WESTERN: I, 1976
Regie: Enzo G. Castellari
Darsteller: Franco Nero, Woody Strode, William Berger, Donald O'Brien, Olga Karlatos
Ausgebrannt und müde vom amerikanischen Bürgerkrieg kehrt Halbblut Keoma zu seinem Vater zurück. Er will nur noch seine Ruhe haben. Doch die wird ihm nicht vergönnt. Denn in Keomas zerstörter Heimatstadt hat der korrupte Ex-Offizier Caldwell das Sagen. Caldwell ist ein ausgesprochen unguter Zeitgenosse, der Pocken-Erkrankte in ein aufgelassenes Bergwerk sperren und die gesunde Bevölkerung aufs Übelste terrorisieren lässt - auch mit Hilfe von Keomas drei weißen Halbbrüdern. Keoma muss handeln...
KRITIK:1976, also lange nach der Blütezeit des Italowesterns, schuf Enzo G. Castellari dieses späte Meisterwerk, das sich in vielerlei Hinsicht vom Italowestern-Einheitsbrei unterscheidet.
Zuallererst wäre da einmal die ungewöhnliche Musik zu nennen: Eine Männer- und eine Frauenstimme kommentieren das Geschehen im Duett. Die Soundtrack-Komponisten Guido und Maurizio de Angelis schufen dazu Klänge, irgendwo zwischen Hippie-Musical und Sixties-inspiriertem Indierock. Sehr eigentümlich, das Ganze, aber auch sehr reizvoll.
Eigentümlich ist auch die Atmosphäre, die diesen Film durchzieht: Keoma hat etwas Apokalyptisches, pendelt zwischen Endzeit-Film im Westerngewand und christlichem Passionsspiel. Castellari kennt offenbar keine Berührungsängste und ließ sich von der Bibel genauso inspirieren wie von Shakespeare und Sam Peckinpah, mit dem er seine Vorliebe für Shoot-Outs in Zeitlupe teilt.
Die Action ist äußerst ansprechend inszeniert: Wenn es einmal kracht, dann ordentlich.
Der Regisseur versteht es, ausgedehnte Schusswechsel und Prügeleien spannend - und zumindest in der ungeschnittenen Fassung von Kinowelt - auch sehr blutig zu inszenieren. Dazu kommt eine Kameraarbeit, die das raue Geschehen in unglaublich wirkungsvollen Weitwinkel-Bildern auf Zelluloid bannte. Ich sage nur: Die "Finger-Szene"...
Noch ein Wort zu den Schauspielern: In der Titelrolle sehen wir Franco Nero, dessen Frisur zwar in die Kategorie "Haircrimes" fällt, der aber seinen schauspielerischen Job sehr ordentlich erledigt. Sein fieser Gegenspieler ist Donald O'Brian, und der damals außerst vielbeschäftigte Exil-Tiroler William Berger darf natürlich auch nicht fehlen.
Keoma ist der Film, der Castellaris ausgezeichneten Ruf im italienischen Actionfilm-Gewerbe der Siebziger begründete - und an dessen Erfolg er nie wieder anschließen konnte. Daran kann auch ein gewisser Quentin Tarantino nichts ändern, der gerne von den Qualitäten des Italo-Veteranen schwärmt und für 2010 ein Remake des ebenfalls sehenswerten Castellari-Films Inglorious Bastards ankündigt.
Eine Zeit lang war auch ein Keoma-Remake im Gespräch. Aber erst mal das Original ansehen, ihr jungen Menschen da draußen ...
Eine wahnwitzige, apokalyptische Pferdeoper als letztes Aufbäumen des Mitte der Siebziger schon tot geglaubten Italowestern-Genres. Der italienische Action-Handwerker Enzo G. Castellari lässt Genre-Star Franco Nero zehn Jahre nach DJANGO erneut als wortkargen Rächer auftreten. Muss man gesehen haben...