem bei den ganz altehrwürdigen Filmen mit Riesenkraken. Ich denke hier nur mal an die Walt Disney-Verfilmung des berühmten Jules Verne-Romans 20,000 LEAGUES UNDER THE SEA (20.000 Meilen unter dem Meer, USA 1954), wo es Nemo und Ned Land ebenso mit einem Riesenkalmar zu tun bekommen wie etwas später eine Tauchexpedition im Karel Zeman-Klassiker VYNÁLEZ ZKÁZY (Die Erfindung des Verderbens, Tschechoslowakei 1958).
Wie gesagt bekleiden die Riesenkopffüßer in den genannten Werken leider nur Nebenrollen.
Anders als im bereits erwähnten DEEP RISING.
Der ist Krakenschiss pur, aber made in Hollywood. Millionenschweres Budget, aber trotzdem ziemlich trashig geraten. Der Look des Monsterdesigns mutet wie das Krakenäquivalent zu ANACONDA (USA 1997) an. Der Flick selbst kennt nur das Motto "Hirn ausschalten - Tentakel ausrollen und … Action!"
Wie schon ANACONDA ist aber auch DEEP RISING rasant und locker genug inszeniert worden, damit es zumindest für einen anspruchslosen, aber unterhaltsamen Filmabend reicht. Ergo: Auch wenn die CGI-Tentakel in DEEP RISING truly scheiße aussehen; man hat Spaß mit dem, was sie anrichten.
Über zu wenig Bodycount kann man sich wahrlich nicht beklagen, wenn ein cooler Seebär mit einer Bande abgewichster "Einer-tougher-und-fieser-als-der-andere"-Piraten einen Luxus-Liner entert, der sich alsbald als Geisterschiff voller im wahrsten Sinne des Wortes ausgelutschter Leichname entpuppt.
Grund dafür ist ein gigantisches Monster mit riesigen, lebendigen wie gefräßigen Fangarmen, welches seine Ansprüche auf den Kreuzer zuerst angemeldet hat und sich nun über einen Nachschlag in Form der Piratenbande freuen darf. Für ein paar Seeräuber ist in Monstermägen aber immer Platz. Inszeniert hat das lockere B-Movie übrigens Stephen Sommers, der kurz darauf mit den ersten beiden THE MUMMY-Teilen (Die Mumie, USA 1999 & Die Mumie kehrt zurück, USA 2001) zwei waschechte Blockbuster abgeliefert hat. Unter anderem muss sich hier Famke Janssen vor den menschenfressenden Tentakel in Acht nehmen.
Leider wird der Riesenkalmar von den Filmstudios äußerst stiefmütterlich behandelt und ist somit nicht nur in der freien Wildbahn, sondern auch auf der großen Leinwand eine äußerst rare Spezies. Schon öfters begegnet er uns in billigen TV-Produktionen. Doch weil dort generell nur wenig Geld und Mittel zur Verfügung stehen, sind seine Auftritte selten würdevoll. Kürzlich habe ich mir EYE OF THE BEAST (Das Auge der Bestie, Kanada 2007) angesehen und fast schon wieder vergessen.
Ich weiß nur noch, dass er gemessen an den Möglichkeiten einer Fernsehproduktion nicht übel getrickst, aber dafür ziemlich geschwätzig war. Und natürlich hat er kein Tierhorrorklischees ausgelassen. Am Ende zerrt die Riesenkrake, die in diesem Fall einen kanadischen See (!) unsicher macht, ein paar Fischer über die Reling, was ganz nett war, aber keine Begeisterungsstürme ausgelöst hat. Man kann also auch ein erfülltes Leben haben, ohne EYE OF THE BEAST gesehen zu haben.
Ihr seht, es wäre mal wieder an der Zeit, dass jemand einen spektakulären Monsterkrakenflick ins Kino bringt.
Wir Tintenfischfreunde spekulieren ja schon auf den anzunehmenden Kassenerfolg von Alexandre Ajas PIRANHA 3D (USA 2010) und setzen auf die Gewohnheit Hollywoods, jede gewinnträchtige Kuh bis zum Gehtnichtmehr zu melken. Vielleicht ist unser Wunschdenken doch nicht hoffnungslos und wir kommen demnächst tatsächlich wieder in den Genuss eines schönen Kraken-B-Movie mit Kinoauswertung. Und überhaupt, was wäre schon geeigneter für ein paar schmissige 3D-Effekte als die Tentakel eines gottverdammten Monsterkalmar, huh? Jetzt oder nie!
Doch bis es soweit ist, müssen wir wohl noch mit den Klassikern vorlieb nehmen und selbstverständlich findet sich auch ein Krakenflick im überaus reichhaltigen Angebot des 50er Jahre-Monsterfilms.
Schon seltsam, wie zwei nahezu identische Ereignisse zwei völlig unterschiedliche Gefühlsregungen auslösen können. Wenn z.B. heuer ein Megalodon aus den Sperrmüllcomputern der Asylum-Studios - wie geschehen in MEGA SHARK VS GIANT OCTOPUS (USA 2009) - in die Golden Gate Bridge beisst, ist dies in unseren Augen schwachsinnig, lachhaft und absolut unrealistisch.
Reisen wir allerdings in die Vergangenheit und werden dort Zeuge wie sich ein durch Radioaktivität zu kolossalen Wuchs erstrahlter Riesenkalmar um das Wahrzeichen von San Fransisco wickelt, sind wir entzückt ob des charmant-monströsen Geschehens.
