Teil 1 des großen Dracula-Specials auf FILMTIPPS.at
Wer in den 60er oder 70er Jahre von Dracula sprach, meinte Christopher Lee. Und umgekehrt. Lee war mit seiner Paraderolle lange Zeit genauso Eins wie vielleicht noch Sean Connery, der in Japan tatsächlich von Reportern mit Mr. Bond angesprochen wurde, oder Leonard Nimoy, der gleich zwei Biografien schrieb - zunächst I AM NOT SPOCK, später I AM SPOCK. Dabei hatte er seinen Durchbruch ausgerechnet mit der Rolle, die das exakte Gegenteil von Dracula darstellte.
Hammer, die kleine, englische Produktionsgesellschaft, trat 1957 mit dem Remake von FRANKENSTEIN den Beweis an, dass man Klassiker zwar ehren, aber nicht in Ehrfurcht erstarren muss. Trotz einer langwierigen Auseinandersetzung mit Universal, jenes amerikanischen Studio, das in den 30er Jahren nahezu alleinverantwortlich für Horrorfilme war, zeigte der Erfolg der kleinen Produktion, welches Potential in den alten Horrormythen noch brachlag. Dabei basierte ihr Erfolg zunächst auf äußeren Zwängen, denn auch wenn die literarische Vorlage nicht mehr dem Copyright unterlag, so doch Boris Karloffs unverwechselbare Maske.
In der Folge war eine komplette Neuinterpretation des Monsters notwendig, die Christopher Lee nahezu unkenntlich machte, aber dem Begriff der Leichenfledderei und damit der literarischen Vorlage durchaus nahe kam. Vor allem aber war sie wesentlich effektiver und schockierender. Hieraus wiederum entwickelte sich der neue Stil: zum einen zeigte die Kamera den Horror direkter als der alte Schwarzweiß-Klassiker und hielt sich nicht lange mit Licht- und Schattenspielen auf, vor allem zeigte er die Schocks in Farbe, was bislang bei Horrorfilmen tabu war.
Sehr schnell rief man das Team, das FRANKENSTEIN so erfolgreich zu neuem Leben erschaffen hatte, erneut zusammen, um diesmal DRACULA aus seinem Sarg zu heben: Der junge Jimmy Sangster sollte wieder das Drehbuch schreiben, der erfahrene Terence Fisher die Regie führen, und vor der Kamera agierten erneut Peter Cushing als Wissenschaftler und Christopher Lee als Monster. Vor allem aber sollte es wieder möglichst preiswert sein - und in Farbe.
Was Jimmy Sangster jedoch in seinem jugendlichen Leichtsinn erschuf, hätte Bram Stoker vermutlich das Blut in den Adern gefrieren lassen. Sangster interpretierte nicht, er straffte die literarische Vorlage radikal und reduzierte sie auf wenige, aber wesentliche Elemente. Figuren wurden zusammengelegt, bisweilen vertauscht oder bekamen eine neue Bedeutung, und Jonathan Harker, eigentlich der Held der Geschichte, ist sogar erstes Opfer, was selbst die Zuschauer verunsicherte, die Dracula bereits kannten - sei es als Stokers Roman oder den alten Universalklassiker.
Sangster definierte das Waffenarsenal gegen Vampire, wobei er es zum Teil schärfte, indem etwa Sonnenlicht Vampire tötet - im Roman verlieren die Geschöpfe der Nacht nur ihre übernatürlichen Kräfte - und änderte folgerichtig auch das Finale weg von einer Treibjagd hin auf ein klares Duell zweier gleichwertiger Gegner. Kurz: Sangster schuf die Grundlage all dessen, was eine ganze Generation gemeinhin von Vampiren zu wissen glaubte.
