DRAMA: D/TR, 2007
Regie: Fatih Akin
Darsteller: Baki Davrak, Hanna Schygulla, Nurgül Yesilcay
Der alternde einsame Ali (Tuncel Kurtiz) macht die Prostituierte Yeter (Nursel Köse) nach einem Besuch im Bremer Rotlichtviertel zu seiner Lebensgefährtin. Sein intellektueller Sohn Nejat (Baki Davrak), der als Germanistikprofessor an der Hamburger Universität arbeitet, ist von der Wahl seines Vaters zunächst schockiert. Als er jedoch erfährt, dass die liebenswerte Yeter den Großteil ihres hart verdienten Geldes in die Türkei schickt, um ihrer Tochter Ayten (Nurgül Yesilcay) das Studium zu finanzieren, beginnt sein Respekt ihr gegenüber gerade zu wachsen, als Yeter durch einen dramatischen Unfall ums Leben kommt.
Der Bruch zwischen Vater und Sohn ist nicht mehr aufzuhalten. Nejat will Ayten zu suchen und reist nach Istanbul, um ihr weiterhin den Besuch der Universität zu ermöglichen. Ayten aber, als politische Aktivistin aktiv, ist unterdessen in die Schusslinie geraten und auf der Flucht vor der türkischen Polizei nach Deutschland geflohen. Hier trifft sie auf die verwöhnte, aber leidenschaftliche Studentin Lotte (Patrycia Ziolkowska), die sie illegal und gegen den Willen ihrer konservativen Mutter Susanne (Hanna Schygulla) bei sich aufnimmt. Die jungen Frauen verlieben sich ineinander und als Ayten schließlich abgeschoben wird, folgt Lotte ihr nach Istanbul. Dort trifft sie durch einen Zufall auf Nejat, der mittlerweile einen deutsch-türkischen Buchladen übernommen hat. Und auch Susannes Wege führen aufgrund von tragische Umstände in die Stadt am Bosporus...
Nach dem Preisregen für "Gegen die Wand" muss der Druck für Fatih Akin enorm gewesen sein und doch, der deutsch-türkische Regisseur hat mit seinem neuen Spielfilm alles richtig und dennoch alles anders gemacht. "Auf der anderen Seite" ist deutlich ruhiger, deutlich nachdenklicher und weniger stürmisch als sein Vorgänger und doch keineswegs weniger kraftvoll. Nach dem Vorbild von Alejandro González Iñárritus "21 Grams" entstand ein Episodenfilm, der das Schicksal von sechs Figuren auf dichte und komplexe Weise ineinander und aneinander vorbei laufen lässt.
Die Filme Fatih Akins zeichnen sich seit jeher durch eine mitreißende, unvergleichliche Leidenschaft, die er seinen Figuren und seinen Geschichten gegenüber an den Tag legt aus. Diese ist auch dafür verantwortlich, dass das dichte Personengeflecht der Hauptfiguren nicht überfordert und Zeit lässt zu jeder Figur einen emotionalen Zugang zu finden. Dass Akin niemals den Überblick über seine Charaktere verliert, ist eine der Hauptleistungen, die sein Drehbuch leistet, weiters ist es die Begabung Gesellschaftskritik, politische Umstände und Tabuthemen eher an- als aufzureißen und diese ganz natürlich und ohne jedes Erzwingen einer Moral in die Geschichte einzuweben.
Gleichzeitig steckt Fatih Akins Film voller Botschaften und ist wohl vor allem Eines: Ein eindeutiges Plädoyer für die aktive Suche nach der eigenen Identität. Bereits in seinen vorangegangenen Filmen nahm die Familie eine zentrale Stellung ein, in "Auf der anderen Seite" avanciert diese endlich zum eindeutigen Mittelpunkt. Denn egal wie Akin die unterschiedlichsten Beziehungsgeflechte inszeniert, so führen sie doch alle zu dem Schluss, dass man nur glücklich sein, den inneren Frieden finden kann, wenn man sich zu seinen Wurzeln, zu seiner Familie bekennt.
"Auf der anderen Seite" bildet nach "Gegen die Wand" den zweiten Teil von Akins "Liebe, Tod und Teufel-Trilogie" und ist, obwohl es den Tod zum ganz zentralen Angelpunkt erkoren hat, kein Drama, sondern vielmehr eine Parabel über das Leben und über die Hoffnung, dass der Tod lebendig machen kann.