KOMÖDIE/DRAMA: B/F, 2004
Regie: Benoît Delépine, Gustave de Kervern
Darsteller: Benoît Delépine, Gustave de Kervern, Jan Bucquoy, Pierre Carles, Isabelle Delépine
Ben und Gus sind Nachbarn. Und sie können sich bis aufs Blut nicht ausstehen. Im Zuge einer Prügelei geraden sie unter die Ladekappe eines Traktoranhängers und werden so schwer verletzt, dass sie fortan querschnittsgelähmt sind. Auch wenn sich die beiden nie wieder sehen wollen, führt sie der Zufall wieder zusammen und gezwungenermaßen tut sich das ungleiche Duo zusammen. Nach einer abenteuerlichen Odyssee durch die Bahnhöfe, Straßen, Parkplätze und Motocross-Veranstaltungen Frankreichs beschließen die beiden schließlich nach Finnland zu reisen, um Aaltra, die Herstellerfirma des Anhängers auf Schadensersatz zu verklagen. Unterwegs stößt das ungleiche Duo auf viel Ignoranz, Vorurteile und manchmal sogar blanke Aggression. Aber auch nette Menschen kommen den beiden immer wieder vor die Räder: was Ben und Gus natürlich schamlos ausnutzen
KRITIK:"Typen wie ihr versauen den Scheiß-Rollstuhlfahrern den Ruf!", ruft ein Mann
einem unserer Helden nach, nachdem einer der Rollstuhlfahrer eine Motocrossmaschine
zerstört hat. Man sieht schon, Ben und Gus sind alles andere als nette,
sympathische Typen. Warum auch? Nur weil sie im Rollstuhl sitzen macht sie das noch
lange nicht zu guten Menschen. Eine Lektion, die einige der hilfsbereiten Figuren
des Films teilweise auch auf die harte Tour lernen müssen.
Der komplizierte, verkrampfte Umgang mit körperlich eingeschränkten Personen
dient Aaltra als Inspirationsquelle für nicht immer politisch ganz korrekte Gags.
Wer jetzt aber die üblichen Behindertenwitze, abgestandene Klischees oder
dergleichen erwartet, irrt. Aaltra hat solche Dinge nicht nötig. Der Film setzt
stattdessen auf absurde Situationen und schwarzen Humor. Hinzu kommen
minimalistische Dialoge, die immer wieder von mehr oder weniger sinnvollen Monologen
einiger Randfiguren durchbrochen werden. Das ganze geht soweit, das man als Zuseher
bei einigen dieser Monologe dazu tendiert (geistig) abzuschalten.
Freunde leichterer Unterhaltung, die Gags am laufenden Band erwarten und auf
massenkompatible Komik aus sind, werden von Aaltra wahrscheinlich enttäuscht sein.
Statt Schenkelklopfer-Unterhaltung gibt es Situationskomik en Masse und der Film
punktet mit einer Menge ungewöhnlicher Einfälle. Aaltra ist voll von herrlich
absurden Momenten. Mitleid mit den beiden Hauptdarstellern kommt eigentlich recht
selten auf, was daran liegt, dass sie in den meisten Fällen selbst schuld an ihrer
Misere sind und auch ansonsten einiges auf dem Kerbholz haben. Rollstuhlfahrer hin
oder her.
Dabei beginnt der Film eigentlich ziemlich nüchtern. Schier unendlich lang werden
die mehr oder wenig sinnvollen Tätigkeiten der Protagonisten durchexerziert. Man
sieht sie beim Traktor fahren, kleine Runden mit dem Motorrad drehen (ohne
ersichtliches Ziel natürlich), oder beim Spiel mit Katzen. Alltag eben. Diese
Nüchternheit behält der Film auch bei, auch wenn die Situationen absurd sind,
wirken sie nie vollkommen aus der Luft gegriffen.
Das Rollstuhl-Roadmovie wurde in grobkörnigen Schwarzweiß-Bildern in Szene gesetzt
und die langen Kameraeinstellungen können schon mal die Geduld der Zuseher etwas
auf die Probe stellen. Dafür entschädigen aber herrliche Einfälle und die
Ausdrücke in den Gesichtern einiger Randfiguren. (Wer den Film gesehen hat, weiß
was ich meine.)
Und auch der Schluss ist eine Klasse für sich. Was jetzt aber nicht nur am
Gastauftritt von Aki Kaurismäki als Aaltra-Chef liegt.
Mit Aaltra legten die beiden Comedians Benoît Delépine und Gustave Kevern ihr
Spielfilmdebüt vor. Die beiden zeigten sich nicht nur für die Regie, sondern auch
für die Hauptrollen verantwortlich. Klar, dass das Drehbuch auch aus ihrer Feder
stammt. Das Duo schuf eine sarkastische, politisch inkorrekte Komödie, die von
Detailliebe und genial-absurden Momenten lebt. Alles andere als Mainstream.
Bitterböses "Rollstuhl-Roadmovie", das fernab abgelutschter Klischees mit trockenem Humor und Situationskomik punktet.