FANTASY: USA/ CH, 2005
Regie: Terry Gilliam
Darsteller: Matt Damon, Heath Ledger, Peter Stormare, Jonathan Price, Monica Belluci
Jakob und Wilhelm Grimm sammeln in den von den Franzosen besetzten, deutschen Landen des 19. Jahrhunderts Märchen und Volkslieder. Und weil es sich davon so gut leben lässt, nutzen sie die Leichtgläubigkeit ihrer Volksgenossen leidlich aus, indem sie sich als Geister-, Hexen- und Gnomjäger verdingen, die neben jeder gesammelten Geschichte ebenso den dazugehörenden bösen Geist gleich einmal mitgehen lassen. Natürlich sind die aufklärerisch-trockenen Franzosen not amused, dass ihre weltliche Macht von naiven Mythen untermauert wird und nehmen die beiden Betrüger kurzerhand fest. Als es jedoch im Wald von Marburg tatsächlich zu spuken scheint, werden die Grimms dazu verdonnert ihre eigenen "Nachahmungstäter" ausfindig zu machen. Ganz so einfach ist es natürlich doch nicht, denn dort scheint wirklich nicht alles mit rechten Dingen zu zugehen...
KRITIK:Märchen, Mythen, Volkslieder. Die deutschen Romantiker sahen in ihnen den Ausdruck der kollektiven Volksseele, das zur Oberfläche vorgedrungene Unbewusste. Sie romantisierten diese Literaturgattung dahingehend, dass sie im Gegensatz zur herkömmlichen Kunst, die voller Bewusstsein steckt, vollkommen unschuldig sei. Jacob Grimm schreibt selbst: "Nichts ist anmaßender als epische Gedichte dichten zu wollen, die sich nur selbst zu dichten vermögen". Freud sah in dieser "Manifestation des Trauminhaltes" gehalten in "triebhafter Sprache" die genialische "Schöpferkraft der Massenseele", C.C. Jung beschrieb sie als "ein spontanes, naives und unreflektiertes Produkt der Seele."
Die Brüder Grimm sollen damals durch die Lande gezogen sein um diese alten mündlich überlieferten Volksdichten zu sammeln, aufzuschreiben und für die Ewigkeit zu bewahren. In Wahrheit scheinen sie jedoch eher alte, teilweise bereits niedergeschriebene Märchensammlungen, die zum Teil sogar aus ganz anderen Ländern und Regionen stammten, zerstückelt, etwas unterhaltsamer wieder zusammengesetzt und ein wenig kindgerechter gestaltet zu haben.
Zum Beispiel die böse Stiefmutter in Hänsel und Gretel war vor den Grimms noch deren leibliche Mutter, aber das hätte dem damaligen Mutterbild nicht entsprochen. Zugegeben, das hört sich ja fast nach Hollywood an, womit wir endlich beim eigentlichen Thema wären.
Wenn sich die Traumfabrik an ihr ureigenstes Thema heranwagt, dann sind die Befürchtungen natürlich groß, denn bei solch von frühester Kindheit an internalisierten Geschichten wie unseren heiligen Märchen der Gebrüder Grimm, kann einiges schief gehen, um nicht zu sagen: Das kann man ordentlich verhunzen!
Und wenn man sich die Kritiken zum vorliegenden Film ansieht, dann scheinen sich die Befürchtungen zu bestätigen.
Ich sag's gleich: Ich finde Brothers Grimm großartig. Ich wage mich mit meiner Meinung an die Öffentlichkeit, weil ich den Film inzwischen dreimal gesehen hab und diese umfassende, empirisch bestätigte Beurteilung schließt eine dank Mutbierchen oder schräger Laune verzerrte Wahrnehmung endgültig aus.
Ich denke, dass einem höchstens die falsche Erwartungshaltung diesen Film vermiesen kann. Brothers Grimm ist mit Sicherheit kein schräges Biopic oder eine Versuch einer ehrwürdig-niedlichen Märchenadaption à la Disney, sondern ein Blockbuster mit dem Herz am rechten Fleck und Mut zur Hässlichkeit, der vor Anekdoten und Anspielungen überbordet und nebenbei durch seine stereotypisch charakterisierten Figuren und hemmungslosen Blödelorgien herrlich schräges Krawallkino abgibt.
