OT: X-Men: First Class
COMICVERFILMUNG: USA, 2011
Regie: Matthew Vaughn
Darsteller: Michael Fassbender, James McAvoy, Kevin Bacon, Rose Byrne, Oliver Platt,
X-Men begins: Bevor Magneto und Professor X für Mutantenrechte gekämpft haben (der eine friedlich wie Martin Luther King, der andere militant wie Malcom X) waren sie zwei junge Männer gänzlich verschiedenen Hintergunds. Der eine Hochwohlgeboren, der andere Holocaust-Überlebender. Sie werden trotzdem Freunde, aber ihre politische Gesinnung entzweit sie ...
KRITIK:Nein! Nein! Nein! (Ich klopfe auf meinen Tisch;-). Da will man endlich vom Blockbusterkino herunterkommen und erliegt dennoch einem nach dem anderen. X-Men: First Class ist nichts weniger als sein (eigentlich eher schwacher) Titel verspricht. Nachdem man kurz davor war die Reihe abzuschreiben, X-Men: Der letzte Widerstand (ersten Drittel gut, danach zum Vergessen) und Wolverine (ich will nicht darüber reden) waren so dermaßen freud- und substanzlos hingeschmissene Plastikblockbuster, hat Bryan Singer (hier als Produzent und Drehbuchautor) das Ruder wieder an sich gerissen und eine tolle Story aus den Motiven der Comics ersonnen. Als Regisseur konnte der bisher absolut verlässliche Matthew Vaughn gewonnen werden (Layer Cake, Stardust, Kick-Ass), der sich gleich einmal sagte, das ist meine Chance einen James Bond Film zu drehen.
Tatsächlich wirkt X-Men: First Class eigentlich über weite Strecken nicht wie ein Comicfilm, und das ist gut so, sondern wie ein Agententhriller zur Zeit des Kalten Krieges. Auf der zweiten Ebene ist der Film dann ein durchaus eindringliches Drama um die Rechte von Minderheiten. Bis heute streiten sich die Sozialwissenschaftler darüber ob X-Men nun eine Allegorie auf die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner ist, oder doch derjenigen der Homosexuellen. (Tolle Szene im zweiten Teil als "normale" Eltern ihren Mutantensohn fragen, ob er denn nicht einfach versuchen könnte kein Mutant zu sein.)
Erst auf der dritten und schwächsten Ebene des Films kommen dann die Comicelemente zum Vorschein, die wie in allen X-Men-Filmen eigentlich uninteressant sind. Ich meine, wen interessiert dieser dritte Mutant von links aus der zweiten Reihe und seinen irgendwie lächerlichen Fähigkeiten. Außer natürlich die Kinder, die diesen Film sehen. Gut akzeptiert. Und vielleicht auch vom Regisseur vernachlässigt, weil man dem Film ansieht, wie wenig er selber die Namen wie Magneto und Professor X (obwohl das natürlich schon wieder eine tolle Anspielung auf die Weigerung der Black Panthers ist Sklavennamen zu tragen) oder die Kostüme, so sie eben nicht in die Sechziger Jahre passen, nimmt. Erik Lenshers letzter Auftritt als Magneto mit Helm und Umhang kann unmöglich ernst gemeint sein.
Wie man es dreht und wendet, wie schwach auch einige (zumeist weibliche) Darsteller ihre Rollen verkörpern, wie cheesy und fremdschamerzeugend manche Stelle auch ausfällt (was wiederum an den Darstellern liegt, die teilweise nichts mit ihren Rollen anzufangen wissen), und wie infantil manch eigentlich schwer ernste Szene überspielt wird (wir wissen ja alle, dass Prof X im Rollstuhl sitzt, wie leicht er das aber nimmt, ist eine grobe Verfehlung des Drehbuchs, so idealistisch und lebensbejahend dieser Charakter auch gezeichnet ist).
X-Men First Class ist ein erstaunlich durchdachter, kritischer, witziger (Gastauftritt von Wolverine, zum Totlachen!!!), raffinierter, zitatenreicher, kleiner feiner Blockbuster mit (natürlich) ausgezeichneten visuellen Effekten geworden.
James McAvoy als intellektueller Dandy und idealistischer Kämpfer für eine bessere Welt, der Professor für Mutation wird (und dessen Dissertation natürlich die Ablöse des Homo Erectus durch den Homo Sapiens behandelt), Michael Fassbender, als gequälte Seele und Holocaust-Überlebender und Kevin Bacon als Nazi (bei aller Professionalität in Hollywood, das mit der deutschen Sprache kriegen sie einfach nicht hin, außer natürlich Tarantino, aber der hat gleich deutsche Schauspieler genommen) und späterer James-Bond-Bösewicht mit Übermenschkomplex bilden ein unfassbar vergnüglich anzusehendes und gleichzeitig komplexes Triptychon, das stellvertretend für verschiedenste Zugänge zum Thema Mutation (jetzt hätte ich schon fast Migration geschrieben) steht.
Der Plot verbindet geschickt historische soziale Strömungen, reflektiert zwischen Nazizeit und Kaltem Krieg, Cubakrise und Bürgerrechtsbewegung hin und her, kommentiert und verbindet all diese Phänomene und schafft es dabei Allzumenschliches in unserem vermeintlichen Humanismus aufzudecken. Ich möchte nur auf einen Satz aufmerksam machen: "Sie haben nur Befehlen gehorcht." Was bedeutet dieser Satz, wenn man ihn über den Nationalsozialismus stülpt, was bedeutet er aber, wenn man ihn über die Cubakrise stülpt? Ich werde euch sagen, was das bedeutet: Gänsehaut. Und das in einer Comicverfilmung! !!
Aus dem KZ nach Las Vegas, über den Kreml und Argentinien nach Kuba, von den Nazis über die CIA zu den Mutanten, vom zweiten Weltkrieg zum kalten Krieg, von den Übermenschkomplexen der Nazis zur Bürgerrechtsbewegung in den Sechzigern, von einem Haufen Freaks zu einer aufrechten Gruppe von Mitbürgern. X-Men: First Class hat dann und wann seine Schwächen, ist aber insgesamt eine clevere, witzige, komplexe, unterhaltsame und (zumeist) vorzüglich gespielte Allegorie mit fein durchdachtem Plot auf die menschliche Gesellschaft im Gewand eines Blockbusters, ein Rückblick auf das zwanzigste Jahrhundert im Comicgewand, eine Art leichtfüßige Version von Watchmen, die es schafft auf verschiedensten Ebenen zu überzeugen. Meine schwerste Empfehlung!