HORROR: USA, 2022
Regie: Ti West
Darsteller: Jenna Ortega, Kid Cudi, Brittany Snow, Mia Goth, Martin Henderson
Eine Filmcrew bezieht ein Quartier auf einer Farm im texanischen Nirgendwo. Hier ist man allein und ungestört und findet beste Bedingungen vor, um einen Kunst-Porno vor ländlicher Kulisse zu drehen. Glauben die jungen Menschen zumindest. Doch die benachbarten Farmer sind nur mäßig begeistert von den unmoralischen Ausschweifungen und greifen zu drastischen Mitteln, um Sitte und Moral wiederherzustellen.
Wenn dir der Quartiergeber zur Begrüßung die Schrotflinte ins Gesicht drückt, solltest du eigentlich misstrauisch werden. Aber hey, keine Panik, wir sind hier in Texas: Da gehören Schusswaffengebrauch und Mord an Durchreisenden ja zur lokalen Folklore. Texanisches Weltkulturerbe quasi.
The Texas Chainsaw Massacre lässt erwartungsgemäß schön grüßen im neuen, sehnsüchtig erwarteten Film von Ti West (The House of the Devil, The Innkeepers), aber auch und vor allem Boogie Nights. Es ist nämlich so: Unsere jungen Menschen, die - soviel darf ohne Spoilern verraten werden - später durch massive Gewalteinwirkung das Zeitliche segnen werden, wollen in der texanischen Einöde einen Landporno drehen.
"The Farmer's Daughter" lautet der Arbeitstitel des auf Zelluloid gebannten Matratzensport-Epos, von dem sich alle Beteiligten Reichtum und Ruhm erhoffen. Die Dreharbeiten gehen auch locker von der Hand, die DarstellerInnen tun ihr Bestes, die Stimmung ist ausgelassen und heiter.
Regisseur Ti West, geboren 1980, begibt sich auf nostalgische Zeitreise in die Seventies, eine Ära, in der im Kino plötzlich alles möglich schien und in der die vielleicht besten Filme aller Zeiten gedreht wurden. Der Film betört mit einem ausgesprochen hübsch anzusehenden Retro-Look, wobei die grobkörnigen 16mm-Bilder freilich das Resultat von digitaler Nachbearbeitung sind.
Großen Wert legt der Regisseur, der ja aus dem Indie/Arthouse-Sektor (doofe Schublade, ich weiß) stammt, seit jeher auf die Charakterisierung seiner Figuren. Es ist jetzt zwar nicht so, dass einem alle zu 100% ans Herz wachsen, aber man verbringt gerne Zeit mit ihnen, man hört ihnen zu, was sie zu Themen wie promiskuitiven Beziehungsentwürfen, weibliche Selbstermächtigung und Sex Positivity zu sagen haben. Und man freut sich, dass man ihren amourösen Aktivitäten erste Reihe fußfrei beiwohnen darf.
Die Sexszenen sind schön explizit, aber (natürlich) nicht pornographisch. Auch wenn handlungsmäßig streng genommen relativ wenig passiert, läuft der Film wie geschmiert (mit Vaseline? :-)
Dass der von A24 (Hereditary, Midsommar) produzierte Film auch in den Multiplexen läuft, würde ich unter Zelluloid-Verschwendung subsumieren, wäre die Distribution nicht schon seit Jahren rein digital. Soll heißen: Der Publikumsandrang war mehr als überschaubar; Ti West ist eben doch Nischenprogramm.
Das große Gemetzel beginnt dann erst im letzten Drittel. Mit überraschend grimmigen Kills und handgemachten Latex-Sauereien mutiert der vorhin so intime Film nun zum gut gelaunten Slasher-Spaß. Ein bisschen so, als würde auf einem Festival die intellektuelle Indiepop-Diskursband plötzlich ein breitbeiniges Solo hinlegen, die Gitarren zertrümmern und kopfüber ins Publikum springen. Man ist erstaunt, freut sich und ruft nach einer Zugabe. Die soll auch kommen. Ti West hat ein Prequel angekündigt, das die Geschichte der Figur Pearl erzählen soll. Wir sitzen dann gerne wieder in der ersten Reihe.
Texas Chainsaw Massacre (ohne Kettensäge) meets Boogie Nights (ohne Burt Reynolds). Macht aber nichts, denn der gefeierte Arthouse-Horror-Regisseur Ti West liebt es, sein Publikum zu überraschen. Ein Retro-Schocker im hübschen Seventies-Look als Liebeserklärung an das Golden Age of Porn und das Terrorkino der Siebziger gleichermaßen. Coolstes Final Girl ever: Mia Goth!