Nur auf den ersten Blick ein Paradoxon: Weil dort haben wir seelenlose CGI in miserabelster Form und hier das zeitlose Werk des großen Monstermachers Ray Harryhausen. Seine altehrwürdige Stop Motion-Technik, die seinerzeit für offene Münder in den Kinosälen gesorgt hat, ist es in erster Linie zu verdanken, dass IT CAME FROM BENEATH THE SEA (Das Grauen aus der Tiefe, USA 1955) zum Pflichtprogramm der cineastischen Calamari-Feinschmecker gehören sollte.
Anno 1955 wurde das Militär lange nicht so verkommen und unsympathisch wie in späteren Kinozeiten gezeichnet. Es arbeitet noch Hand in Hand mit den Wissenschaftlern (und exekutiert sie nicht wie etwa in Romeros dritten Zombiefilm DAY OF THE DEAD [Zombie 2 - Das letzte Kapitel, USA 1985]). Anno 1955 tritt Uniform und Forscherkittel noch gemeinsam gegen den großen Feind an. Wie bereits angedeutet ist dies im vorliegenden Film ein (durch Radioaktivität) aus der Tiefsee an die Oberfläche getriebenes Seeungeheuer, welches zum Schluss - wie es sich für ein ordentliches Filmmonster geziemt - mit seinen Tentakeln eine Stadt verwüsten darf.
Leider sind die Angriffe des Kraken streng rationiert, aber wenn sie kommen, dann wird Kleinholz gemacht: Aus Fischerkuttern, Hubschraubern, Brücken und am Ende auch aus Teilen von San Fransisco.
Davor und danach geht es den urtypischen Gang eines charmant-naiven Monsterfilms aus den Fünfzigern. Als Dreingabe gibt es eine kleine Lovestory zwischen einem zackigen U-Boot-Kommandanten der Kriegsmarine und der hübschen, jungen Meeresbiologin. Den heute drollig wirkenden IT CAME FROM BENEATH THE SEA kann man zwar nicht in einem Atemzug mit anderen Tiermonsterklassikern wie KING KONG (Die Fabel von King Kong, USA 1933), THEM (Formicula, USA 1954) und TARANTULA! (USA 1955) nennen, aber 75 Minuten sympathische, nostalgische Unterhaltung bietet er allemal.
Zum Abschluss, aber nur am Rande - man ist schließlich ein Fischrestaurant - soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Kalmare im Horrorfilm öfters mal ihr nasses Habitat für einen Landgang verlassen.
Dies ist meistens der Fall, wenn mal wieder eine Geschichte aus dem mit allerhand schleimigen, vielarmigen Gewürm angereicherten Cthulu-Universum des amerikanischen Schriftstellers H.P. Lovecraft (1890-1937) verfilmt wird. Lovecraft, den ich kultisch verehre, ist bekanntermaßen der Schöpfer kosmischer Schrecken, die er die "Großen Alten" nennt und meist als schleimige, tentakelbewehrte Monstrositäten beschreibt.
Dementsprechend tentakelig geht es im Episodenfilm NECRONOMICON - BOOK OF THE DEAD (H.P. Lovecraft’s Necronomicon, USA 1993) zu, wo im Eröffnungssegment krakenartige Dämonen unter einem düsteren Landhaus nisten. Im stark Lovecraft-beeinflußten IN THE MOUTH OF MADNESS (Die Mächte des Wahnsinns, USA 1994) beherrschen sie gar eine gespenstische amerikanische Kleinstadt, haben aber erst zum Finale ihren großen Auftritt.
Noch abseitiger (und viel trashiger) liegen die Dinge in THE HALFAWAY HOUSE (USA 2004), wo eine satanische Nonne im Keller (!) einer Besserungsanstalt schwererziehbare Mädchen an eine Riesenkrake verfüttert.
Dies ist zwar schon recht sleazy, aber es geht natürlich noch viel perverser. Die ganz Abgebrühten unter euch können sich gerne mal in die Gefilde der japanischen Hentai-Anime begeben. Die findet man noch zwei Niveaustockwerke unter brasilianischen Frauenknastfilmen und dort erwartet euch eine schleim- und spermatriefende Welt, wo nicht nur Chicks with Dicks, sondern auch fickende Fangarme zum guten Ton gehören.
Selbstredend beweisen deren Schöpfer insbesondere bei den naturgemäß extrem perversen Sexszenen großen Einfallsreichtum.
Wer immer mal Animes sehen wollte, in denen niedliche Kulleraugen-Mangarinen von ekligen Tentakelmonstern auf jede erdenkliche (und unerdenkliche) Weise penetriert werden, dem sei die Tentacle Rape-Referenz SHINSEIKI INMA SEIDEN (Inma Seiden, Japan 2001 ff.) empfohlen. Aber das ist nun wirklich ein Thema, welches wir ein anderes Mal behandeln wollen. Oder auch nicht. Denn diese Filme sind schon … ähem … sehr eigen und passen auch nicht wirklich auf die Speisekarte unseres kleinen Fisch(horror)restaurants …
Da wir euch heute vom 50er-Jahre Monsterfilm bis hin zum krassen Hentai allerhand Tentakeliges aufgetischt haben, wollen wir nun das Calamari-Buffet vorerst schließen. Nicht, dass euch noch schlecht wird.
Ich hoffe, ihr reserviert wieder einen Tisch bei uns. Demnächst gibt es lecker Hai!