ANIMATIONSFILM: USA, 2010
Regie: Lee Unkrich
Darsteller: Tim Allen, Tom Hanks, Joan Cusack, Michael Keaton
15 Jahre sind seit dem ersten Abenteuer des Spielzeugcowboys Woody und dem Space-Commander Buzz Lightyear vergangen. Ihr Besitzer Andy ist mittlerweile Erwachsen geworden und ist darauf und daran sein Leben auf dem College weiterzuführen. Die letzten Hinterbliebenen, die Müll und Flohmarkt überlebt haben, verstauben in einer Truhe versuchen hoffnungslos, das Interesse Andys zu einem letzten Wiederspiel zu wecken. Die Plastiksoldaten haben sich schon auf den Weg gemacht und so entschließt sich auch der Rest des Spielzeugtrupps das weite zu suchen - und lassen sich kurzerhand in die nächste Kindertagesstätte verlegen, dort, wo Spielzeug noch verwendet und geschätzt wird. Doch das zunächst so wohlklingende Sunnyside Daycare-Center erweist sich als diktatorisch geführte Todesfalle, in der nur die Stärksten überleben. Ein weiteres Mal müssen sich die Spielzeuge auf den Weg nachhause machen.
KRITIK:Alleine der Auftakt des Filmes ist es den Blick wert: unsere allseits bekannten Helden müssen einen entführten Zug voller Waisen aus den Fängen des Fieslings Potatohead befreien, während die Waggons auf eine zerstörte Brücke zurasen und der schweinische Superbösewicht schon in Anmarsch ist. Da geht es umso rasanter zur Sache, wenn eine Armee aus Plastikaffen auf die Protagonisten hereinbricht und der "Death by Monkey" unausweichlich erscheint. Da nützt auch kein Riesendino mehr und auch kein fliegender Superheld, aber vielleicht fällt dem Cowboy ja noch was ein, denn der kindlichen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Denn in den Augen eines Kindes reicht ein kurzer Moment und schon, sieht alles wieder ganz anders aus.
Mit den Augen eines Kindes - ist dies die Prämisse, mit der sich ein erwachsenes Publikum an Meisterwerke aus dem Hause PIXAR nähern sollten? Ist es - in Anbetracht herausragender Filme à la DER FANTASTISCHE MR. FOX, DAS WANDELNDE SCHLOSS oder eben auch TOY STORY - nicht eine Unverfrorenheit dem gängigen Animationsfilm gegenüber, zu behaupten, es seien gute Filme, obgleich sie in erster Linie für ein jüngeres Publikum gemacht worden sind? Das Zielpublikum dem Film zu Gute schreiben, so dass er trotz juvenilen Spaß', eine gewisse Attitüde besitzt, die es auch einer älteren Generation möglich macht, sagen wir mal, einen Disney-Film zu genießen? Zugleich könnte man meinen, dass ein passabler Tony Scott immer noch ein Meisterwerk in Gegensatz zu einem Michael Bay (und dem abgestumpften Zielpublikum) sei. Also weg mit der gutgemeinten Kritik, nehmen wir die rosarote Brille ab, schließen wir unsere Kinderaugen, öffnen unser geläutertes Augenpaar und erfahren Filme als mündiger, gewissenhafter und kritischer Mensch, der schon alles gesehen, alles gehört und alles gespürt hat. Und trotzdem - PIXAR macht es einem nicht leicht, diesen Standpunkt beizubehalten.
Vielleicht liegt es auch daran, dass, als ich vor 15 Jahren das erste mal in das Universum dieser innovativen Produktionsfirma eintauchen durfte, noch ein Kind war - als 1995 das erste mal der Spielzeugcowboy auf den eingebildeten Weltraumhelden traf, eröffnet sich eine neue Welt; nicht nur in Anbetracht des ersten, kommerziellen Animationsfilmes der komplett aus der Maschine stammte (welches ja - soweit ich mich noch entsinnen kann - zunächst die Hauptattraktion des ganzen Films darstellte), sondern war es auch der erste Schritt in einen ungewöhnlichen Geschichtenkomplex, der für die damaligen amerikanischen Zeichentrick (bzw. Kinderfilm) im Kontrast zur restlichen Filmware stand. Auf einmal gab es keine sprechenden Tierfigürchen mehr, keine Prinzessinnen oder dunklen Bösewichte, keine Parallelwelt in der ein meist männlicher Held, die Welt oder wenigstens seine Welt vor dem Untergang bewahrte. Nein, TOY STORY präsentierte eine Nebengesellschaft, die ruhig neben unserer existierte, nein, eigentlich eine, die sich vor unseren Augen abspielte. Und welches Kind lugte danach nicht misstrauisch zu seinen Actionfiguren, Puppen und Stofftieren, auf der Suche nach einer kleinen Veränderung oder Gefühlsregung.
