DRAMA: KANADA, 1994
Regie: Atom Egoyan
Darsteller: Bruce Greenwood, Arsinée Khanjian, Mia Kirshner, Elias Koteas, Don McKellar
Der Wirtschaftsprüfer Francis (Bruce Greenwood) ist Stammgast im Stripteaselokal EXOTICA. Er geht dort nur hin, um die junge Christina (Mia Kirshner) zu sehen, die für fünf Dollar häufig für ihn tanzt. Dies macht den DJ und Ansager Eric (Elias Koteas) eifersüchtig. Deshalb bringt er Francis dazu Christina verbotenerweise beim Tanzen zu berühren, und schmeißt ihn anschließend aus dem Laden raus. Als Francis daraufhin auch noch ein unwiderrufliches Hausverbot erteilt wird, droht die Lage zu eskalieren ...
KRITIK:Der aus dem Jahre 1994 stammende EXOTICA bedeutete den Durchbruch für den kanadischen Regisseur Atom Egoyan. Die obige Inhaltsangabe lässt vermuten, dass es sich bei dem Film um einen Expoitationkracher im Stile des ein Jahr später von Paul Verhoeven gedrehten SHOWGIRLS handelt. Doch tatsächlich könnten diese zwei Filme kaum unterschiedlicher sein, denn in EXOTICA ist nichts, wie es scheint ...
Was sich wie der Auftakt zu einer wüsten Story liest, ist tatsächlich bereits die Zusammenfassung der gesamten Geschichte. Denn EXOTICA erzählt nicht davon, was Menschen unter besonderen Umständen zu tun in der Lage sind, sondern davon, was sie aufgrund verschiedener Umstände alles nicht tun. Alle Charaktere sind irgendwie gezeichnet. Sie kämpfen mit den Gespenstern der Vergangenheit, Selbstzweifeln oder damit sich und die Dinge einfach nicht so sehen zu wollen, wie sie tatsächlich sind. So baut sich jeder ein Lügengewebe, dessen Aufrechterhaltung ihn in die Einsamkeit treibt.
Insbesondere Francis hat sich ein kompliziertes Netz von Selbsttäuschungen aufgebaut, in das er fast seine gesamte Energie investiert, und das einzig und allein dazu dient, ihn vor der für ihn unerträglichen Wahrheit zu schützen. Aber im Prinzip geht es fast allen anderen Protagonisten ähnlich. Auch Christina und Eric haben so ihre vielfältigen Probleme, ebenso die Clubbesitzerin Zoe (gespielt von Atom Egoyans Ehefrau Arsinée Khanjian) oder der schwule Zoohändler Thomas.
Die Lage wird noch dadurch weiter verkompliziert, dass alle ihre zutiefst unbefriedigenden Lebenssituationen und tragischen Geschichten auf die eine oder andere Art miteinander verknüpft sind. In der Gesamtheit ergibt sich ein verschlungenes Netz verdrängter Traumata und wechselseitiger Abhängigkeiten, welches der Film ganz langsam Schritt für Schritt und Schicht für Schicht offen legt. Dabei muss man schon sehr genau aufpassen, dass einem keine der oft nur angedeuteten Motivationen und Zusammenhänge entgeht.
Und kaum ist das geheimnisvolle Puzzle endlich in seiner Gesamtheit sichtbar, ist der Film auch schon vorbei. Doch selbst am Ende bleiben einige Fragen unbeantwortet. EXOTICA ist ein sehr langsamer und ein sehr leiser Film. Doch wenn man sich auf seinen besonderen Zauber einlässt, zieht er einen unweigerlich in seinen magischen Bann.
Den Mittelpunkt von Atom Egoyans Film EXOTICA bildet das gleichnamige Striplokal. Doch der Film ist alles andere als ein greller Exploitationreißer. Stattdessen entwirft er auf geradezu magische Weise ein ungemein dichtes und subtiles Gewebe aus ungeheilten Wunden und gegenseitigen Abhängigkeiten.