Terence Fisher kamen Sangsters Reduktionen bei der Umsetzung durchaus entgegen, schränkten doch die bescheidenen Produktionsbedingungen die filmischen Möglichkeiten sehr ein. Eine Überfahrt per Schiff von den Karpaten nach London wie im Roman war da nicht drin. Fisher lässt daher offen, wo genau eigentlich die Geschichte angesiedelt ist. Die Dorfleute sprechen offensichtlich deutsch, das könnte nun irgendwo in Bayern sein, aber auch in Transsylvanien bei den Siebenbürgen.
In einem Anflug falsch verstandener Authentizität verlegte dagegen die deutsche Synchro die Geschichte zurück nach England. Woher dann die deutschen Schilder in der Schänke stammen, überließ sie dem irritierten Publikum.
Gedreht wurde fast ausschließlich im Studio, die Berge sind gemalt, nur ein paar Waldszenen entstanden in einem Park vor den Toren Londons, der von nun an nahezu immer stellvertretend für die Karpaten fungieren sollte, was angesichts des vorwiegend flachen Seeufers, das dort anstelle von pittoresken Gipfeln die Szenerie beherrscht, auch Fisher vor eine nicht ganz leichte Aufgabe stellte.
Christopher Lee stand vor einer ungleich gewaltigeren Herausforderung - Bela Lugosis Schatten. Seine Interpretation des Grafen war im Unterschied zu Lugosis übetrieben düsterer Darstellung eleganter und zurückhaltender, und damit nicht nur näher an Stokers Vorlage, sondern auch nachhaltiger. Bis heute ist Christopher Lees Interpretation stilprägend, sein Name wurde zum Synonym für Dracula.
Trotz aller Neuerungen und des Muts aller Beteiligten, mit Traditionen zu brechen, ist vieles doch immer noch der sehr konservativen Entstehungzeit geschuldet. So ist dann DRACULA mit Abstand betrachtet ganz sicher kein perfekter Film. DRACULA spielt mit Tabus, er bricht sie nicht. Ein Blutfleck in leuchtenden Rot auf dem Grabstein war damals eine ungeheure Aufregung, die heute niemand mehr nachvollziehen kann. Fishers - im besten Sinne gemeint - altmodische Inszenierung lässt genug Zeit, sich an der gotischen Ausstattung zu erfreuen. Und was sich hinter Draculas Cape abspielte, darüber musste man sich 1958 noch eigene Gedanken machen.
Der eigentliche Biss, der ja nur stellvertretend für eine sexuelle Vereinigung steht, durfte noch nicht gezeigt werden. Keine zehn Jahre später brauchte man nicht mal mehr den symbolischen Umweg, man zeigte Sex einfach direkt. So schnell ändern sich die Zeiten.
Trotz des Erfolgs, der sogar FRANKENSTEIN hinter sich ließ, vergingen zwei Jahre, ehe sich Hammer an eine Fortsetzung begab. Vermutlich hat man lange mit Christopher Lee gerungen, aber der lehnte ab, um auf die Rolle des Draculas nicht langfristig festgelegt zu sein (ein Trugschluss, wie die Zukunft zeigte). Nun kämpfte Peter Cushing also gegen Draculas Nachkommenschaft. Aus der Not versuchte man eine Tugend zu machen, der Film spielt ein bisschen mit der Erwartungshaltung des Zuschauers:
Die junge Lehrerin, die durch eine Verkettung unglücklicher Umstände im Schloss der Familie Meinster nächtigt, weiß ebenso wenig wie der Zuschauer, dass der angekettete Sohn nicht das Opfer seiner bösen Mutter, sondern das Böse selbst ist. Allerdings kommt der Baron auch weniger als eleganter Graf denn als verzogenes Kind daher, dem man das Förmchen weggenommen hat, und er hat ungewöhnlich viel Dialog. Das mag für den einen oder anderen dialoglechzenden Zuschauer eine willkommene Abwechslung sein, aber mal ernsthaft, ein stummer Graf (siehe unten) ist mir nun tausendmal lieber als ein selbstverliebter, arroganter Schnösel.
