DRAMA: USA, 2003
Regie: Ben Coccio
Darsteller: Andre Keuck, Cal Robertson, Rachel Benichak
Die beiden Jugendlichen Andre Kriegman und Calvin "Cal" Gabriel fassen einen Plan: Im Mai nächsten Jahres - wir schreiben den 4. Juli, den amerikanischen Independence Day - wollen die beiden ein Massaker in der Tradition des "Columbine High Shootings" an ihrer High School verüben. Sämtliche dafür notwendigen Vorbereitungen hält die selbsternannte "Army of Two" auf ihrer Videokamera fest, bis zur finalen "big-ass mission", die sie auch als "Zero Day" bezeichnen: Dem Tag, an dem möglichst viele Menschen, Andre und Cal eingeschlossen, sterben werden.
In ihrem Videotagebuch, das gleichzeitig auch eine Art Hinterlassenschaft ist - der Zuseher des Films bekommt alleine die verwackelten Camcoderaufnahmen zu sehen - halten die beiden fest, wie sie im Schlafzimmer der Eltern Waffen entdecken, mittels Anleitungen aus dem Internet Rohrbomben bauen und im Wald das Schießen mit Andres Cousin üben, um für das finale Vorhaben gewappnet zu sein. Aber auch Gedanken über das, was ihr soziales Umfeld von der Tat halten wird oder wie und ob man sich an die beiden Attentäter erinnern wird, prägen die teilweise von den beiden selbst als Interviews inszenierten Dialoge, die das Videodokument als Tathergang komplettieren.
KRITIK:Der interessanteste Aspekt des ganzen Filmes ist wohl, dass sich die beiden Hauptcharaktere ständig darüber im Klaren sind, dass sie bei ihrem Amoklauf das Zeitliche segnen werden (wodurch der Film einige ironische Momente erhält) und somit ständig an ihrem eigenen Abschiedsbrief arbeiten - diese Möglichkeit aber gleichzeitig auch genutzt wird, um ein Charakterprofil der beiden Protagonisten dem Zuseher glaubwürdig zu vermitteln.
Anders als bei Gus Van Sants "Elephant", dem bekannteren fiktiven Film über die amerikanischen "School Shootings", werden dem Zuseher nicht bloß wage Andeutungen an das Innenleben der beiden zukünftigen Täter geliefert, es wird nicht nüchtern die Geschichte eines Massakers beschrieben und es werden auch keine Mutmaßungen angestellt. Der Rezipient ist mitten im Leben von Andre und Calvin und es sind nicht Fragen, die die beiden Jungs uns hier liefern ("Wie konnte das nur geschehen?"), sondern Antworten.
Alle Antworten, bis auf eine: die auf die Frage nach dem "Warum". Denn anstatt verschiedene Aspekte der Beweggründe der Schul-Amokläufer vorzubringen, wird gerade dieser Teil des Geschehens für den Zuseher völlig im Dunkeln gelassen. Calvin und Andre formulieren es in ihrer letzten Botschaft selbst und eindeutig: "There are no reasons. [...] Nobody made us doing it - it was our own idea."
Ihre Gewaltspiele, ihre DVDs und sogar ihre Bücher verbrennen sie einige Tage vor der Tat, damit die Polizei in ihren Zimmern keine Medien finden und zum Sündenbock erklären kann. Ihr familiäres Umfeld wirkt liebevoll und fürsorglich. Schusswaffen faszinieren die beiden, doch nicht in einem für männliche Teenager ungewöhnlichen Ausmaß. Andre selbst spielt ein einziges Mal auf Schulmobbing an; im Gegensatz zu dessen Rolle als Außenseiter ist Calvin jedoch gut in einen Freundeskreis integriert - noch in der Nacht vor dem Amoklauf fährt er mit seinen Schulkollegen zum "Prom", dem High-School-Abschlussball.
Bis zuletzt hat es der Zuseher also mit zwei von ihrem Vorhaben überzeugten, sich dabei manchmal ein wenig kindisch aufführenden, aber im Grunde ernsthaften Teenagern zu tun, die gleichzeitig keinerlei Hinweise darauf geben, wieso ihnen die fixe Idee eines School Shootings in den Kopf gekommen ist. "Were gonna be God - no mistake about that", sagt Andre in seiner Abschlussrede und meint damit, dass er und sein Freund über Leben und Tod entscheiden werden - und dass die Überlebenden diese Gelegenheit zur Wertschätzung ihres eigenen Lebens herbei nehmen sollen. Doch bis auf diesen kurzfristigen Anflug von Größenwahn - nichts.
Und gerade diese Leere, dieses den ganzen Film durchziehende Fehlen eines echten Motivs, macht die letzten 10 Minuten des eineinhalbstündigen Filmes, in denen Überwachungskameras den eigentlichen Amoklauf zeigen, so grausam und gnadenlos. Es sind nicht so sehr die verzweifelten Schreie der sich versteckenden Schüler, nicht so sehr das hämische Lachen Andres, nachdem wieder einer abgeknallt wurde. Es ist das Bewusstsein, dass es sich dabei um eine völlig sinnlose Mordserie handelt, die dem Wesen der beiden Jungs in Wirklichkeit gar nicht entspricht und das "Warum" für Außenstehende wohl niemals begreifbar sein wird.
Zero Day ist über weite Strecken hinweg nur eine Vorbereitung auf das, was in den erschütterten letzten Minuten Realität wird. Gerade darin liegt jedoch die Genialität des mit einfachsten Mitteln realisierten Films, der den Zuseher nach all seinen vermeintlichen Erklärungen dennoch ratlos zurücklässt. Die Leistung der beiden Amateur-Schauspieler, die den gesamten Film trägt, machen den Film zu einem ungewöhnlichen Dokument unserer von gewalttätigen und ausrastenden Jugendlichen geprägten Zeit.