15 Jahre sind nun vergangen und der - jedenfalls mir geläufig Kinderfilm - hat sich in meinen Augen kaum verändert: es hüpfen Oger, Säbelzahntiger und Hunde durch ein nicht greifbares Universum, schleudern mit populärkulturellen Zitaten umher, um auch die elterliche Begleitung mit einigen Referenzen zu unterhalten, während die eigene Welt zu einer Parodiengalaxie verkommt, die nach bekannter Gleichung Moral und Witz predigt. Nächstenliebe. Oder, dass auch der merkwürdigste Außenseiter ein Held sein kann. Das Freundschaft alles besiegen kann. Filme für Kinder, eben.
Und da, genau hier, leuchtet dieses strahlende Licht namens PIXAR. An anderer Stelle wird hier (RATATOUILLE) geschrieben, dass bei PIXAR sich auch ein konventionelles, allseits bekanntes Muster abzeichnet. Vielleicht stimmt das sogar, doch ist dieses Muster stets Aufhänger für etwas Größeres: den bei PIXAR gibt es oft keine konventionelle Geschichte, keinen typischen Bösewicht, kein Gut gegen Böse und manchmal auch keinen Spaß, sondern tiefe Traurigkeit, Ehrlichkeit - und hebt sich somit nicht nur vom konventionellen Animationsfilm, sondern auch vom restlichen Medium ab. Da werden Geschichten über einsame Roboter erzählt, ein Spannungsbogen ergibt sich über die Zubereitung einer Mahlzeit (und das fast den ganzen Film durch) oder einer Animationsinterpretation eines Stoffes, mit dem sich schon Autorengröße wie Alan Moore beschäftigt hat. Und nun - um zum eigentlichen Punkt dieser Kritik zu kommen - der ganze Zauber im dritten Teil der Spielzeuggeschichte:
TOY STORY 3 ist beinahe schon ein existentialistisches Werk, eine Erzählung über Vergänglichkeit in einer sonst so bunten Welt. Rund um den familienfreundlichen Plot schwebt stets der düstere Gedanke, dass man niemanden für ewig beanspruchen kann, dass die eigene Existenz durchaus ersetzbar ist, dass Menschen wachsen und lernen, sich verändern und jeden - und seien es auch jahrelange Gefährten - irgendeinmal verlassen werden. Dass der Grund des eigenen Lebens obsolet geworden ist und trotz aller Treue man sich selbst eingestehen muss, dass es nichts mehr nützt an etwas festzuhalten, sofern man nicht ein trostloses Dasein im Dachboden aus Erinnerungen fristen will. Während der zweite Teil diesen Gedanken schon angeschnitten hat, führt der (hoffentlich) letzte Teil der Spielzeugtrilogie diesen vollkommen zu Ende und macht dabei nicht auf Versöhnlich, denn das, was einem nutzlosen Spielzeug bevorsteht ist - ganz schonungslos - der Tod.
Natürlich, dieser ernste Gedanke wird durch lockere Erzählweise, einem berührendem Drehbuch und wunderbar animierter Action aufgepeppt, jedoch entschließt (und traut) sich der Film gegen Ende hin, seine Grundidee konsequent zu Ende zu führen. Da - sowie immer - doch noch alles gut wird, kann dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Lee Unkrich hier ein sehr ernsthaftes Werk vorgelegt hat. Auch der Antagonist des Filmes, der zunächst liebenswürdige Erdbeerbär Lotso, erweist sich im Verlauf des Films als übler Zeitgenosse - und auch hier beweist TOY STORY 3, dass kein typischer Bösewicht benötigt wird um einen ausdrucksvollen Gegenpart zu unseren Alltagshelden zu kreieren: Lotso ist nicht von Grund auf böse, er wird auch nicht von Machtfantasien getrieben, er strebt weder nach Ruhm, Sex oder Geld (ja, Bösewichte in Disney-Filmen streben auch nach Sex, man nehme zum Beispiel den diabolischen Priester Frollo aus DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME) sondern ist ein Produkt seiner Umwelt, das Resultat aus einer grauen, gemeinen Welt, in der Liebe und Wärme ein vergängliches Gut sind. Mögen Lotsos Aktionen auch noch so unverständlich erscheinen, seine Motive und sein Charakter sind nachvollziehbar.
