DRAMA: KOR, 1996
Regie: Kim Ki-Duk
Darsteller: Jo Jae-Hyeon, Woo Yun-Kyeong, Jeon Mu-Song
Crocodile lebt mittellos unter der Brücke mit einem älteren Mann und einem Jungen. Er gibt den Ton an, weiß aber, dass er diese Beiden braucht um sich durchs Leben mogeln zu können. Am liebsten nimmt er Geldtaschen von Selbstmördern an sich, die gerade von der Brücke gesprungen sind. Eines Abends ist es dann aber doch eine junge lebensmüde Frau, die an Land gezogen wird und künftig für die Triebtaten des Krokodils herhalten muss. Als der jedoch vom Liebeskummer der Frau erfährt, wird er eifersüchtig und jede Tat diese wett zu machen, hat Konsequenzen, die das Leben der drei Männer auf den Kopf stellen...
KRITIK:Von einem Debut erfährt man ne Menge über einen Regisseur und lernt schon mal das Grundgefühl kennen, um das es sich auch in darauf folgenden Filmen drehen wird. Kim Ki-Duk braucht man wohl nicht weiter vorzustellen. Wer sich unter dem Wort Filmsprache noch nichts vorstellen kann, der sollte mal besser nach diesem Namen Ausschau halten und nachholen, was nicht versäumt werden darf, will man sich einen Filmfreak nennen.
Er versteht es aus simpelsten, ja aus einer fast gar nicht vorhandenen Handlung dennoch eine Geschichte zu zaubern, die nicht nur zu 90 Prozent von Bildern und Visuellem erzählt wird, sondern dazu noch so eindringlich erzählt, das man seine Filme einfach nicht mehr aus dem Gedächtnis bekommt.
In seinen Filmen herrscht die Spannung zwischen den Charakteren. Wo andere mühevoll nach logischen, einprägsamen, funktionierenden Geschichten fahnden, erzählt Duk von seinen "geschundenen Kreaturen", die sich in der Realität und der Welt nicht zurechtfinden und kommt dem vielleicht "klassischen" Geschichtenerzählen am nächsten. Ein Erzählen von Charakteren, die wir alle sein können, nackte, wehrlose und wütende Geschöpfe.
Der Mann versteht es Genrekonventionen zu brechen wie kein Zweiter. Ist man sich noch sicher ein Drama zu sehen, schwankt man schon nach 15 Minuten und weiß nach weiteren fünf Minuten längst nicht mehr wie man das Genre "Drama" definieren soll. Im Endeffekt läuft es darauf hinaus, ein Filmmärchen gesehen zu haben, denn nur in Märchen sind Gewalt und Poesie so nah verwachsen wie in einem Kim Ki-Duk-Film.
Bei Crocodile dachte ich anfangs ja noch an eine Groteske. Eine Under-The-Bridge-Story über eine kleine Außenseiter-"Patchwork"- Familie. Crocodile, ist der wirklich fiese, asoziale Drecksack, der selbsternannte Leader des Männertrios, der sich, wie soll es auch anders sein, mit Händen und Füßen verständigt. Ja. Man kann ihn nicht wirklich mögen und doch stellt sich dieser Kinski'sche Psychopath als der Held des Films heraus, der in der ersten Hälfte ausschließlich damit beschäftigt ist, anderen in die Fresse zu hauen, ebenfalls massig Brutalität einzustecken, Frauen zu vergewaltigen, das "erwirtschaftete" Geld beim Spielen dummdreist wieder zu verlieren und na ja
eben dem Bild zu entsprechen, das einige Kids aus der Doku-Soap "Supernanny" vom einem Alltagshero haben.
Ab der zweiten Hälfte, man hat's erwartet, beginnt langsam die Fassade des harten Jungen zu bröckeln. Und tatsächlich entstehen nebenher ganz leichtfüßig Nebenhandlungen, Konflikte mit der wirklich bösen Außenwelt. Man muss diese Verwandlung nicht unbedingt für bare Münze nehmen. Wer es tut, hat vielleicht diese ohnehin absurde Welt unter der Brücke bisher zu ernst genommen. Es ist ein Zuhause. Ganz einfach. Man weiß nicht woher Crocodile kommt, wer dieser Junge ist, wer, der alte Mann, warum sie hier gelandet sind. Ist auch nicht weiter relevant. Es geht um das Märchen das erzählt wird! Wer hat in Kindertagen schon gefragt, warum im Märchen von Goldlöckchen und den drei Bären, die Bären in einer Hütte leben? (Ok, die gerade aufzeigen. Schon gut ihr Helden!!) -
Wer den Regisseur kennt, weiß um das sinnliche Verstehen, das gefordert wird. Es ist schwer seinen Filmen rational beizukommen. Man wird feststellen, dass sich einer, wie der andere dem intellektuellen Verstehen einfach widersetzt. Und genau da setzt auch ein Problem seines Kinos an. Wer verlernt hat sich für Märchen zu begeistern, wird Kim Ki Duk- Filme schlicht langweilig finden und höchstens mal beeindruckt nicken, wenn Menschen in Kaffeeautomaten sterben oder eine blaue Schildkröte durchs Bild schwimmt.
Jedes Märchen hat natürlich eine "Moral". Die gibt es in Crocodile bildstark ausformuliert. Wo Kim Ki Duk draufsteht ist Kim Ki Duk drin. Es ist gerade zu wunderbar, wie er aus simplen Einstellungen grandiose Gemälde schafft und dabei noch filmisch bleibt! Man kann nur von großem Kino sprechen.
So bleibt nicht viel zu sagen, als das man, wenn man Fan dieses genialen Filmemachers ist, dieses Debut einfach gesehen haben muss.
Anmerkung des Red: In einem "Beipacktext" entschuldigt sich das Label für die mangelhafte Bildqualität der vorliegenden DVD:
Das Masterband war de facto zerstört und musste aufwändig digital restauriert werden.
Eine bessere Qualität war nicht mehr möglich.
Unkonventionelles Kino, märchenhaft, intensiv und beeindruckend. Ich bestehe darauf zu meinen, dass Liebe mehr ist als nur Chemie. Wer sich von der Poesie der Liebe zum Kino ergreifen lassen will, darf hier zugreifen. Dank des neuen Labels Visimundi gibt's das lang gesuchte Debut des südkoreanischen Meisterregisseurs nun im Handel!