Der Plot bietet eines der Grundmotive der romantischen Dichtung überhaupt: Der aufgeklärten Mensch in seiner durch und durch entzauberten Umgebung (in diesem Falle sogar der ab-geklärte Mensch, denn nicht nur dass das "Grimm Team" ;-) aufgeklärt ist, es nutzt darüber hinaus auch noch den Glauben der arglosen ländlichen Bewohner aus) kommt an einen Ort, wo all seine Logik und Wissenschaftsgläubigkeit urplötzlich am scheinbar wahrhaft Übernatürlichen scheitern.
Dieses Grundmotiv wurde um eine Ausprägung erweitert, indem dieser Konflikt gleichzeitig auf das Bruderpaar selbst übertragen wurde. Der voll rationale, pragmatische und schlitzohrige Willhelm (Matt Damon) gerät ständig mit seinem naiven, unverlässlichen und ein wenig lebensunfähigen Träumerling von Bruder Jakob (Heath Ledger) in Konflikt. Beide Charaktere werden von ihren Darstellern wundervoll gemimt und erzeugen so durchaus ein seelisches Zentrum für den Film.
Terry Gilliam gelingt es nicht zuletzt dank hervorragendem Setdesign, großartiger Ausstattung, meistens handgemachter visuellen Effekten und magisch-beängstigender Sequenzen, die teilweise ordentliche Hochspannung erzeugen, einen erfrischend andersartigen Abenteuerfilm für vornehmlich große Kinder zu zaubern, der sich aber auf der anderen Seite keine Sekunde lang ernst nimmt, und somit niemals die sakrale Strenge eines Harry Potter oder Herr der Ringe Filmes erreicht, ja deren Pseudoernst im Grunde genommen ordentlich konterkariert.
Besonders stechen da zwei weitere Nebenfiguren heraus, die mit einer solchen Inbrunst gespielt werden, dass es eine helle Freude ist. Peter Stormare und Jonathan Price als verschrobener italienischer Foltermeister und französischer Gouverneur, der in seinem besten Moment sogar dazu bereit ist, einem Wald den Krieg zu erklären, ein übrigens herrlicher Beitrag zur Frage ob man übernatürlichen Phänomenen mit weltlichen Problemlösungsstrategien beikommen kann.
Gerade solche hemmungslos grotesken Momente, die viele Wahrheiten über menschliches Verhalten beinhalten, machen aus Brothers Grimm ein Filmvergnügen der besonderen Art, das sich vor allem vor den meisten anderen als gelungen bezeichneten Blockbuster nicht im mindesten zu verstecken braucht, vor allem weil es sich von nicht handlungsdienlichen, schon hundert mal gesehenen, nicht storydienlichen Actionsequenzen fernhält, sondern diese immer mit größtem Augenzwinkern seiner vergnüglichen Geschichte unterwirft.
Den einzigen Vorwurf, den man Brothers Grimm machen kann, ist dass er das romantische Ideal der unschuldigen Dichtung verrät. Brothers Grimm strotzt nur so vor postmodernem Selbst-Bewusstsein. Aber Terry Gilliam darf das. Warum? Einfach, weil er es kann. Besser als die meisten anderen.
Terry Gilliams Brothers Grimm ist eine herrlich überdrehte, postmoderne Groteske, die im Gegensatz zu den meisten anderen Over-the-top-Blockbustern, trotz dem überbordenden, visuellen und inhaltlichen Einfällen und Anspielungen einen Heidenspaß macht, weil seine Figuren, so stereotyp sie auch sein mögen, durch deren sensibel bis überzeichnete Darstellung dem Film gleichzeitig eine nicht übermäßig überfordernde Diskurskraft, das nötige Quäntchen Selbstironie und die ebenso notwendige Seele verleihen. Natürlich muss man ein wenig Hang zum Unkonventionellen mitbringen, ansonsten wird man seine eigene Überforderung mit dem Film als dessen Dummheit und/oder maßlose Übertreibungskraft missverstehen.