Ansonsten ist dann doch noch alles beim Alten: wer die Figuren kennt und schätzt wird sich gleich in die Welt von TOY STORY 3 einfinden, allen anderen wird es wohl nach dem fulminanten Auftakt ähnlich ergehen. Neben dem von mir mittlerweile viel gerühmten Grundgerüst, weißt der Film auch sonst noch viele besondere, neue Ideen auf, die sich geschickt in das Bild des Films einfügen und nicht in sinnlose Referenzen und Parodien (wie es zum Beispiel bei einem SHREK der Fall ist) münden: so stehen den Protagonisten nur Mittel zur Verfügung, die ein Spielzeug eben hat, so kann eine kleine Wand schon zur chinesischen Mauer mutieren, oder dass Drücken des Restesknopfes dient als Umfunktionalisierung des Charakters und ein Affe mit Schellen an den Händen ist dann auch mehr als ein Affe mit Schellen an den Händen. Den Filmemachern ist es auf jeden Fall durchaus überzeugend gelungen, die Welt und ihre Gefahren rein aus der Sicht eines Spielzeugs zu deuten und da alleine der Weg von Sandkiste zu Gartentor sich schon als kleiner Hindernisparcours herausstellt, kommt man aus den Staunen oft nicht mehr heraus. Längen zeigt der Film dabei keine, da dem Plot immer etwas einfällt um den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Eventuell der etwas großzügige Einsatz des Deus-Ex Machina mag den einen oder anderen stören, jedoch verzeiht man dies einem solchen Film sehr schnell.
Ist es überhaupt noch notwendig zu erwähnen, dass die Animationen mal wieder auf unübertroffenen Niveau, die Dialoge nicht hohl und die Witze nicht abgekupfert sind? Oder dass es eine Frechheit ist, die deutsche Synchronisation einem Nulltalent wie Michael Bully Herbig zu überlassen (und somit ist ein Stück meiner Kindheit auf jeden Fall gestorben; die bekannte Stimme Woodys im dritten Teil einfach ersetzen, sag mal geht's noch? Ab jetzt gibt's auch Kindheitserinnerungen nur noch im O-Ton. Selbstschutz, sozusagen)?
Wenn man so will, kann man die Geschichte (jede Geschichte die uns PIXAR erzählt) für kindisch halten. Oder überbewertet. Dennoch findet mit TOY STORY 3 hier ein Meilenstein des Animationsfilms seinen würdigen Ausklang, und mit Referenzen auf andere Werke und auch auf sich selbst, weiß der Film beinahe schon, welche wichtige Rolle er spielt. Und die Erwachsenen unter uns, die Furchtlosen und die Ernsten können zu ihrer Freude die letzte Szene auch gerne umdichten; so ist der Hintergrund nur eine Projektion allseits Bekannten und wer weiß, vielleicht versteckt PIXAR hier kein weiteres Zitat, sondern den Beweis dafür, dass sich alles nur in einem Kopf abspielt und dass das eigentliche Ende schon eingetroffen ist, aber dies wäre, wie sagt man so schön, doch etwas zu 'fucked up'.
Eigentlich könnte man alles darauf reduzieren, dass dies der aktuellste Film von PIXAR ist und jeder, der es noch nicht geschafft hat sich das neue Meisterwerk der beliebtesten Produktionsfirma der Welt anzusehen, es sofort nachholen sollte. Wem das nicht genügen sollte oder wer sich diesbezüglich sogar dem Film abgeneigt fühlt, dem sei gesagt, dass hier mehr als nur ein weiterer Kinderfilm präsentiert wird, TOY STORY 3 ist ein durchaus komplexes Werk mit einer erstaunlich düsteren Grundthematik, die gegen Ende hin natürlich der heilen Disney-Welt weicht, aber nichts desto trotz Unterhaltung auf intelligenten Niveau bietet. Außerdem darf man für eineinhalb Stunden wieder Kind sein, nein man darf nicht nur. Dieser Film schafft es, dass man wieder mit Kinderaugen sieht - und welcher Film kann dies noch von sich schon behaupten? Also: To Infinty. And Beyond!