Leider zerfällt der Film in drei klare Teile, die kein harmonisches Ganzes ergeben, und da kommt der Verdacht auf, dass die drei Drehbuchautoren nur für sich gearbeitet haben. Das führt zu einigen erzählerischen, atmosphärischen und auch logischen Brüchen. Nachdem die junge Frau den Baron kurz kennen gelernt und befreit hat, verliert sie ihn aus den Augen, aber schon bald danach ist sie mit ihm verlobt. Die Wege der Liebe sind ja manchmal unergründlich, aber so holperdiepolter sein ganzes, zukünftiges Leben zu verplanen muss man ja nun auch im 19. Jahrhundert nicht, wenn das Einkommen gesichert ist. Der Film spielt dafür diesmal etwas eindeutiger in Bayern, immerhin fährt die Kutsche in Ingolstadt los, nur der Erzähler zu Beginn schwadroniert weiter über Transsylvanien.
Doch ungeachtet aller Drehbuchschwächen, die vor allem im Mittelteil des Films deutlich werden, muss man ganz klar sagen, dass DRACULA UND SEINE BRÄUTE ein echtes Sahnestückchen unter den Hammerfilmen ist und vielleicht - trotz Lees Abwesenheit - der Höhepunkt der Serie. Wer Augen hat, wird sich an der gotischen Atmosphäre zu Beginn und vor allem zum Finale hin kaum sattsehen können, und wer vor allem bei den Szenen im Schloss den Film mal anhält und Architektur oder gar das Farbenspiel der Räumlichkeiten bestaunt, kann sich davon überzeugen, welcher Aufwand alleine für ein paar Einstellungen betrieben wurde. Das Finale in der Mühle ist vielleicht sogar das beste der ganzen Serie.
Sechs Jahre weiteres, zähes Ringen, und Christopher Lee gab sich geschlagen für die Fortsetzung BLUT FÜR DRACULA, die inhaltlich unmittelbar an DRACULA ansetzt und SEINE BRÄUTE links liegen lässt. Lee muss die Zusage dennoch bald bedauert haben, denn er bleibt im ganzen Film stumm. Ob nun aus Protest gegenüber den Dialogzeilen oder von Drehbuchautor Jimmy Sangster so gewollt, ist leider ungeklärt.
Dabei erfolgt sein erster Auftritt ohnehin erst nach über einer halben Stunde, und fairerweise muss man zugeben, dass der Film bis dahin allein aufgrund der Atmosphäre im Schloss - dem schönsten der Reihe - und der bloßen Erwartungshaltung auf seinen Auftritt gut zurechtkommt.
Sehr hilfreich ist dabei die vom Drehbuch angelegte Überkreuzsituation. Zwei Ehepaare auf der Reise, die auf der Reise nach Karlsbad (Böhmen und Mähren? Oder doch Karpaten?) trotz gegenteiliger Warnung in Draculas Schloss nächtigen, und während sich die bislang so verschlossene Ehefrau in einen lüsternen Vampir verwandelt, nimmt die bislang so offene und aufgeschlossene Schwägerin den Kampf auf gegen allen Versuchungen - insbesondere die mit sexuellem Unterton.
In der zweiten Hälfte verliert der Film an optischen Reiz. Die Karpaten bestehen mal wieder nur aus Wald und See vor den Toren Londons und erinnern mehr an Sherwood Forest, da passt es dann auch, dass Bruder Tuck in Kutte Peter Cushings Rolle als Vampirjäger übernimmt. Dagegen ist das Finale im gefrorenen Schlossgraben (das erkennbar Salz ist und Christopher Lee einmal schmerzhaft in die Augen kam) eine bildkompositorische Meisterleistung. Und was man den deutschen Werbefuzzis in den Kaffee geschüttet hat, muss man mir bei Gelegenheit auch mal verraten:
Menschenfresser - Blut bleibt Fusel,
Wenn man diesen Reißer sah.
Wodka - hart beim Super-Grusel
Schmeckt das BLUT FÜR DRACULA!